Sherlock Holmes – Die komplette erste Staffel
(The Adventures of Sherlock Holmes)
GB 1984, Regie: Derek Marlowe, Paul Annett, John Bruce u.a., mit Jeremy Brett, David Burke, Rosalie Williams u.a.
Von Thomas Harbach
Der Mitproduzent Michael Cox berichtet in seinem ungewöhnlich ausführlichen – inklusiv der schönen Farbfotos und einer detaillierten Beschreibung der Dreharbeiten jeder einzelnen Folge immerhin fast 100 Seiten – Bericht von dem offensiven Zeitfenster, in welchem die Serie Anfang der achtziger Jahre entstehen konnte. Das britische Fernsehen befand sich im Umbruch, Jane Austen hatte ausgedient, Krimis und Soaps auch aus eigener Produktionen begannen für die ITV Geld einzuspielen und was lag näher, als die beiden Genres in den klassischen „Sherlock Holmes“-Folgen zu kombinieren? Hinzu kam die Tatsache, dass die originären Rechte an den Doyle-Stoffen bis auf Teile in den USA freigeworden sind. Zwar zog sich ein Rechtsstreit über fast drei Jahre in den Staaten hin, in denen konnte man allerdings von der Seite Granada in Ruhe an den Drehbüchern feilen und vor allem sich entscheiden,gegebenenfalls die sehr kurzen Doyle-Stoffe vorsichtig auf das fünfzig Minuten Format zu erweitern, aber nicht verschiedene einzelne Erzählungen zu kombinieren. Das Ziel war eine originalgetreue Umsetzung. Neben einem Verkauf in die Staaten war die Verpflichtung eines britischen Schauspielers mit Starkapazität unumgänglich. Nach einem längeren Auswahlprozess erwählte man den Briten Jeremy Brett, der zu dieser Zeit in Los Angeles wohnte und sich in Hollywood einen Namen als solider zeitloser Nebendarsteller zu machen begann. Beim Doktor Watson Charakter griff man nicht nur auf den routinierten Schauspieler David Burke zurück, es wurden die verschiedenen komischen oder klamaukartigen Versionen insbesondere aus der Rathbone Ära zu den Akten gelegt. Im Grunde erschuf das Team für diese Fernsehserie den ursprünglichen Doktor Watson zumindest für die Leinwand neu. Wie stark sich Brett schließlich mit der Rolle identifizierte, unterstreicht Cox Bericht von seinem Perfektionismus, seiner Idee, alle „Sherlock Holmes“-Geschichten zu verfilmen und insbesondere die kleinen Gesten, mit denen er den Texten möglichst originalgetreu gefolgt ist. In einer Folge („Die tanzenden Männchen“) zwingt er sich, als Linkshänder, mit der recht Hand klar und deutlich zu schreiben, um keinen Stilbruch zu begehen.
Nachdem diese Hürde genommen worden war, stand der Inszenierung der authentischen und besten „Sherlock Holmes“-Serie aller Zeiten nur noch eine entsprechende Kulisse – die Baker Street wurde in Ausschnitten extra gebaut – und die Umsetzung der Drehbücher im Wege. Im Gegensatz zu einer Reihe anderer Fernsehserien – hier sei nur „Robin Hood“ genannt, die das ursprüngliche Konzept modernisierten und mit sehr jungen Darstellern revolutionierten – war die Zielrichtung immer, eine an die populären Zeichnungen des Strand-Magazins mit seinem nostalgischen Flair angelehnte Serie zu erschaffen. Etwa typisches britisches mit einer britischen Ikone zu einer Zeit, als das Königreich noch eine gewisse Unschuld – zumindest außerhalb der Kolonien – bewahrt hatte. Insbesondere auf den Klamauk und die Parodie einer Reihe von neueren „Holmes“-Verfilmungen sollte verzichtet werden. Auch die Brutalität aus „Mord an der Themse“ spielte keine Rolle. Als Grundlage der Verfilmungen begann man mit dem ersten Sammelband „Die Abenteuer von Sherlock Holmes“, da in diesen Texten sich mehr Exposition und Charakterbeschreibung befanden und Doyle selbst noch eine ideale Mischung zwischen dem lebenstüchtigen Watson und dem verschlossenen Holmes suchte.
Alleine der Produktionsbericht mit seinen vielen Anekdoten vom Set gehört zum Besten, was in den letzten Jahren an Booklets für DVDs erschienen ist. Und Michael Cox hat wahrscheinlich auf sehr viel Material verzichtet, um die schon hohe Seitenzahl nicht zu sprengen. So rechnet er seinen Lesern einmal die kompletten Kosten einer Folge vor und zeigt den Unterschied zwischen Realität des Produzenten und Wunsch des Regisseurs. Leider enden seine Zeilen eher abrupt. Aber neben diesem Bericht sind es die digitalisierten Folgen mit ihrem exzellenten Inhalt und im Vergleich zu zeitgleich produzierten Serien von sehr guter Bildqualität, die das Herz eines jeden Fans erfreuen. Sowohl die deutsche als auch die englische Tonspur sind von exzellenter Tonqualität, die klassische, extra für die Serie komponierte Musik kommt sehr gut zur Geltung und die ausgebildeten Stimmen der Schauspieler wirken klar, die Betonung pointiert und nuancenreich.
Obwohl „Skandal in Bohemia“ nicht die erste produzierte Folge gewesen ist, stellte sie sich nicht zuletzt aufgrund der fast einzigartigen Thematik – Holmes begegnet DER Frau und verliebt sich auf seine Art nicht nur in ihre Körper, sondern vor allem in ihren Intellekt – als ideale Auftaktepisode heraus. Watson ist einige Tage auf dem Lande und fürchtet sich insgeheim vor seiner Rückkehr und macht sich Sorge um seinen Freund Holmes, der in Phasen der Einsamkeit zur Melancholie neigt. Nach einer kurzen Eingangssequenz, in welcher dem Zuschauer Irene Adler, die wunderschöne, gefährliche und doch liebenswerte Frau vorgestellt wird, beginnt die Folge mit der Darstellung Jeremy Bretts. Mit dem Rücken zu Watson und dem Zuschauer wirkt seine Darstellung eines Exzentrikers distanziert, arrogant, fast überzogen. Ein hochintelligenter Mann auf der stetigen Suche nach neuen Herausforderungen, mit sich selbst selten zufrieden und in der einschränkenden Hülle seines menschlichen Körpers fast gefangen. Gleichzeitig etabliert das Drehbuch das so signifikante Zusammenspiel zwischen Watson als Stichwortgeber und Vermittler zwischen Holmes und dem Zuschauer, während der großartige Detektiv seinen Freund und dessen mindere analytische Fähigkeiten gleicht reizt. Neben diesen verbalen Duellen zeigt diese sehr bewegte Folge Holmes als verkleideter Arbeiter in seinem eigentlichen Element, der akribischen, wissenschaftlichen genauen Ermittlungsarbeit. Zusätzlich erkennt der Zuschauer, wie sehr Holmes den aus seiner Sicht nutzlosen Adel verachtet. Er scheut sich nicht, den König von Böhmen im wahrsten Sinne des Wortes nach Auftragserteilung finanziell auszunehmen – obwohl seine Forderung wahrscheinlich nicht einmal einen Kratzer in dessen Vermögen hinterlässt – und intellektuell auszustechen. Spitz, voller Ironie mit einem Hauch von Sarkasmus sind seine Fragen und der König führt in diesem ungleichen Duell ein stetiges Rückzugsgefecht. Besondere im Original kommen die sehr scharfen, aber authentischen Charakterzüge aller Figuren sehr gut heraus. Die klassischen Dialoge wirken manchmal ein wenig zu aufdringlich, zu melodramatisch gesprochen und das Verhalten von Brett wirkt manchmal zu überheblich. Wie sowohl der König als auch Holmes Gegenstände über ihre Schultern werfen, erinnert allerdings mehr an einige billige Komödie. Das letzte Drittel der Folge mit Holmes Feldarbeit und seinem viel zu umständlichen und von Irene Adler zu leicht zu durchschauenden Plan wirkt zwar gut inszeniert, aber schlecht gespielt. Brett überzieht seine Roller als kauziger Retter derartig, dass ihm nicht einmal ein Straßenjunge wirklich Glauben schenken könnte. Nicht nur deswegen erhält er von DER Frau schließlich die Quittung. Das die Serie gleich mit einer Niederlage Holmes beginnt, auch wenn er den Fall für seinen Klienten zufrieden stellend beenden kann, zeigt die Einzigartigkeit dieser Produktion. Auch in der zweite Folge „Die tanzenden Männchen“ löst Sherlock Holmes den Fall und steht doch als Verlierer dar. Im Kontrast zur emotionalen ersten Geschichte handelt es sich bei diesem Fall nicht nur um eine der Lieblingsfälle Doyles, sondern eine dunkle düstere Story, in der am Ende eine junge unschuldige Frau schwer verwundet und ihr geliebter Ehemann ermordet wird. In einer interessanten Parallelmontage kann der Leser auf der einen Seite Holmes Entschlüsselungsversuchen folgen, auf der anderen Seite sieht man die Auswirkungen der Geheimbotschaften auf das verstörte Ehepaar. Rückblickend ist an dieser Episode vor allem neben der Nutzung moderner Tatortuntersuchungen die Kommunikation über den Atlantik interessant. Das fehlende Puzzlestück. Auch wenn die Antwort letzt endlich zu spät kommt. Es ist allerdings erstaunlich, dass Holmes zumindest in dieser Folge die unmittelbare Gefahr unterschätzt – im „Hund der Baskervilles“ handelt er gänzlich anders. Insbesondere in Bezug auf die einzelnen Akte wirkt die Folge im Vergleich zur ersten deutlich fließender und abgerundeter, Holmes wird mehr in den Mittelpunkt des Geschehens gestellt und Watson auf seinen obligatorischen Stichwortgeberstatus degradiert.
Vordergründig geht es in „Das Marineabkommen“ nur um ein verschwundenes Dokument von unschätzbarer politischer Bedeutung. Zwischen den Zeilen werden die einzelnen Klassenunterschiede deutlich. Vom einfachen Mitglied des bürgerlichen Mittelstandes – wie Doktor Watson – über die Hierarchie des erzkonservativen Geldadels bis zu den Kabinettsmitgliedern, die sich trotz Adelstitels ihrer Position nicht sichern sein können, zieht sich dieser rote Faden durch die Folge. Technisch besteht sie aus zwei großen Rückblicken, von denen der eine sehr atmosphärisch dicht und intensiv erzählt worden ist. Als Holmes am Ende der Episode seinem kleinen Publikum die Lösung des Rätsels erläutert, wird dessen Rückblick in Form eines Schattenkampfes sehr unglücklich in Szene gesetzt. Die Silhouetten agieren sehr steif, fast stilisiert und unbeholfen. Mit diesem Stilmittel kann die obligatorische Entlarvung des Täters – bei der wirklich schwachen Geschichte Doyles keine Überraschung, da nur noch ein Verdächtiger übrig bleibt – noch einen Moment herausgezögert werden, aber sie wirkt unecht. Das Umarbeiten der unergiebigen literarischen Vorlage stellt weder die Zuschauer gänzlich zufrieden, noch kann Holmes bis auf eine hervorragende Szene wirklich sein Können zeigen. Über einer Rose philosophiert er von der Zukunft der Menschheit und der andauernden Schönheit der Flora.
„Die einsame Radfahrerin“ ist die erste produzierte Folge gewesen. Wie Michael Cox in seinen ausführlichen Beschreibungen vom Drehen der einzelnen Folge berichtet, plante man insgesamt drei Testfolgen. Obwohl der Plot dieser Episode – ein Radfahrer verfolgt eine junge Frau auf ihren sonnabendlichen Weg zum Bahnhof – eher an den Haaren herbeigezogen ist, überzeugt sie nicht nur die Umsetzung der skurrilen Idee, einer guten Abstimmung aus schönen Aufnahmen und der guten Begleitmusik, sondern in erster Linie aufgrund der vielen sehr pointierten Dialoge. Holmes und Watson schenken sich in einigen Abschnitten der Folge wahrlich nichts. Der große Detektiv manchmal belehrend, manchmal arrogant, Watson auf der Suche nach dem letzten Satz wenigstens den Hauch einer Meinung behaltend. Klassisch auch die Exposition, dann das Einschalten des Detektivs, die Ermittlung, kurz vor dem Scheitern stehend, eine plötzliche Wende und schließlich das Zusammenfassen der einzelnen Fäden in erster Linie für den Zuschauer vor den anderen Protagonisten dieser Gaunerkomödie. Leider suchten die Produzenten – wie Michael Cox auch zugibt – ein eher humorvolles Ende, das die Fähigkeiten des Detektivs fast lächerlich machen will. In den zukünftigen Episoden konzentriert sich der Humor nur noch ausschließlich auf die Dialoge.
„Der verkrüppelte Mann“ ist eine der schwächsten und doch literarisch hoch interessanten Geschichten Doyles. Eine umgekehrte Version von „Die vier Federn“. Zusammen mit Kiplings Indiengeschichten dürfte Doyles verschachtelte Rückblendenstory A.E.W Mason inspiriert haben. Zusätzlich gehört dieser Fall zu einer nicht geringen Anzahl von Fällen, die Holmes nicht lösen konnte, sondern die ihm erzählt worden sind. Fürs Fernsehen technisch schwierig, die verschachtelte Rückblendenstruktur zusammen mit den obligatorischen Szenen aus den indischen Befreiungskriegen spannend und interessant auf den Bildschirm zu bangen. Während die eigentliche Handlung um Liebe und Verrat vorhersehbar und schwerfällig erzählt worden ist, lebt die Folge insbesondere von der eindringlichen Darstellung Norman Jones. Als junger Mann eine gute Figur in seiner Paradeuniform erscheint seine facettenreiche Persönlichkeit auch unter dem Make Up. Ihm gelingt es, einen alten, müden und nicht mehr rachsüchtigen Mann sehr überzeugend darzustellen. Am Ende dieser Geschichte scheint es nur Verlierer zu geben. Mit nicht wenig Ironie – in Person seines Privatdetektivs – entlarvt Doyle die morbide Fassade des britischen Militärs und selbst der ehemalige stolze Soldat Doktor Watson rückt von seiner Beweihräucherung der blutigen Indienfeldzüge zumindest in dieser Folge ab. Da der Aufbau der Folge über weite Strecken starke Ähnlichkeiten mit „Die tanzenden Männlein“ hat – ein Mensch, dessen Existenz man vergessen hat/ der für tot gehalten wird, kommt zurück und löst eine familiäre Tragödie aus - ist es unglücklich, in einer so kurzen Staffel mit nur dreizehn Folgen diese beiden Geschichten zu verfilmen.
Die zweite verfilmte Folge – „Das gefleckte Band“ – ist sicherlich die berühmteste und gleichzeitig die bekannteste Geschichte Doyles. Nur das Original kennen im Grunde nur die Leser der ursprünglichen Storys. Zu oft im Laufe der Jahre verfremdet nahmen sich die Produzenten dieser Serie nicht nur eine originäre Adaption bis hin zu den Dialogen vor, sie wollten gleichzeitig die Mischung aus Exotik – in diesem Fall die wilden Tiere aus Indien auf dem Grundstück eines britischen Landhauses – Exzentrik – der Stiefvater – und Mystery – der mysteriöse Tod der einen Schwester, ein Fall, wie geschaffen für Sherlock Holmes – für die gesamte Staffel vorgeben. Auffallend ist, dass das Zusammenspiel zwischen Brett – der oft seinen Charakter noch zu unsympathisch, zu arrogant und ein wenig zu direkt spielt – und Burke – der aus der Rolle des Stichwortgebers mehr und mehr zu einem abgerundeten und nuancierten Charakter wird – zumindest in dieser Folge schon sehr gut funktioniert, in der kurz darauf produzierten Episode „Das Marineabkommen“ wirkt die Kooperation zwischen den beiden unterschiedlichen Figuren noch ein wenig verhalten. In dieser düsteren Folge nimmt sich Doyle seinem zweiten Steckenpferd an: dem Geld. Immer wieder wird die Aussicht auf eine Erbschaft oder der drohende Verlust der Kontrolle über das Geld anderer Leute zu einem Katalysator für Verbrechen und selten stellte es der Autor drastischer und rücksichtsloser als in dieser Folge dar. Nach einer überaus langen, zwar notwendigen, wenn auch ermüdenden Exposition findet die Geschichte in den letzten zehn Minuten in Balance. Über weite Strecken außergewöhnlich britisch mit den Zigeunern als Ablenkung fasziniert die Folge nicht zuletzt aufgrund einer Reihe kleiner Gesten. So zittern Holmes Hände, als er neben den Streichhölzern und der Kerze auch einen Bambusstab im Zimmer der Toten zurechtlegt. Er wirkt insbesondere zu Beginn der Folge fast arrogant abweisend und doch funktioniert sein scharfer Verstand vom ersten Augenblick an. Obwohl der Inhalt dieser Folge außerordentlich bekannt und populär ist, gelingt es Brett und Burke, den Leser mit diesem diabolischen Spiel zu faszinieren und sobald dieser die gestelzten Manieren und Dialoge an integralen Bestandteile dieser Epoche akzeptiert hat, wird er sehr gut und spannend unterhalten.
„Das blaue Karfunkel“ ist die Weihnachtsgeschichte – der ursprüngliche Text von Doyle wurde von dem Drehbuchautor drei Tage nach vorne gerückt, damit sich der Plot am Heiligen Abend auflöst. Interessant ist die bildlich sehr ansprechende Rückblende auf die wechselhafte Geschichte des Edelsteins, eng verbunden mit Mord, Raub und Unglück. Diesen Kreislauf durchbricht – optimistisch gesprochen – Holmes mit seinen ebenfalls vom Zufall begleiteten Ermittlungen. Über weite Strecken verzichtet man darauf, die weihnachtliche Zeit allzu rosig oder gar Harmoniesüchtig darzustellen. Mit Ryder – eine gute Leistung von Ken Campbell – findet der Detektiv schließlich einen Schurken, dessen Geständnis aus Reue und Stolz auf seinen Coup mit einer Mischung aus Überzeugung, Angst vor der Strafe und ein wenig Arroganz daherkommt. Da es sich bei seinem Verhör um das zweite längere Gespräch in dieser Folge mit der klassischen Dreierkonstellation Holmes/ Watson auf der einen Seite, Zeuge, Verdächtiger oder Opfer auf der anderen Seite handelt, wirkt diese Wiederholung ermüdend. Insbesondere Holmes emotionaler Ausbruch am Ende der Folge ist zwar Bestandteil der originalen Geschichte, funktioniert hier wie dort überhaupt nicht. Es ist schade, dass das zuckersüße Ende die Tatsache überdeckt, dass Holmes einen ehrlichen Finder im Rahmen der Folge zumindest zeitweilig um seine Belohung von 1000 Pfund bringt. Auch wenn es nicht seine Aufgabe ist, der Polizei bei ihren amateurhaften Ermittlungen zu helfen, so ist es zumindest seine moralische Aufgabe, den Menschen, die ihm vertrauen und ihn um Hilfe bitten, ihr Ehrlichkeit nicht auch noch zu bestrafen. Nicht zuletzt aus diesem Grund ist „Das blaue Karfunkel“ eine uneinheitliche, streckenweise doch arg konstruierte Geschichte. Diese Schwächen kann auch nicht die sehr genaue Umsetzung ausgleichen, die Fehler werden Wohl oder Übel als integraler Bestandteil des zwar skurrilen, aber nicht überzeugenden Plots übernommen.
In der Folge „Das Haus zu den Blutbuchen“ gibt es keinen richtigen Fall. Sherlock Holmes wird von einer jungen, sehr hübschen Gouvernante – Natasha Richardson, die Tochter von Vanessa Redgrave und Tony Richardson, ein ausdrucksstarkes Gesicht mit seiner Mischung aus Unschuld und Neugierde – aufgesucht. Ihr neuer Arbeitgeber hat einen eigenartigen Wunsch, für das dreifache Gehalt soll sie sich ihre langen Haare abschneiden. Wochen später erreicht Sherlock Holmes das Telegramm der verzweifelten, ängstlichen Frau. Sie bietet den Detektiv, zum Herrenhaus zu kommen, in welchem sie arbeitet. Der Zuschauer hat inzwischen einige der geheimnisvollen Vorgänge erfahren, die die Protagonisten verängstigen. Die gesamte Inszenierung besticht durch ihre gotische Atmosphäre – auch wenn der britische Nebel in der Hauptstadt London zurückbleibt – und einigen subtilen Schrecken – abgeschnittene, lange Frauenhaare in einer Schublade – sowie dem wilden Hund, der nachts das Grundstück bewacht – und berstenden Spiegeln. Obwohl die Geschichte rückblickend aufgrund ihres ironischen Endes eher an eine Parodie der Aufzeichnungen Watsons erinnert und die große Rede des Privatdetektivs über das Verbrechen auf dem Lande, weil sich die Nachbarn nicht beobachten können, fast satirisch gemeint sein könnte, lebt sie dank der starken Schauspielerleistungen im wahrsten Sinne des Wortes auf. Insbesondere Joss Ackland als geheimnisvoller Arbeitgeber gehört zu den subtilsten, aber auch gefährlichsten Verbrechern der Sherlock Holmes Geschichten. Er ist verschlagen, intelligent, egoistisch und rücksichtslos. Dabei ist er kein Mann der Gewalt. Erst als er seine Felle wegschwimmen sieht, greift er zum letzten Mittel. Die Konfrontation zwischen Holmes und ihm wird fast an den Rand der Folge gedrückt. Über weite Strecken wirkt die Geschichte von ihrer bizarren, aber im Nachhinein verblüffend logischen, wenn auch perfiden Idee bis zum tragischen Ende wie eine Fingerübung zu Doyles „Der Hund der Baskervilles“. Unter den ersten dreizehn Folgen eine der Besten – inhaltlich und dank der hervorragenden Adaption, wenn man auch kein Haus mit Blutbuchen gefunden hat.
„Der griechische Dolmetscher“ stellt seinen Zuschauern nicht nur zum ersten Mal Mycroft Holmes vor, einen Charakter, der in den unzähligen Verfilmungen mehr Auftritte hatte als in den eigentlichen Geschichten, sie ist eine der Episoden, die vom Drehbuchautoren notgedrungen erweitert werden mussten. Nach Zwei Dritteln der Fernsehfolge hört Doyles Stoff tragisch, aber unvermittelt auf. Auf Kontinuität bedacht versuchte das Team die von Holmes erkannten Verbrecher auch zu verhaften. Damit wird die grundlegende Story aus dem Kanon der tragischen Fälle herausgehoben, in denen der Meisterdetektiv zwar die richtigen Schlussfolgerungen gezogen hat, die Opfer aber nicht mehr schützen konnte – siehe „Die tanzenden Männlein“ – oder er zu spät eingreift. Die erste Hälfte der Episode besteht was gänzlich aus Rückblenden, in denen der griechische Dolmetscher seinen seltsamen Auftrag beschreibt, die zweite Hälfte aus einer sehr gut inszenierten, durch die Kombination von Nachtaufnahmen mit den roten Leuchten des Zuges fast klaustrophobischen Atmosphäre. Dazu kommt mit den beiden Verbrechern – der eine Dandyhaft, der andere eine rücksichtslose, verschlagene Kreatur – und der herzlosen Frau – die ihren Bruder eiskalt für ihre Pläne opfert – eine Gruppe von interessanten und vor allem gefährlichen Gegenspielern. Höhepunkt der Folge ist sicherlich die erste Begegnung zwischen Sherlock und Mycroft Holmes, gemeinsam sitzen in einem ironisch überzogenen Club für im Grunde ungesellige Männer auf Leitern und versuchen sie bei ihren Beobachtungen aus dem Fenster heraus zu übertreffen. Auch wenn das für die Folge geschriebene Ende ein wenig zu überzogen, ein wenig zu sehr an die düsteren Basil Rathbone Folgen angelehnt ist, hebt sie sich durch das aktive Eingreifen des Meisterdetektivs wohltuend von den eher theoretischen und deshalb manchmal distanziert wirkenden anderen Episoden ab.
Nach Mycroft Holmes fehlt natürlich noch Inspektor Lestrade. In „Der Baumeister von Norwood“ taucht die inzwischen zum Klischee des unfähigen Polizisten standardisierte Inkarnation zum ersten Mal auf. Im Gegensatz zu einer Reihe anderer Fernsehserien wirkt Lestrade erschöpft, ausgezerrt und krankhaft dürr. Wieder auf eine den ersten Teil dominierende Rückblende zurückgreifend ist diese spannende Geschichte einer der ersten klassischen „Who Done It“ Plots der Serie. Das Verbrechen ist geschehen, der Tatverdächtige sucht den Meisterdetektiv persönlich auf, dieser startet seine Ermittlungen – eine beeindruckende Parallelmontage zwischen dem agierenden Holmes und dem reagierenden Watson dominiert diesen Abschnitt der Folge – und scheitert. Holmes findet keine Handhabe, um die Unschuld seines Mandanten zu beweisen. Hier agiert Watson als motivierender Freund. Der Zuschauer scheint zumindest zwei Schritte dem Detektiv bei der Aufklärung des Verbrechens im Voraus, bis Doyle – und das Drehbuch – mit diabolischer Freude die mühsam aufgebaute Theorie zerschlägt. Am Ende stellt sich der überführende Beweis als interessante Fälschung heraus und mit diesem Schwung findet der Detektiv die Lösung des Falls. Ein sehr geradliniger Kriminalfall, in dem schließlich doch der Intellekt siegt und Vorbild in der Struktur für eine Reihe von Inspektor Columbo Folgen mit dem einzigartigen Peter Falk.
Mit einem unheimlichen Teaser, sehr gut und effektiv für das kleine zur Verfügung stehende Budget geschnitten und einer stimmungsvollen, an die gotischen Horrorfilme der sechziger Jahre erinnernden Auftakt beginnt „Der Dauerpatient“, eine für Sherlock Holmes Fälle so typische, fast klassische Konstellation. Wieder steht im Mittelpunkt die düstere Vergangenheit, kaum verborgen durch das exzentrische Verhalten des Schuldigen. Kurz bevor der Meisterdetektiv die Ermittlungen übernimmt, treffen fatal Vergangenheit und Gegenwart aufeinander und in diesem Fall führen offensichtlich für die Polizei zu einem Selbstmord. Wie in manchen anderen Storys kann Holmes trotz einer sehr detaillierten und auf seinen deduzierenden Methoden basierenden Untersuchungsmethode die Täter nicht mehr überführen. Zwar nimmt ihm und damit auch der Polizei das Schicksal die Arbeit ab, aber dieser Epilog wirkt wenig überzeugend und nimmt der eigentlichen Geschichte einiges an romantischem Verbrecherflair. Eine Sequenz in der Mitte der Folge ist eine Hommage an den berühmten Gangsterfilm „Rififi“, sie dauert allerdings keine fünfundzwanzig Minuten, sondern nur zwei. Sowohl in der Konzeption als auch der Umsetzung gehört „Der Dauerpatient“ in das erste Drittel der verfilmten Holmes- Geschichten. Eine scheinbar mysteriöse Exposition, ein Verbrechen, das augenscheinlich keines ist und schließlich eine überraschende – zumindest für den Zuschauer – Auflösung in Kombination mit sehr vielen, kleinen Details – so bastelt Watson an einem kleinen Modellschiff, die beiden Freunde treffen sich in einem Frisörsalon auf der Flucht vor dem Frühjahrsputz und Holmes spielt am Ende der Story auf seiner geliebten Geige. Die Mischung aus einem interessanten Fall und gut inszenierten Details aus dem Leben der beiden Protagonisten wirkt sehr harmonisch und macht die Folge zu einem uneingeschränkten Sehvergnügen.
Obwohl Professor Moriarty der bekannteste Gegenspieler und zeitweise zwar nicht glorreiche, aber zumindest Sieger im Wettkampf der Genie gewesen ist, taucht er in nur wenigen, aber dafür entscheidenden Fällen auf. Die Produzenten um Michael Cox entschlossen sich beim Drehbuch zu „Die Liga der rothaarigen Männer“ zu einer gewagten These: Hinter dem spektakulären Verbrechen steht auch Moriarty. Damit ziehen sie nicht nur einige Hintergrundinformationen aus „Sein letzter Fall“ vor, der Fall der rothaarigen Männer wird für Holmes zu einem Drei-Pfeifen- Problem, sondern sie haben die Möglichkeit, die zu kurze grundlegende Geschichte auf das obligatorische fünfzig Minuten Format zu erweitern. Eric Porter als Genie des Verbrechens und Vorbild für Doktor Mabuse nur drei kurze Auftritte. Trotzdem strahlt er eine berechnende Rücksichtslosigkeit aus. Die Schwierigkeit dieser Folge ist nicht nur die im Grunde für den Leser schwer nachvollziehbare Erzählstruktur – sowohl die Geschichte als auch die TV- Folge, sondern der sehr schwache Mittelteil. Der Spannungsbogen bricht zusammen, es folgen eher langwierige Erläuterungen, während der außen stehende Betrachter zusammen mit Holmes den perfiden Plan schon durchschaut hat. Es fehlt nur noch eine Brücke zu der Liga der rothaarigen Männer. Dieses Ablenkungsmanöver wirkt überzogen konstruiert und nicht unbedingt effektiv. In erster Linie dient diese vorletzte Episode als Vorgeschmack auf den vorläufigen Höhepunkt der Serie, den berühmtesten Sturz der Literaturgeschichte, an einem Wasserfall in der ansonsten doch so friedlichen Schweizer Bergwelt.
Die größte Schwierigkeit der Folge „Sein letzter Fall“ liegt sicherlich in der Tatsache, dass es keinen eigentlichen Fall gibt. Auf Holmes Leben werden mehrere Anschläge verübt, die er alle dem Großfürsten des Verbrechens zurechnet. Der Meisterdetektiv wird von Professor Moriarty in der Baker Street gestellt. Dieser bezeichnet Holmes als drogensüchtigen Wahnsinnigen – in den Geschichten nimmt Holmes Drogensucht genauso zu wie in dieser Fernsehserie stetig ab – und der Leser/ Zuschauer kann diesen Vorwurf zumindest nicht gleich von der Hand weisen. Anhänger der Burke/ Brett Serie verfügen über einen entscheidenden Vorteil gegenüber den ursprünglichen Geschichten. Der Drehbuchautor hat die geheime Mission Holmes in Frankreich mit einem 20 Jahre später geschehenen historischen Ereignis kombiniert. Holmes klärt innerhalb von zwei Tagen den Diebstahl der Mona Lisa auf. Da Moriarty in einer Parallelmontage als Organisator des Diebstahls entlarvt wird, gibt die Fernsehserie dem Gegenspieler im Gegensatz zur literarischen Vorlage zumindest ein Motiv, Holmes zu töten. Es entwickelt sich aber kein interessantes Taktikspiel zwischen den beiden sehr intelligenten Männern – die Aussprache in der Bakerstreet gehört allerdings zu den Höhepunkten subtiler Schauspielkunst -, sondern die bekannte Verfolgungsjagd. An den Reichenbachfällen mit de, berühmten Todessturz, der keiner gewesen ist, endet die Serie. Obwohl faszinierend und sehr gut gespielt, lässt sich die Müdigkeit Doyles mit seiner Figur nicht verbergen. Holmes Aktion wirkt oft schemenhaft und erstaunlicherweise fehlt in Bretts Darstellung ein wenig der Ausdruck eines gehetzten, aber auch drogenabhängigen hochintelligenten Mannes. Trotzdem wirkt die Folge optisch beeindruckend. Das Team ist extra in die Schweiz gereist, um an den originalen Schauplätzen die Folge zu drehen. Ein würdiger Abschluss einer großartigen Serie.
Die Verfilmung der berühmten Kurzgeschichten ist sehr stark an der literarischen Vorlage orientiert. Die wenigen Veränderungen dienen in erster Linie der Ergänzung der zu kurzen Texte, merzen die Fehler Doyles aus oder machen aus Watson wieder einen Junggesellen. In seinem empfehlenswerten Bericht beschreibt Cox die verschiedenen Kämpfe mit Brett, der möglichst auch alle ursprünglichen Dialoge seiner Figur sprechen wollte. Neben der Authentizität der Folgen beeindrucken die sehr guten, typisch britischen Sets, die Vielzahl der Kostüme und Requisiten. Brett und Burke wachsen mehr und mehr in ihre aufgrund der Popularität und der Unzahl von Verfilmungen selten mit dem ursprünglichen Text in Zusammenhang gebrachten Rollen hinein. Dabei bleibt Brett ein eckiger, nicht immer angenehmer, aber oft überraschend emotionaler Holmes. Wen er über seine Tatorte kriecht, erinnert er an eine riesige, sehr agile Spinne. Das Bild eines hochintelligenten Exzentrikers, nicht unbedingt lebenstüchtig, aber von einer Mission besessen stellt er fehlerfrei dar. Burke als gemäßigter Watson hat es nicht immer leicht, neben dem Vulkan Jeremy Brett zu bestehen.
Koch Media hat sich viel Mühe mit der Ausstattung der DVD gegeben. Auch wenn auf den einzelnen Scheiben nur die Folgen sind, das Bild ist ungewöhnlich sauber und fehlerfrei für eine Serie dieses Alters, der Dolbyton klar. Es empfiehlt sich, die Folgen in ihrem schönen, alten und sehr sauber gesprochenen Englisch anzusehen. Es wäre schön, wenn in der Folgezeit auch noch die einzelnen Filme und anderen Staffeln in ähnlicher Ausstattung erscheinen. Mit dieser kompletten ersten Season kehrt der ursprüngliche Holmes in die Wohnzimmer zurück und trotz ein wenig Patina unterhalten die Geschichten auch mehr als einhundert Jahre nach ihrer Entstehung immer noch sehr, sehr gut.
DVD-Facts:
Bild: 1,33:1 (Vollbild)
Ton: deutsch Dolby Digital 2.0, englisch Dolby Digital 2.0
Untertitel: deutsch
DVD-Extras:
Eingearbeitetes erstmals veröffentlichtes Buch: