|
Stross, Charles: Accelerando (Buch)
Charles Stross
Accelerando
(Accelerando, 2005)
Übersetzung: Usch Kiausch
Titelbild: Stephane Martinière
Wilhelm Heyne Verlag, 2006, Taschenbuch, 546 Seiten, 8,95 EUR, ISBN 978-3-453-52195-7
Von Erik Schreiber
Manfred Macx ist ein Informationsbroker des 21. Jahrhunderts. Er handelt mit Ideen und ist bereit, jederzeit seine Ideen zu verschenken, oder so in die Rechte des freien Informationsaustausches einzubinden, das sie jedem zugänglich gemacht werden können. Manfred Macx ist geradezu besessen von der Idee, jederzeit auf Informationen und Wissen zurückgreifen zu können, ohne dafür bezahlen zu müssen. Die ganze Welt scheint sein Spielplatz zu werden. Menschen, die er mit seinen Ideen, die er so freizügig weiter reicht, reich gemacht hat, sorgen dafür, dass er Leben kann und sich nicht um so etwas lästiges wie Geld zu kümmern braucht. Dabei ist Manfred Macx schon fast gar nicht mehr als Mensch zu betrachten. Er ist so sehr mit Elektronik voll gestopft, dass man ihn fast mit einer Künstlichen Intelligenz verwechseln könnte. Er muss ständig den Zugang zu seiner Informationssphäre, einer Art weiterentwickelten Internet, haben, dass er sich Gehirnlos vorkommt, als er einmal den Kontakt verliert. Im Vergleich mit anderen ist er jedoch harmlos. Es gibt Menschen, die man nicht mehr so bezeichnen kann. Sie sind eher Borganismen (anscheinend eine Anlehnung an die Borg von „Star Trek“), dann gibt es echte Künstliche Intelligenzen, es gibt Aliens und ein virtuelles Netz. Aus diesem heraus oder hinein kann man seine Persönlichkeit hinein oder wieder herausladen. Damit können tote Menschen quasi unsterblich werden, denn eine Kopie wird es im Netz immer geben. Auf diese Weise gelangt man zu einer gewissen Unsterblichkeit.
Ein wichtiger Punkt dieses Romans ist sicherlich die Aussage, das die Informationsfreiheit über alles geht. Die politische Aussage hinter dieser Freiheit ist jedoch reichlich naiv. Diese Einfachheit, die Charles Stross propagiert, findet sich in dem italienischen Kommunisten Gianni wieder. Gianni hat es sich zur Aufgabe gemacht, dass die Knappheit von Gütern unterbunden wird. Ist etwas knapp, wird das Produkt teuer, verdient jemand damit viel Geld. Gianni will die Knappheit verschwinden lassen, was seiner Meinung nach dazu führen würde, dass alles in ausreichender Menge vorhanden ist und damit für jeden erschwinglich. Damit macht sich der Kommunist natürlich keine Freunde.
Charles Stross bietet eine Fontäne an alten Cyberpunk-Ideen, die er konsequent weiterdenkt. Vor allem mit der Künstlichen Intelligenz bietet er für sein Ideenfeuerwerk den richtigen Spielraum. Ich verstehe diesen Roman nicht unbedingt als einen auf einer Handlung basierenden, sondern eher als einen, der auf Ideen basiert. Angedachten, halb gedachten, aber nie wirklich zu Ende gebrachten Ideen.
Eine der wenigen Handlungsstränge, die man so bezeichnen kann, ist der mit Pamela. Seine, Macxs, Exfrau, ist Mitarbeiterin der amerikanischen Steuerbehörde, die bei Macx Geld eintreiben möchte, das er aber nicht hat und wenn, nicht dem Fiskus in den Rachen werfen will. So richtig lebt Manfred aber nur auf, wenn es darum geht, im Netz nach Informationen zu suchen und sich praktisch selbst als Datenpaket von Ort zu Ort sendet. Im Netz ist alles möglich. Selbst Weltraumreisen. Die Welt wie wir sie kennen verliert sich in sich selbst. Die Allmacht ist die Macht des Alls. Die Unendlichkeit des Kosmos bildet sich in der Unendlichkeit eines Informationsnetzes ab und hat genauso wenig Anfang wie Ende.
Die sprühende Phantasie von Charles Stross ist nicht zu bändigen. Kaum wurde ein Gedankenblitz geboren, spaltet er sich auf und bringt zwei oder mehr neue zur Welt.
Der vorliegende Band ist der dritte in Deutschland übersetzte Roman. Er ist vollgestopft mit allem, was man sich vorstellen kann. „Accelerando“ beschreibt die Zukunft, die man sich so nicht nur vorstellen, sondern, die auch so eintreten kann, wenn die richtigen Weichen gestellt werden. Frühe KIs auf der Basis neuraler Netze von Hummern befinden sich auf dem Weg ins All. Amber, Manfreds Tochter kann sich selbst im Netz abspeichern und mit jeder Kopie die herunter geladen wird, mehrere parallele Leben gleichzeitig führen.
Ich denke, in diesem Fall sollte man auch der Übersetzerin Beifall zollen. Ihre Arbeit macht es mir sehr viel leichter mit diesem Roman zurecht zu kommen, als wenn ich ihn mittels meines sehr schlechten Englisch in der Originalsprache hätte lesen müsste.
Zur Abwechslung kommt diesmal wieder die SF von den Britischen Inseln. Europäische Phantastik muss sich nicht unbedingt hinter dem amerikanischen Massenauswurf verstecken. Im Gegenteil.
hinzugefügt: October 8th 2006 Tester: Erik Schreiber Punkte: zugehöriger Link: Heyne Verlag Hits: 2642 Sprache:
[ Zurück zur Übersicht der Testberichte | Kommentar schreiben ] |
|