Uncertain Guest – Du bist nicht allein
Spanien 2004, Regie: Guillem Morales, mit Andoni Gracia, Mónica López, Francesc Garrido u.a.
Von Thomas Harbach
Obwohl es für viele unbegreiflich ist, verfügt Spanien vor England wahrscheinlich über die auch heute noch innovativsten phantastischen Filmemacher Europas. Das zeigt nicht zuletzt „Open your Eyes“ – einer über weite Strecken intelligentn Science Fiction-Geschichte – oder der überdrehte und manchmal ins phantastische abgleitenden Film „Alex de la Iglesias“. Dazwischen finden sich immer wieder interessante Perlen sehenswerter Debütanten oder ein neuer Jess Franco oder Paul Nachy. In den letzten Jahren konnte das alljährliche „Fantasy Film Festival“ mit seiner Auswahl spanischer Filme durchweg überzeugen, im Fall von „Uncertain Guest“ – ein sehr unglücklicher Titel für die deutsche Veröffentlichung, „Der heimliche Gast“ hätte deutlicher besser gepasst – folgt ein Debütant der Tradition Roman Polanskis und Alfred Hitch*****, landet aber eher bei den dunklen modernen Film Noir Filmen John Dahls, allerdings vor dem ehrfürchtigen Hintergrund alter spanischer Villen. Guillem Morales ist 1975 in Barcelona geboren worden. Seit dem Jahr 1999 drehte er eine Reihe von Kurzfilmen, von denen einige auf entsprechenden Samplern auch in den USA erschienen sind. „Uncertain Guest“ ist seine erste längere Arbeit. Zusätzlich zur Regie verfasste er auch für diese über weite Strecken sehr intime Studie menschlicher Abgründe das Drehbuch.
Insbesondere zu Beginn des Films macht es Morales seinen Zuschauern nicht leicht, sich ein Bild von seinen Protagonisten zu machen. Im Mittelpunkt der Handlung steht der junge Architekt Felix – Andoni Gracia liefert eine hervorragende, sehr nuancierte Darstellung ab -, von dem sich vor zwei Monaten seine Freundin getrennt hat. Diese kann weder mit ihm noch in seinem großen, einsamen Haus leben. Die Gründe der Trennung bleiben sowohl für die Zuschauer, als auch die Protagonisten im Dunkeln. Beide können weder ihre emotionalen Stimmungen in Worte fassen, noch eine Basis der Kommunikation finden. Spätere Versuche enden in einer eher verzweifelten Liebesnacht, in der insbesondere seine Ex- Freundin ihre innere Leere auszudrücken sucht und folgerichtig im Streit. Felix dagegen vegetiert in seinem großen, sterilen Haus dahin, ihm ist es wichtig, alles unter Kontrolle zu haben und sich von seiner Umwelt abschotten zu können. Nicht zuletzt versteckt er seine Arbeit in einem Geheimzimmer hinter einer Bücherwand.
Mit subtilen Gesten zeichnet das Drehbuch ein ambivalentes, aber interessantes Portrait dieses Außenseiters. Morales legt sich ganz bewusst nicht fest, gibt dem Zuschauer nicht die Möglichkeit, den Charakter auch nur in Ansätzen zu verstehen. Vorzüglich isoliert die Kamera ihn von jedem Kontakt mit seiner Umwelt.
Eines Tages klingelt ein unbekannter Mann an seiner Haustür und bittet ihn, sein Telefon benutzen zu können. Nach anfänglichem Zögern erlaubt es Felix und zieht sich aus Diskretionsgründen zurück. Als er einen Moment später nach seinem Gast schauen will, ist das Zimmer leer und der Mann verschwunden. Er durchsucht hektisch das Haus, sucht die Telefonzelle an der Straße auf, die entgegen der Aussage des Fremden nicht kaputt ist und schließt sich in seiner Villa ein. Er versucht den Vorfall zu vergessen, doch immer wieder vernimmt er in seinem Haus Geräusche, die auf einen weiteren Bewohner hindeuten.
Soweit die Ausgangslage dieses Thrillers. Die Kamera folgt Felix, wenn dieser hektisch auf der Suche nach der Quelle der Geräusche durch die dunklen Räume und endlosen Gänge seiner Villa streift. Mit interessanten Licht/Schattenspielen suggeriert die Kamera einen aufkommenden Wahnsinn. Immer mehr entlarvt sich Felix als lebensuntüchtiger, verunsicherter junger Mann. Als es ihn seinem Haus zu einem schrecklichen Unfall mit Todesfolge kommt, glaubt er, einen Mörder zu beherbergen. Ein unscheinbarer Schatten wird zur Bedrohung und löst eine verhängnisvolle Kette von Ereignissen aus.
Bis zur Mitte des Films erinnert das Schauspiel weniger an Alfred Hitch*****, als an Roman Polankis „Ekel“ mit der unvergleichlichen Catherine Deneuve. Sowohl Felix als auch die Deneuve sind scheue, lebensuntüchtige Menschen, insbesondere die Szene auf der Polizeistation, in welcher Felix am liebsten – obwohl unschuldig am Todesfall – eine Nacht in Untersuchungshaft verbringen möchte, zeigt seine fast devote Haltung jeglicher Obrigkeit gegenüber. Die Kamerafahrten sind effektiv, wenn auch an mancher Stelle eher konstruiert, als die Handlung fördernd. Warum macht er nicht Licht? Diese Frage bleibt unbeantwortet, unterstützt aber das sehr subtile Spiel krankhafter Phantasie und übersteigerter Selbstzweifel.
Kaum ist der erste Höhepunkt des Films überwunden, ändert sich die Perspektive. Aus dem Opfer Felix wird ein Täter. Er dringt, von seiner Zeichnung geleitet, in ein anderes Haus ein. Dort wohnen eine gelähmte Frau und wahrscheinlich auch sein nächtlicher Besucher. Aus dem puren Thriller wird eine perverse Beziehungsgeschichte. Felix macht es sich in dem Haus bequem. Mit schwarzem Humor zeigt die Kamera ihn mehrmals auf der Flucht vor der nichts ahnenden behinderten Bewohnerin. In anderen Szenen wird er zum ordentlichen Hausmann und räumt hinter seiner „Partnerin“ her. Zu den effektivsten Szenen gehören die gemeinsamen Fernsehabende – er schaut aus dem toten Winkel über ihre Schulter abwesend lächelnd zu – und das morgendliche Frühstück. Er sieht ihr zu, als sie sich im Rollstuhl selbst befriedigt, im übertragenen Sinne ist aus einer Zweckgemeinschaft für Felix eine Liebesgeschichte geworden. Diese absurde Beziehungsgeschichte kumuliert schließlich am Tag der Geburtsfeier. Felix gibt sein Versteckt auf, als er seine Partnerin bedroht sieht, wird aber zunächst unter den vielen Gästen nicht erkannt.
Es ist erstaunlich, wie schnell und scheinbar nahtlos Morales zwischen den Genrefronten hin und her wechselt. Kaum glaubt der Zuschauer, dem Drehbuch wieder einen Schritt voraus zu sein, wechselt er die Perspektive und macht aus der absurden Liebesgeschichte wieder einen dunklen, nihilistischen Thriller. In der Liebesgeschichte steckt aber auch die Möglichkeit einer zweiten Chance. Nicht umsonst und in der Tradition Vertigos lässt Morales Monica Lopez beide Rollen spielen. Einmal blond, sportlich und agil, dann rothaarig, schön, aber an den Rollstuhl gebunden. Felix reagiert sofort auf die rothaarige Claudia, er verliebt sich ein zweites Mal in seine Freundin – so erscheint es ihm auf den ersten Blick – gleichzeitig kann er sie aber durch den tragischen Unfall und den Rollstuhl zukünftig „unter Kontrolle“ halten. Während Claudia noch nichts von ihrem heimlichen neuen Lebenspartner ahnt, agiert dieser sehr eifersüchtig auf seine Umwelt. Diese zusätzliche Komponente hebt den Film von klassischen Filmen über schizoide Mörder oder Gewalttäter ab. Sowohl in der Personenkonstellation als auch der Auflösung des Films – bis zum blutigen und mannigfaltigen Showdown, der ein letztes und endgültiges Mal Felixs absonderliche Vorstellungen durcheinander, aber auch auf makabere Weise korrigieren wird – bleibt das Drehbuch vage, das beklemmende Gefühl beim Zuschauer hält über die Endcredits hinaus an.
Unabhängig von der Konzeption des Films lebt dieser Film von seinen unauffälligen, aber hervorragenden Sets. Der Zuschauer – und auch der Hauptprotagonist- haben das Gefühl, insbesondere von der alten Villa verschluckt zu werden. Sehr subtil vollzieht sich die Wandlung von einem seelenlosen, aber zumindest wohnlichen Haus zu einem komplizierten Labyrinth und schließlich zu einem gefährlichen, ungastlichen Ort. Dabei wirkt das Ambiente alles andere als steril, es werden Erinnerungen geweckt an den herausragenden spanischen Thriller „The House with windows that laugh“, in welchem unter der Regie von Pupi Avati ein kleines Dorf zu einem scheinbar fremden Platz auf Erden wird.
Sein Drehbuch zwingt Morales allerdings auch, eine Reihe von Kompromissen einzugehen. So wirkt seine Auflösung des komplexen, oft zu komplizierten Plots zwar effektiv, aber nicht unbedingt logisch. Der verschwundene Besucher bekommt auf einen Seite zumindest eine Erklärung zugeordnet, im Rahmen des Geschehens macht diese aber wenig Sinn. Er hätte sich auch anders absichern können. Warum ist er an dem Ort geblieben, an welchem sein Leben bedroht wird? Warum sind die Türen im Keller geschlossen, wenn anscheinend niemand nach ihm diesen Weg gegangen ist? Woran ist er wirklich gestorben? Alles Fragen, auf die das effektive Drehbuch keine Antwort geben kann oder will. Geschickt werden die beiden Handlungsorte verbunden und der Zuschauer ahnt einen Augenblick vor Felix, wer der zweite uneingeladene Gast sein könnte. Aber auch hier hält das Drehbuch eine perverse und im Gesamtkontext unangemessene Pointe bereit. Mit einer verstörenden Kamerafahrt und einem beklemmenden inneren Monolog beendet Morales seine dunkle Liebesgeschichte. Obwohl alle seine Figuren einsam sind – das drückt sich zwar unterschiedlich aus, aber selbst in Beziehungen wirken seine Protagonisten isoliert und können weder wahre Liebe geben noch empfinden – geht es ihm mehr um bodenständigere Themen wie die Versuchung des Voyeurismus. In Felix legt er diese Züge von Beginn an fest. Mit fast perverser Freude erkundigt er sich nach der neuen Wohnung seiner Ex- Freundin. Ein Einzimmerapartment in einem großen Wohnblick, mit einer Treppe direkt vor dem Wohnzimmerfenster. Kaum hat er ihre Anschrift in Erfahrung gebracht, kann er der Versuchung nicht widerstehen, sie dort zu besuchen. Er nimmt ihre Lebensumstände mit gemischten Gefühlen auf und versucht seine heimliche Freunde nicht zu offensichtlich auszudrücken. Diese Vorgänge wiederholen sich im Haus der behinderten Frau. Anfangs neu scheu übernimmt er mehr und mehr das Kommando, beginnt sich in dem Haus breitzumachen und seine eigene Existenz als gewollt und gegeben darzustellen. Hier fehlt dem Film der Brückenschlag zu seiner eigenen Wohnung. Der Zuschauer könnte sich auch eine Art spanischen Anarchiethriller in der Tradition des „Fight Clubs“ vorstellen, eine neue Generation von Menschen übernimmt einfach anderer Menschen Wohnungen/ Häuser und später ihre Existenz. Leider führt das Drehbuch diese Idee nicht weiter aus und beendet den Film in der Tradition Alfred Hitch*****s. Hinter jeder Mauer kann ein tödliches Geheimnis lauern und Verbrechen zahlt sich nicht aus. Ob dieses Verbrechen bewusst oder im Affekt begangen worden ist, spielt zumindest in diesem Film keine Rolle. Morales inszeniert seinen vielschichtigen, aber nicht gänzlich befriedigenden Thriller für einen Erstling überraschend sicher. Insbesondere die erste Hälfte des Films beherrschen zum Teil klassische Gruselelemente und die Schrecksequenzen sind nicht zuletzt durch eine intelligente Mischung aus Andeutungen und entsprechend beunruhigenden Hintergrundgeräuschen ungemein effektiv. Bei den Darstellern drängt Andoni Gracia seine Kollegen in den Hintergrund. Sei es schelmisches Vergnügen oder blanke Angst – das Spektrum seiner Darstellung ist erstaunlich überzeugend, nuanciert wo nötig und überdreht wo angebracht. Der Zuschauer nimmt ihm diese interessante, aber mit wenig Hintergrund ausgestatte Figur ab. Die beiden weiblichen Hauptrollen – dargestellt von Monica Lopez in einer Doppelrolle ist eine unbekannte, aber gute Schauspielerin – haben es deutlich schwerer. Ihre Rollen lassen ihnen nicht viel Raum zur Entfaltung, in erster Linie reagieren sie auf Felix verschiedene Wesenszüge, können sich aber nur selten von alleine entfalten. Die zweite Hälfte des Films wirkt zu ambitioniert, Morales hat sich bemüht, wirklich alle Fragen zu beantworten und scheitert im Nachhinein an dieser Aufgabe. Solange der Zuschauer dem Geschehen folgt, wird er in der Tradition von „The Others“ sehr gut unterhalten, manchmal ein wenig erschreckt und mehr als einmal erwischt man sich selbst, welches Vergnügen das Zuschauen bereiten kann. Zumindest in einer Sequenz eine deutliche Hommage an den unvergessenen Peter Sellers in seiner letzten Rolle. „Ich schaue gerne zu“ war eine der einfachen, von der Öffentlichkeit mit übertriebener Begeisterung aufgenommenen Botschaften. Dem „Uncertain Guest“ kann man gut zuschauen…
Neben einhundert Bildern von den Dreharbeiten und dem Set findet sich der originale untertitelte Kinotrailer auf der DVD. Die Betonung liegt auf einem Thriller mit Gruselelementen, insbesondere die Liebesgeschichte in der zweiten Hälfte des Films findet keine Erwähnung. Dazu kommt noch ein interessantes Making Of. Sowohl der Regisseur als auch die Hauptdarsteller fassen zu Beginn des Featurettes den Film und dessen Intention kurz zusammen. Im Hintergrund laufen eine Reihe von Szenen ab. Die Interpretationsmöglichkeiten sind ansprechend und versuchen, möglichst wenig von der Handlung zu verraten. Interessanter sind die Aufnahmen von den Sets, die enge Zusammenarbeit zwischen den Dekorateuren und der Regie. Anscheinend hat sich die überwiegend sehr junge Mannschaft vor und hinter der Kamera sehr gut verstanden. Man versucht nicht, den Film als Meisterwerk zu charakterisieren, sondern als gelungene harmonische Arbeit, die den Zuschauern gehobene Unterhaltung bietet. Zumindest dieses Ziel ist nicht zuletzt aufgrund des intelligenten Drehbuchs mehr als erreicht worden. Bild und Ton dieser DVD sind exemplarisch für einen Low Budget-Thriller.
DVD-Facts:
Bild: 1,85:1 (Widescreen anamorph)
Ton: deutsch Dolby Digital 5.1, spanisch Dolby Digital 2.0
DVD-Extras:
Making of, Bildergalerie