Quiet Earth - Das letzte Experiment
Neuseeland 1985, Regie: Geoff Murphy, mit Bruno Lawrence, Alison Routledge, Pete Smith u.a.
(Ab dem 27. Oktober 2006 als Kauf-DVD erhältlich)
Von Thomas Harbach
Einer der besseren, aber in den Intention verschenkten Post-Doomsday-Filme – Stanley Kramers „On the Beach“ – endet mit dem letzten amerikanischen U-Boot auf der Fahrt von der durch eine radioaktive Wolke bedrohten letzten Fluchtburg der Menschen Australien hinaus in die offene See.
Knappe 25 Jahre später setzt sich mit „The Quiet Earth“ der Neuseeländer Geoff Murphy auf eine zumindest auf den ersten Blick andere Art der Selbstvernichtung der Menschheit auseinander. Wieder kritisch gegenüber den Großmächten verhehlt er in Person seines Protagonisten – des Wissenschaftlers Zac – nicht, dass im Zuge des kontinuierlichen technologischen Fortschritts die reine Unschuld der Forschung eine Farce ist. Der Film ist 1985 in Neuseeland gedreht worden und stellt zumindest im frühen Werk Murphys eine geschickte Extrapolation seiner Intentionen dar. Er startete seiner Karriere mit dem amüsant–traurigen „Goodbye Pork Pie“, eine anarchistischer, gegen das Establishment angehender Road Movie – auf Neuseelands engen Straßen – mit bizarrem, oft sarkastischem Humor. Über viele Jahre ein Kassenschlager Down Under. Drei Jahre folgte mit „Utu“ ein historisches Drama, in dem er sich den Maori-Kriegen des Jahres 1840 annahm und diese in Form und der Tradition eines epischen Westerns erzählt. Ein knappes Jahr später folgte mit „The Quiet Earth“ Murphys internationaler Durchbruch und künstlerischer Abstieg. In den USA folgten so belanglose Actionwerke wie „Young Guns II“ oder „Under Siege II“. Wie viele andere gescheiterte Regisseure kehrte Murphy desillusioniert nach Neuseeland zurück und arbeitete als Second Unit Regisseur für Peter Jackson an allen drei „Herr der Ringe“-Filmen mit. Seine bislang letzt Arbeit ist der Verschwörungsthriller mit einem eher lächerlichen, als packenden Drehbuch „Spooked“.
„The Quiet Earth“ ist ein klassischer „Ende der Welt“-Film. Dabei verzichtet Murphy auf die noch in den Startlöchern stehenden brutalen Italo-Epen in der Tradition des „Road Warriors“ – nur einen kleinen Sprung weiter in Australien gedreht – und kehrt zu den Wurzeln des Genres in den fünfziger Jahren zurück. Nicht nur aus budgettechnischen Gründen konzentrierte man sich im Gefolge von Richard Mathesons herausragendem Roman „I am Legend“ auf eine Handvoll von Überlebenden nach dem dritten Weltkrieg oder einer Seuche. Filme wie „Five“ (1951), „Day the World Ended“ (1955) mit einem eher lächerlichen und unnötigen Monster, „The Last Woman on Earth“ (1960) oder der ersten Verfilmung des Richard Mathesons Buch „Last Man on Earth“ (1964). Murphy übernimmt als kritische Grundlage und Hommage gleichzeitig aber noch Elemente zweier anderer, in ihrer Ausrichtung sehr unterschiedlicher Filme. Zum einen natürlich Charlton Hestons „Der Omega-Mann“ mit dem Portrait eines verbitterten Außenseiters, beide Wissenschaftler, die mit immer stärker werdender Verzweifelung gegen die Einsamkeit kämpfen. Insbesondere die Anfangsszenen beider Filme könnten in einer Parallelmontage ein beängstigendes, aber faszinierendes Portrait des einsamen Überlebenden bilden. Dazu kommt aber auch der heute in erster Linie durch Harry Belafonte in einer ernsten Rolle noch bekannte „The World, the Flesh and the Devil“ (1958), der eine brüchige Lebens- und Zweckgemeinschaft zwischen einem schwarzen Mann, einem weißen Mann und einer weißen Frau in einer menschenleeren Stadt beschreibt. Sehr konsequent, aber nicht unbedingt immer Ziel gerichtet setzt sich dieser Film mit Vorurteilen und Beziehungen zwischen Vertretern unterschiedlicher Rassen auseinander. Wie viele dieser Werke überzeugt „The Quiet Earth“ weniger in seinen politischen Aussagen, als der Darstellung der kargen Seelenlandschaft vor dem Hintergrund verlassener, aber nicht zerstörter Städte. Diese Entkleidung der Zivilisation von ihrem wichtigsten Bestandteil, dem Menschen, hinterlässt beim Zuschauer ein beklemmendes, ein sehr beunruhigendes Gefühl der Depression. Murphy hat nach den Dreharbeiten den Film im Studio komplett nachsynchronisiert, um keine unerwünschten Hintergrundgeräusche im Film zu belassen.
Die Neuveröffentlichung der DVD ist die erste Möglichkeit seit vielen Jahren, den Film mit einem intakten Stereo-Ton zu sehen. Insbesondere das plötzliche Eindringen vertrauter Geräusche – das Klingeln eines Telefons oder eine Cola-Dose, die der Wind über die Straße weht – unterstreicht die nihilistische Atmosphäre und das Gefühl, dass alles zu Ende ist.
Es sind die Szenen, die Zac als isolierten Einzelgänger auf einem schmalen Grad zwischen Wahnsinn und Verzweifelung wandernd zeigen, die am effektivsten sind. In einer Art Collage untersucht Murphy erst einmal die jetzt nicht mehr bestehenden menschlichen Grenzen: er wandernd durch den Regen, Saxophon spielend, er fährt mit einem richtigen Zug durch die Gegend, als wäre es eine Spielzeugeisenbahn und erfüllt sich den Wunsch eines jeden Jungens, schließlich trägt er Damenunterwäsche und nimmt sich alles, was sein Herz begehrt. Trotz dieses Schlaraffenlandes fühlt er sich innerlich leer. Bitterer Höhepunkt ist sein Auftritt in einer Kirche, als er „Ich bin Gott“ ausruft. Die Szenen sind trotz oder gerade wegen ihres ernsten Inhalts mit einem gehörigen Schuss schwarzen Humors unterlegt und funktionieren nur auf diese Weise. Sehr subtil wird allerdings angedeutet, dass Zac in seiner Position als Wissenschaftler nicht ganz unschuldig an den Ereignissen ist. Zwar wird die Verantwortung in erster Linie in die Hände der rücksichtslosen, experimentierfreudigen Amerikaner gelegt, aber Zac verteidigt seine eigene Handlungsweise mit dem schwachen Argument, die Amerikaner hätten ihm nicht alle Informationen zur Verfügung gestellt. Nur ein Selbstmordversuch in der Nacht des Experiments hat ihn schließlich vor einem ähnlichen Schicksal – dabei wird im Verlaufe niemals differenziert das Schicksal der Milliarden verschwundener Menschen angesprochen – bewahrt.
Nicht unbedingt überraschend wird der Film deutlich weniger interessant, als Zac auf weitere Überlebende trifft. Im Gegensatz zu „The World, the Flesh and the Devil“ ist diese Dreiecksliebesgeschichte weniger schockierend, aber vor allem auch weniger überraschend. Obwohl Routlegdes eher bodenständige Darstellung und Peter Smith sehr aggressiver Charakter eine interessante „Einheit“, funktioniert weder die Chemie, noch ist sich Murphy insbesondere einig, in welche Richtung er voranschreiten möchte. Während die interessante Ausgangssituation noch auf einem Roman Craig Harrisons basierte, zeigt sich an diesen Stellen, dass die Improvisation – ein großer Teil des Films wurde während der Dreharbeiten geschrieben bzw. umgeschrieben – in Bezug auf die Charaktere kontraproduktiv ist. Natürlich versteckt sich hinter dem Verhalten der einzigen überlebenden Frau nicht nur eine – aus männlicher Sicht – so typische Haltung. Solange es nur noch einen Mann auf Erden gibt, kann er als Beschützer herhalten, auch wenn man weder seinen Charakter noch seine Handlungsweise verstehen oder gar mögen kann. Taucht allerdings ein zweiter Mann auf, lässt sich der erste schnell austauschen. Nach diesem Prinzip funktioniert die zweite Hälfte des Films. Den Hinweis, dass ausgerechnet der Ureinwohner jetzt wieder die weiße Frau sein Eigen nennen kann und darf, wird insbesondere in Neuseeland mancher Zuschauer mit einer gewissen Befriedigung zur Kenntnis genommen haben. Schließlich haben die weißen Eindringlinge vor knappen dreihundert Jahren auch den Ureinwohnern ihre Frau gestohlen. Eine etwas zu simple Botschaft vor einem nihilistischen Hintergrund, aber zumindest im Wesen des Menschen hat sich auch nach der ultimativen Katastrophe nicht viel geändert.
Oberflächliche Ähnlichkeit besteht zu dem ebenfalls sehr ironisch übersteuerten, mit einer allerdings effektiveren Pointe versehenen „A Boy and his Dog“. In beiden Filmen – hier auf eine Dreiergruppe reduziert, aber in Ansätzen deutlich erkennbar, dort findet sich eine in einem Bunker lebende aussterbende Gruppe von Menschen, die jegliche Moral in ihrem dekadenten Verhalten aufgegeben haben – reduziert sich die große Katastrophe auf ein klaustrophobisches, schockierendes Kammerspiel, der Mantel der Zivilisation ist endgültig abgefallen.
Der Film verzichtet gänzlich auf die im Roman markante Reise in das Innere. Zumindest phasenweise erinnert Harrisons Vorgehensweise an die auch heute noch Meilensteinartigen das Genre verändernden Romane Ballards aus den sechziger Jahren. Fairerweise muss hier allerdings auch eingestanden werden, dass eine konsequente Umsetzung dieser Strukturen nur für ein Arthouse-Publikum wirklich interessant gewesen wäre und aus dem nicht unbedingt erfolgreichen Film ein kommerzielles Desaster gemacht hätte. Strukturell ist allerdings der Verzicht auf die Reise ins Innere der einzelnen Charaktere ein zu starker Bruch zum letzten, philosophisch esoterischen Ende. Wieder tritt eine Änderung der Raum- Zeitkonstante auf. Plötzlich findet sich der Protagonist an einem weiten Strand und blickt auf einem beringten Planeten direkt oberhalb des Horizontes. Was eine interessante Komponente der Katastrophe und ihrer unerklärten/ unerklärlichen Folgen sein könnte, wird durch das Poster unnötig vorweggenommen. In der Tradition „2001“, aber natürlich ohne dessen Auswirkungen verzichtet das Drehbuch auf jegliche Erklärungen und versucht die Zuschauer mit einer Reihe interessanter Bilder zu beeindrucken. Murphy versucht sicherlich mit dieser Art des übernatürlichen, unerklärlichen Ende der Tradition Peter Weirs „Picnic at Hanging Rock“ oder Tarkowskys „Solaris“ zu folgen, aber ihm fehlt die innere Kraft, um diese Vision wirklich glaubhaft darzustellen. Nach der eher bodenständigen Exposition beginnt der Zuschauer, sich zu viele elementare Fragen zu stellen und verliert den Bezug zum Plot. Dadurch wirkt das Ende des Films auch nicht unbedingt wie der Anfang zu etwas Neuem, Aufregendem – obwohl die Prämisse mit dem Übergang in eine neue, andere Welt durchaus Dimensionen von „2001“ annehmen könnte - , sondern erzwungen und aus der Not geboren. Den Übertrag von einer klassischen Weltuntergangsgeschichte zu einer in diesem Fall postnuklearen Existenz kann Murphy auch mit seinen für das Budget eindrucksvollen Bildern nicht im Ansatz einfangen.
„The Quiet Earth“ überzeugt selbst zwanzig Jahre nach seiner Entstehung eher durch Bemühen als Perfektion. Murphy nutzt das limitierte Budget zur Genüge, insbesondere die Szenen in den leeren Straßen, das Gefühl fast erdrückender Einsamkeit und schließlich die Erkenntnis seines Protagonisten, an der Katastrophe mit Schuld zu sein, gehören zu den besseren Szenen der Post-Doomsday-Filme. Einen nicht zu verachtenden Teil zum Gelingen des Films tragen die fremdartige Landschaft, im Original die ungewöhnlichen Akzente und zumindest ansatzweise die Konzentration auf im Grunde unsympathische, egoistische und deshalb überzeugende Protagonisten bei. Trotz eines offenen Endes überträgt die Kamera die nihilistische Endzeitatmosphäre auch in die nächste Welt und die Konzeption des Films hinterlässt berechtigte Zweifel, dass die Menschheit/ der Mensch wirklich aus dem Geschehen etwas gelernt hat. Das immer wieder veränderte Drehbuch gehört zu den Schwächen des Films. An einigen Stellen vertraut der Regisseur zu sehr dem Einsatz von Symbolen und Metaphern. Genauso unglaubwürdig klingen Zacs Selbstzweifel, auf der einen Seite von den Amerikanern nicht rechtzeitig oder vollständig informiert gewesen zu sein, auf der anderen Seite aber zumindest das Experiment verhindern zu wollen. Zumindest in dieser Konzentration schließt das eine das andere aus.
Das Bild der DVD wirkt ein wenig angestaubt, der Ton ist allerdings kraftvoll und überzeugt besonders in den besinnlichen Phasen zu Beginn des Films. Neben einem Kinotrailer – hier zeigt sich die obligatorische Schwierigkeit, den Film wirklich einem Genre zuzuordnen – ist das einzige weitere Extra ein Audiokommentar von Sam Pillsbury, dem Produzenten und Co-Autoren. Sehr geschickt beginnt er seinen unterhaltsamen Bericht mit dem Roman und bemüht sich, die Unterschiede und Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten. Er gibt ein umfassendes Bild von den Dreharbeiten und der Zusammenarbeit mit George Murphy. Es handelt sich ja um eine klassische Low Budget-Produktion und Pillsbury beschreibt den alltäglichen Kampf mit dem Geld, dem Plan und leider zu optimistisch dem Drehbuch. Im letzten Teil des Films bemüht er sich eher um Interpretationsversuche als das er wirklich überzeugend die Intention hinter dem Plot erklären kann.
Trotz einiger Schwächen gehört „The Quiet Earth“ zu den besseren Science Fiction-Filmen der achtziger Jahre, hebt sich deutlich aus dem „Star Wars“-Getümmel mit einer zumindest zu Beginn intellektuell ansprechenden Handlung und einer Reihe ironischer Seitenhiebe ab. Die Neuveröffentlichung auf DVD restauriert den Film im richtigen Format so gut wie möglich, der Audiokommentar rundet das ansprechende Bild ab.
DVD-Facts:
Bild: 1,85:1 Widescreen (anamorph 16:9)
Ton: deutsch Dolby Digital 2.0 Mono und 5.1, englisch Dolby Digital 2.0 Mono und 5.1, Audiokommentar englisch Dolby Digital 2.0
DVD-Extras:
Audiokommentar