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Kostick, Conor: Epic (Buch)
Conor Kostick
Epic
Aus dem Irischen von Peter Knecht
Titelgestaltung von Jan Buchholz
Verlag Friedrich Oetinger, 2006, Hardcover, 355 Seiten, 14,90 EUR, ISBN 978-3-7891-4035-9 bzw. 3-7891-4035-3
Von Irene Salzmann
Auf Neuerde bestimmt das Computerspiel Epic über das Leben der Menschen. Nicht diejenigen, die fleißig lernen und arbeiten, genießen den Wohlstand, sondern jene, die erfolgreich Epic spielen. Die Beschäftigung damit lässt viele ihre eigentlichen Aufgaben vernachlässigen, denn man hat nur dann mit einem Anliegen eine Chance vor dem Zentralen Lenkungskomitee, wenn man über eine starke, reiche Figur verfügt und notfalls seine Wünsche bei einem Duell durchsetzen kann.
Erics Familie soll auseinander gerissen werden nach dem Spiel-Tod seiner Mutter Freya, die vergeblich für wichtige Arbeitsgeräte gekämpft hat. Der Junge ist jedoch nicht allein deshalb niedergeschlagen. Warum nur spielt sein Vater nicht? Welches Geheimnis hütet Harald, über das niemand sprechen will? Der scheinbare Mangel an Vertrauen setzt Eric besonders zu.
Schließlich geschieht das Unerwartete: Harald beschließt, unterstützt von einigen Freunden, zu spielen, um zu verhindern, dass die Familie sich trennen muss und um bessere Bedingungen für ihr kleines Dorf zu gewinnen. Die besten Spieler des Zentralen Lenkungskomittees treten gegen sie an – und werden zur Aufgabe gezwungen. Die Zuschauer sind begeistert und schöpfen neue Hoffnung für die Zukunft. Doch der Preis, den Harald zahlen muss, ist hoch. Seine wahre Identität wird aufgedeckt, und da er einst gegen das Gesetz der Gewaltlosigkeit verstieß, wird er verbannt auf eine entlegene Insel, auf der nur so genannte Verbrecher in größter Armut hausen.
Zusammen mit seinen Eltern und Freunden schmiedet Eric Pläne, um seinen Vater zu befreien. Zunächst sieht es nicht danach aus, als ob die Jugendlichen eine Chance hätten. Eric ist bloß ein mittelmäßiger Spieler, und seine neue Figur – Cindella ist ein weiblicher Charakter, der durch Attribute wie Schönheit auffällt, was ungewöhnlich ist, da man nach gängiger Meinung Kampfkraft und mächtige Waffen benötigt, um siegen zu können – scheint alles andere als nützlich bei diesem Vorhaben zu sein. Schon bald jedoch macht Eric einige erstaunliche Beobachtungen: Die computergesteuerten Nebenfiguren reagieren auf Cindella, beschenken sie und geben ihr nützliche Informationen. Auch findet er heraus, wie man einen Drachen besiegen und an seinen Hort gelangen kann.
Der überraschende Erfolg der Jugendlichen lässt das Zentrale Lenkungskomitee um seine Macht fürchten. Nachdem alle Versuche, die neuen Helden zu manipulieren, misslingen, greifen die Oligarchen zu unfairen Mitteln. Es gibt eine geheime Figur, die jeden unbequemen Gegner vernichten kann – und das nicht nur im Spiel. Doch Eric wird gewarnt und findet Helfer für seinen Kampf, bei dem es nicht mehr um Epic sondern um das Schicksal von Neuerde geht.
„Epic“ ist ein Jugendbuch, das so spannend und gar nicht kindlich geschrieben ist, dass auch erwachsene Leser gut unterhalten werden. Die Mischung aus SF (Kolonisten leben auf einem fernen, erdähnlichen Planeten, und ein Computerspiel regelt den Alltag) und Fantasy (der Verlust vieler technischer Errungenschaften führt zu mittelalterlichen Lebensumständen und Gesellschaftsstrukturen, Epic ist ein Fantasy-Game) spricht die Leser beider Genres und begeisterte Spieler an, die Anregungen für ihre Games suchen.
Das Thema ist nicht neu. Schon in anderen Büchern und Filmen entwickelte sich ein Roman oder ein Game zu einer Ersatz-Bibel und bestimmte über das reale Leben oder lenkte das ganze Interesse der Menschen auf eine Traumwelt, so dass wichtigen Ereignissen keinerlei Aufmerksamkeit mehr geschenkt wurde (z.B. in „Star Trek“ und „Perry Rhodan“). Auch in „Epic“ zieht ein Spiel, das ursprünglich den Kolonisten auf ihrer langen Reise ein wenig Zerstreuung bieten sollte, die Menschen derart in den Bann, dass sie in jeder Generation auf einen niedrigeren technischen und kulturellen Stand zurückfallen.
Niemand kümmert sich um eine gerechte Verteilung der Ressourcen, die Erhaltung und den Neubau dringend benötigter Geräte, das Aneignen verloren gegangener Kenntnisse. Stattdessen widmen sich die Wissenschaftler der Erforschung des Spiels und neuer Strategien, die einfachen Menschen müssen in Epic kämpfen und Schätze finden, um in der Realität Krankheiten behandeln lassen zu können und bei der Verteilung von Maschinen berücksichtigt zu werden. Nur wer ein erfolgreicher Spieler ist, genießt Privilegien, kann auf Wohlstand und – vielleicht – einen Sitz im Zentralen Lenkungskomittee hoffen. Wer ihn erst einmal innehat, ist nicht mehr daran interessiert, die Zustände zu ändern, sondern verteidigt seine Macht mitunter ohne jegliche Skrupel und ohne Rücksicht auf das Gesetz der Gewaltlosigkeit.
Diejenigen, die Epic zu einer Art Gesetz erhoben, sahen gewisse Vorzüge: Konflikte werden in einer virtuellen Arena ausgetragen, physische Gewalt ist tabu. Die Verteilung der Ressourcen soll gerecht und gemäß der Bedürfnisse verlaufen. Wer ein Anliegen hat, kann sich durch ein Duell Gehör verschaffen und das Benötigte zugeteilt bekommen. Tatsächlich jedoch wurde die Regelung sehr schnell durch den Egoismus des Einzelnen pervertiert. Korruption, Ungerechtigkeit und Willkür zogen durch die Hintertür in dieses Utopia ein. Die Menschen von Neuerde müssen lebenswichtige Entscheidungen dem Ausgang eines unsinnigen Spiels überlassen und haben keine reelle Chance auf die Durchsetzung ihrer Forderungen oder gar einen Aufstieg, da kein normaler Bürger den überlegenen Vorsprung der Reichen und Mächtigen einzuholen vermag. Wer sich auflehnt, wird bestraft, schlimmstenfalls verbannt.
Die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Folgen stellen die Weichen für den langfristigen Untergang der Kolonie. Nur Einzelne begreifen die Zusammenhänge, sind jedoch zu schwach, um etwas verändern zu können. Erst als Eric, die Hauptfigur, völlig neue Wege in Epic beschreitet und immer mehr unzufriedene Menschen durch seine beeindruckende Erfolge mitreißen kann, beginnen viele aufzuwachen. Da ihnen physische Gewalt fremd ist, müssen sie so kämpfen, wie sie es gewöhnt sind, doch der Gegner spielt mit unfairen Mitteln, und eine dritte, in sich zerrissene Kraft mischt mit.
Der Autor Connor Kostick ist selbst begeisterter Gamer und Miterfinder eines der ersten Fantasy-Live-Rollenspiele. Er bemüht sich, in seinem Roman die Begeisterung wiederzugeben, die ein gutes Game wecken kann. Allerdings zeigt er auch Gefahren auf, die entstehen, wenn die Grenzen zwischen der Realität und der Virtualität durchlässig werden, der Mensch nicht länger das Spiel, sondern das Spiel den Menschen beherrscht. Wer selbst mit der Materie ein wenig vertraut ist, weiß, dass es Fans gibt, die Konflikte aus dem Spiel ins reale Leben übertragen, dass sich wieder andere abschotten und Stunden am PC verbringen, dass der Alltag zurückstehen muss, weil die Sucht nach dem Spiel übermächtig ist.
Doch noch ein Punkt ist Kostick wichtig. Statt immer in alten, eingefahrenen Bahnen zu denken und zu handeln, soll man experimentieren, den Mut aufbringen, Neues zu probieren. Erst wenn man starre Prinzipien hinter sich lässt, kann man das Gesamtbild klarer sehen, Fehler erkennen und vermeiden. Klammert man sich an das Vertraute, folgen Stagnation und schließlich Rezession – in allen Bereichen. Selbst als Einzelner sollte man nicht aufgeben. Findet man Gleichgesinnte und Freunde, kann man langsam notwendige Veränderungen einleiten.
Der Roman fesselt durch realistisch geschilderte Charaktere, die sich vor allem jungen Lesern zur Identifikation anbieten. Kameradschaft und Vertrauen werden groß geschrieben. Die Handlung ist mitreißend durch mehrere Handlungsebenen und ein interessantes Gesellschaftssystem, das seine Vorbilder in den Theorien Marx’, Machiavellis u. a. hat. Bis zum Schluss möchte man das spannende Buch nicht aus der Hand legen. Ein Wermutstropfen ist lediglich, dass der Konflikt eine globale Bedeutung bekommt und klischeehaft eine Gruppe Jugendlicher im Alleingang die ganze Welt vor einem Bösewicht, den die Macht korrumpiert hat, retten muss. Trotzdem bietet dieser Fantasy großartigen Lesestoff für alle Altersgruppen.
Auch die Gestaltung des Romans ist erwähnenswert: Das Cover wird von einem Hologramm geziert.
hinzugefügt: December 24th 2006 Tester: Irene Salzmann Punkte: zugehöriger Link: Verlag Friedrich Oetinger Hits: 3736 Sprache:
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