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Pulse (Film)

Pulse
Japan 2001, Regie: Kiyoshi Kurosawa, mit Haruhiko Katou, Kumiko Aso, Koyuki, Kurume Arisaka u.a.

Von Thomas Harbach

Da es inzwischen gute Sitte ist, jeden populären japanischen Horrorfilm durch ein amerikanisches Remake zu ersetzen, beehrt auch „Pulse“ aus dem Jahr 2001 demnächst das internationale Publikum Made in USA. Sehr ungewöhnlich ist es allerdings, eine Szene aus dem Original nicht zu imitieren, sondern intakt in die Neuverfilmung – zumindest im Trailer - zu kopieren. Der Flugzeugabsturz gehört zu den eindringlichsten und gleichzeitig die Logik am meisten belastenden Szenen des Films. Nicht nur aufgrund der inzwischen zu einem Synonym gewordenen Verfremdung von Ton- und Bildeffekten wirkt die Szene nach, warum aber bei einer führerlosen Maschine die altehrwürdigen Propellertriebwerke brennen müssen, entzieht sich der Logik des Films.

Um Logik geht es Kiyoshi Kurosawa in seiner Hommage an George Romeros „Zombie“- Film im Grunde nicht. Nachdem er im Jahre 1997 mit seinem Thriller „Cure“ die inzwischen als J Horror bekannte Bewegung nach vorne gebracht hat – von Gründen sollte man nicht sprechen, denn Filme wie „Evil Dead Trap“ gab es schon früher und in ihrer Tendenz, Splatter und Übernatürliches zu kombinieren stehen sie denn inzwischen mehr auf eine psychologischen Ebene arbeitenden, im wahrsten Sinne des Wortes technikfeindlichen Thrillern ins nichts nach – macht sich Kurosawa Hoffnungen, den ersten „Ring“-Film zu inszenieren. Nachdem ihm dieses Projekt nicht übertragen worden ist, konzentrierte er sich auf seine eigene Geistervision.

„Pulse“ strahlt die gleiche Technikfeindlichkeit aus wie die „Ring“-Filme, im Gegensatz zu diesen untersucht Kurosawa allerdings den Einfluss des Internet auf die Menschen. Seine erschreckende Vision sind isolierte Menschen, die nur noch mittels Computer in Verbindung stehen. Überraschenderweise schockiert diese Einsamkeit seine oft jugendlichen Protagonisten in keinster Weise, sie lieben die Einsamkeit, möchten allerdings nach ihrem Tod nicht mehr alleine sein und mit den in der Realität vermissten Familien in einer Art Familienidylle zusammenleben. Als die Geistererscheinungen eine andere Sprache sprechen, droht ihre idealisierte Traumweltzukunft zusammenzubrechen. Nicht zuletzt aufgrund dieser nihilistischen Grundhaltung und dem Versuch, die Jugend zu verstehen, gehörte „Pulse“ zu den großen Erfolgen in Japan. Die Amerikaner sicherten sich die Rechte für ein Remake, das Kurosawa in den Staaten inszenieren sollte. Nach verschiedenen Sitzungen mit den verantwortlichen Produzenten und einem verschenkten Jahr – in dem er sich in den Staaten wahrscheinlich sehr einsam gefühlt hat – kehrte Kurosawa wieder nach Japan zurück, wahrscheinlich hat er auf seine Art und Weise die lebenden Toten der Unterhaltungsmaschine Hollywood kennen und hassen gelernt. „Pulse“ ist wahrscheinlich der zugänglichste Film dieses faszinierend fremdartigen japanischen Horrorfilms.


Die junge Frau, in die der Schreck bereits gefahren ist, beobachtet sich selbst am Monitor ihres Computers. Da ist ihr Bild, unerklärlich, über ihre Schulter geht der Blick auf den Sitz der Perspektive. Sie sieht, wir sehen nur die Tür, die einen Spalt weit offen ist. Die Kamera sieht dahin, mit ihr und wir, mit ihr. Der Punkt, von dem der Blick des Beobachters ausgeht, ausgehen muss, wird aufgeladen mit namenlosem Schrecken. Dem Zuschauer suggeriert Kurosawa auf geschickte Art und Weise die Furcht, die Erwartung des Schlimmsten, er kann die Richtung und vor allem die Konsequenzen dieser Beobachtungen nicht einordnen. Die Kamera ist allerdings auch ein Verräter: Vielmehr bricht sie den Blick, sie zeigt ihn: auf dem Monitor, als stattfindenden. Dieser Blick füllt, als derart medial gebrochener, die Leinwand, aber er ist eine Identifizierung mit dem Beobachter, die nicht in sich aufgeht, die dieses Nicht-Aufgehen mitmarkiert. Und die Kamera zeigt im Gegensatz zum menschlichen Auge viel mehr: die junge Frau, von hinten, die sich auf die Tür zu bewegt, auf die Konfrontation mit dem Schrecken also. Sie kommt dem Zuschauer näher, das sehen wir auch, im Schnitt auf den Monitor. Die unmögliche, in sich gebrochene Perspektive ist die eines Geistes, der sieht, ohne gesehen zu werden.
Dabei glaubt der Zuschauer Geister in diesem Film, nicht zu knapp zu sehen, wenngleich nie auf eine Weise fokussiert, die sie der gewöhnlichen Wahrnehmung einordnen ließen. Nicht umsonst suchen die Protagonisten eine Erklärung in Romeros „Zombie“-Film. Die Sphäre des Lebens nach dem Tod ist überfüllt. Milliarden von Seelen drängen sich aneinander. In Romeros Klassiker heißt es „When there´s no more room in hell, the dead will walk the earth”, hier überlappen sich die beiden Sphären – die menschliche Realität und die Geisterebene – erst an einer einzigen Stelle, die Berührung scheint fast erotisch sanft. Die einzige Möglichkeit des Zurückhaltens der Geister ist die Isolation des verbotenen Raums durch rotes – rot wie Blut – Klebeband, aber er scheitert. Über die Internetverbindung können die Geister diese Zone verlassen und die einsamen Toten verbinden sich auf eine erschreckende Weise mit den einsamen Menschen. Die Verbindung der Geister mit den Menschen kommt auf sehr unterschiedliche Art und Weise zustande: manchmal wird der Blick gewährt wird auf die junge Frau und den Geist, in einem Bild, der Zuschauer dagegen erkennt nichts. Sie umarmt das Nichts und sie ist glücklich. Es ist das das letzte Bild, das man von ihr sehen wird und es ist anders als all die anderen letzten Bilder der anderen zu Geistern Gewordenen, dargestellt meist als Fleck an der Wand oder auch als digitaler Staub im Raum. In der Verschaltung aber von Geist und Nichts, von Medium, Blick und Schrecken ist diese eine Szene meisterhaft, ein Virtuosenstück, das mehr sagt, als der Film als ganzer zu sagen hat oder vor allem sagen will. Aber die Botschaft ist gleichzeitig eine deutliche Anlehnung an den klassischen Horror, denn mit diesen Bildern setzt Kurosawa erst seinen Prozess in Gang. Sehr ungewöhnlich ist die Rückblendenstruktur, deren Sinn oder besser Unsinn dem Zuschauer erst am Ende des Films gänzlich aufgehen wird.

Menschen verschwinden. Geister tauchen auf. Menschen begegnen Geistern hinter mit rotem Band beklebten Türen. Sie verlieren dabei alle Kraft, werden infiziert, schleppen sich noch eine Weile durch die Welt: unrettbar, sie lösen sich auf, verschwimmen, werden, wie gesagt, zum Fleck an der Wand. Als wäre das nicht genug: Ein Student, der von Computern keine Ahnung hat, hat eine erste Begegnung mit dem Internet: der Computer stellt, bald eigenmächtig, die Verbindung her, verschwommene Webcam-Bilder, dann die Frage: Willst Du einen Geist sehen? Der Student lernt eine Studentin kennen, die Bescheid weiß. Und einen fortgeschrittenen Studenten, der etwas programmiert hat, weiße Flecken vor schwarzem Grund auf dem Monitor, die sich zerstören, wenn sie sich zu nahe kommen und doch nicht voneinander lassen können. So sieht nicht nur der Regisseur das soziale Miteinander einer technokratischen, einer vereinsamenden und isolierten Gesellschaft. Zu den besten und erschreckenden Szenen gehört eine Begegnung mit einem weiblichen Geist in einem Kellergeschoss. Der Geist materialisiert sich und schreitet wie in einem David Lynch Film grotesk fließend auf den schließlich sich hinter einem Sofa versteckenden Protagonisten zu. Als er glaubt, die Gefahr überstanden zu haben, schaut ihm der Geist von oben in die Augen. Schnitt – den Rest überlässt Kurosawa der Phantasie seiner Zuschauer. Die Welt entleert sich. Geister schleichen durch die Bibliotheken und Pachinko Parlors, sie erscheinen in Tankstellen-Shops. Und die Menschen verschwinden. Am Ende ist die Welt gespenstisch leer. Hier beginnt sich der Zuschauer aber zu fragen, wo die Geister im Gegensatz zu den offenbar verbrannten Menschen hin sind. Immerhin sollte die Sphäre ja überfüllt sein, jetzt kommen noch mehrere Milliarden Menschen hinzu. Bei Romeros Zombie- Filmen konnte man zumindest die Toten sehen, die kannibalisch neue unzählige Toten produzierten, die wiederum irgendwann vielleicht in der Hölle auftreffen. Unversehens strandet der Film in der Postapokalypse. Verlassene Straßen und Fabriken, das letzte Paar auf der Flucht, die da endet, wo der Film seine Rahmenerzählung begonnen hat: auf einem Schiff, das durch den Ozean treibt, in Richtung letzter Hoffnung. Bei „Zombie“ verlassen die letzten Protagonisten das Kaufhaus in einem Helikopter, dessen Treibstoffanzeige schon gefährlich rot leuchtet. Das interessante an dieser Art der Inszenierung ist in der Tatsache begründet, dass Kurosawa zwar auf der einen Seite ein globales Phänomen beschreibt – nur in Lateinamerika soll es noch Menschen geben, wie die Überlebenden auf dem Schiff auf diese Idee gekommen sind, lässt der Film offen -, auf der anderen Seite seinen Zuschauern einen Blick über die japanischen Tellerrand sehr konsequent verwehrt. Kurosawa zeigt seinem Publikum nur einen kleinen Ausschnitt, eine intime Kammerstudie dieser unerklärlichen und vor allem auch unerklärten Katastrophe. Mit diesem Schritt zurück wird sein Film auch weniger angreifbar, die brennende Kulisse – gespenstische Erinnerungen kommen an den 11. September auf, auch wenn hier nicht die Hochhäuser brennen, sondern in erster Linie die Autos vor ihnen -, der Flugzeugabsturz, die überstürzte Flucht mit einem Motorboot, zumindest bis zur Rückkehr zum Rahmen kann niemand sicher sein, eine Vision oder die Realität zu betrachten. Erst in dem er den Rahmen schließt – es wäre viel effektiver gewesen, die beiden Jugendlichen mit dem Boot aufbrechen und den Film auf diesem Bild enden zu lassen – wird aus seinem Horrorthriller ein übernatürlicher Science Fiction Katastrophenfilm.

All das hängt weder narrativ noch logisch recht zusammen. Alles, wird suggeriert, hat mit allem irgendwie zu tun, das Verschwinden mit dem Internet, die Geister mit der Einsamkeit des Menschen von heute. Der Horror aber kommt direkt aus einer einzigartigen Mischung von tricktechnischen sauberen Erscheinungen und einer unbequemen Nähe an die Realität. In einer Szene sieht eine der Protagonisten dem Selbstmord einer Frau zu. Sie springt von einem Wassertank und auch wenn das Unterbewusstsein dem Zuschauer suggeriert, es handelt sich um Trickeffekte, bleibt ein beschämendes Gefühl zurück. Die Szene hinterlässt den Eindruck, etwas Schreckliches gesehen zu haben, sich unrein zu fühlen. Kurosawa lässt sich in seiner sehr ruhigen Erzählung Zeit, den Zuschauer auf den kommenden Schrecken vorzubereiten, die Tricks werden nicht plakativ in den Vordergrund gestellt, sondern geschickt mit scheinbar normalen Szenen kombiniert. Dazu kommt die diffuse Beleuchtung, die sprachliche Verzerrung, der alltägliche Schrecken – einen unbekannten Menschen am Telefon zu haben, Computer, die nicht richtig funktionieren und schließlich das Zusammenbrechen der mühsam über Jahre aufgebauten Fassade der glücklichen Existenz – und schließlich der Verlust von geliebten Menschen oder neuen Bekanntschaften.

Das Schöne an diesem Film ist – während des ersten Sehens – seine Unvorhersehbarkeit. Kurosawa verweigert seinen Zuschauern einen Blick nach vorne. Ganz konsequent schränkt er die Perspektive auf das schmale Fenster seiner jugendlichen Protagonisten ein. Selbst als die Städte brennen, kann der Zuschauer diese Szenen nur mit den Augen der beiden Überlebenden sehen. Mit dieser fast simplen Technik erhält der Regisseur nicht nur die unheimliche Atmosphäre und das Gefühl der Isolation, er kehrt zu den Wurzeln des klassischen Katastrophenfilms zurück und versucht das Unbegreifliche durch die Reduktion auf eine persönliche Erfahrung spürbar zu machen. Erst reduziert auf Einzelschicksale sind viele Menschen in der Lage, den alltäglichen Katastrophen des Weltgeschehens zu folgen. Was erstaunlich ist und zum Nachdenken reizt, ist das asexuelle Element. In den amerikanischen Slasher-Filmen wurden insbesondere die Teenager bestraft – ermordet -, die Sex hatten, in der modernen Form des J-Horrors sind die Jugendlichen Opfer, die sich zu sehr mit der modernen Technik identifizieren und dafür ihre Mitmenschen vernachlässigen. Auf den ersten Blick ein Widerspruch, da ausgerechnet ein junger Mann, der bislang wenig mit Computern bzw. dem Internet zu tun hat, von den Geistern in Versuchung geführt wird. Aber im Vergleich zu den anderen Protagonisten des Films hat er sich schon vor seinen ersten Versuchen im Internet, in dem er wahrscheinlich auf irgendwelche Chatrooms oder Kotaktbörsen zurückgreifen wollte – das impliziert der Dialog – schon isoliert. Er lädt also die Geister nicht mehr ein, ihn zu bestrafen, sondern öffnet nur noch die Tür für sie.

Auch wenn sich Hollywood wahrscheinlich von der Idee begeistert hat, Geister aus dem Internet in den Lebensraum der Menschen eindringen zu sehen, bleibt Kurosawa in seinem Film manchmal frustrierend vage. Seine unterschiedlichen, nicht immer sympathischen Protagonisten versuchen möglichst viele, sehr verschiedene Theorien zu behandeln. Diese Versuche scheitern an ihrem Unvermögen, die Ideen konsequent zu Ende zu denken. Was bleibt, ist die Unlogik eines nicht enden wollenden Alptraums. Schnell führt das Drehbuch die Frage nach dem „warum“ ad absurdum und der Zuschauer erkennt, dass die Sozialkritik - hier führt der Film Romeros „Dead“-Serie als asiatische Abzweigung konsequent und fatalistisch zu einem vorläufigen Ende – und die Vision einer zusammenbrechenden, schon im Kern dahinvegetierenden Nation in Form der biblischen Apokalypse keiner weitergehenden Erklärungen bedürfen. Wie in Romeros Filmen gewinnen in diesem Fall die Geister.

hinzugefügt: January 17th 2007
Tester: Thomas Harbach
Punkte:
Hits: 3491
Sprache: german

  

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