Fragile
Spanien 2005, Regie: Jaume Balagueró, mit Calista Flockhart, Richard Roxburgh, Elena Anaya, Gemma Jones u.a.
Von Thomas Harbach
Ein weiterer Genre-Beitrag aus den spanischen Filmax-Studios, ab jetzt ohne Beteiligung von Brian Yuznas Fantastic Factory, die sich als europäische - mit einem Auge auf den amerikanischen Direkt-DVD-Markt ausgerichtet - Genreschmiede nicht wirklich behaupten konnte. Der Vertrag wurde offensichtlich nicht verlängert. Allerdings hat der spanische phantastische Film insbesondere Low Budget-Hilfe aus Übersee auch nicht nötig. Wie die bei E-M-S erschienene Reihe „Six films to keep you awake“ bewiesen hat, schlummern in Spanien eine Reihe von Talenten, zu den auch Jaume Balagueró, der mit seinem aufwühlend-beunruhigenden „The Nameless“ (1999) für Aufmerksamkeit sorgte und sich nach „Darkness“ (2002) erneut dem Ghost-House-Movie zuwendet, zu zählen ist. Um ein nicht so altes Gemäuer und vor allem eine verrückte Vermieterin geht es in seinem Beitrag „Hell´s Resident“ zu den sechs Filmen und legt man insbesondere seinen dritten Kinofilm „Fragile“ über das in seinem kurzweiligen und sehr intensiv inszenierten Fernsehfilm angesprochene Muster, zeigt sich ein großes Talent, das auch mit niedrigen Budgets gute, unterhaltsame und vor allem gruselige Filme drehen kann.
Die junge Krankenschwester Amy (Calista Flockhart) kommt auf die kleine englische Insel Wight, wo sie ihre neue Stelle antritt – und das ausgerechnet im alten, baufälligen „Mercy Falls“-Hospital, das kurz vor der Räumung steht. Die Kartons sind schon gepackt, das Telefon abgestellt, während sich das kleine Ärzte- und Schwesternpersonal um die wenigen, auf die Evakuierung wartenden Kinderpatienten kümmert.
Amy ist gerade dabei, ihre traumatische Vergangenheit hinter sich zu lassen. Wahrscheinlich handelt es sich um einen Behandlungsfehler, der zum Tod eines Patienten geführt hat. Während sie versucht, ihre Schuldgefühle mit Tabletten zu unterdrücken, muss sie sich gleich in einer Extremsituation auf der neuen Station und in dem alten Krankenhaus zurechtfinden. Ganz bewusst entfremdet man die Hauptperson – und über weite Strecken der einzige der erwachsenen Charaktere, mit denen sich der Zuschauer identifizieren kann oder muss – nicht nur auf ihrer vertrauten Umgebung, sondern lässt über weite Strecken des Films – bis zu einem knalligen Schockeffekt in „Omen“- Manier – offen, inwieweit sie wirklich auf eine übernatürliche Erscheinung oder ihre eigene beginnende Paranoia trifft. Im Laufe ihrer Arbeit stößt sie auf immer merkwürdigere Vorkommnisse. Kinder, die in ein anderes Krankenhaus verlegt werden sollen, erleiden plötzlich Knochenbrüche, für die es keine Erklärung gibt. Genauso wenig für die mysteriösen Geräusche und Lichteffekte, die sich nachts, wo eigentlich alles schlafen sollte, auf den Fluren und in den Zimmern ereignen. Als sie ihre Vorgängerin, die so plötzlich den Dienst quittierte, aufsuchen möchte, kann sie nur noch die Nachricht von ihrem Tod entgegen nehmen. Schnell findet Amy Zutrauen zu dem schwierigen Mädchen Maggie, welches ihr von Charlotte, dem „mechanischen Mädchen“, das nachts durch die finsteren Gänge schleicht, erzählt.
Bei keinem findet sie Gehör, auch der Arzt Dr. Roberts (Richard Roxburgh, der sich in die anfangs sehr oberflächliche Rolle hineinkämpft und schließlich am Höhepunkt des Films ebenfalls die Schwelle zum Irrsinn überschritten haben könnte, als er verhindern möchte, dass die von ihm gerufenen Rettungskräfte jetzt die Kinder aus dem Einsturz gefährdeten Hospital holen) schenkt ihren Worten wenig Glauben. So begibt sich Amy ins abgesperrte 2. Stockwerk, das schon seit vielen Jahren geschlossen ist. Mit diesem Endringen konkretisiert sich zumindest ihr Verdacht, auch wenn sie die einzelnen Puzzlestücke nicht zusammensetzen kann.
Mehr noch als in seinen Vorgängern verzichtet das 1968 geborene Regietalent auf allzu häufige und grobe Schockeffekte in der ersten Hälfte des Films, das Grauen nimmt erst langsam eine gewisse „Realität“ ein. Insbesondere in den ersten vierzig Minuten ist es für den Zuschauer nicht erkennbar, ob es wirklich eine Bedrohung in diesem alten Hospital gibt, ob diese eine übernatürliche Quelle hat und vor allem in welchem Zusammenhang sie mit den Visionen der Kinder steht. In der zweiten Hälfte des Films bleibt ihm nichts anderes übrig, als das mechanische Mädchen – anders als der Zuschauer erwartet – zum Leben zu erwecken und von einer ersten konkreteren Erscheinung bis zum nihilistischen, aber sehr effektiven Endkampf konzentriert sich das Script auf einen gewissen Spagat zwischen Bedrohung und Einbildung. Die Räumung des Gebäudes ist sicherlich ein interessanter Katalysator, um sie wieder zu erwecken und zu einer Bedrohung werden zu lassen. Da diese Geistererscheinung schließlich sich manifestiert, nimmt Balaguero sich ein wenig von der bislang stimmungsvollen Effektivität, aber seine Kreatur ist bedrohlich und fremdartig, aber auch menschlich genug, um überzeugend zu wirken. In diesem Fall ist er sich auch seiner besten Waffe bewusst, Glaubwürdigkeit. Wie oft im europäischen phantastischen Film enden die Filme nicht zuckersüß und mit einem konstruierten Happy End, in diesem Film sterben Menschen. Obwohl er sich bemüht, dem Ende ein wenig Optimismus zu geben, bleibt die Verbindung zur anderen Welt nicht nur für den Zuschauer spürbar, sie verstärkt sich sogar.
Davon abgesehen setzt er einmal um einen Kontrast und beim Zuschauer einen gewissen Unglauben zu erzeugen, mehr auf bewährte Zutaten und Handlungsabläufe: Mitarbeiter, die jahrelang in dem Krankenhaus arbeiteten und wirklich noch nie etwas merkwürdiges festgestellt haben und dann kommt so eine von ihrer eigenen Vergangenheit geplagte Krankenschwester, die allerlei seltsame Dinge gesehen haben will: Unheimliche Geräusche, eine Stimme am Telefon, der Fahrstuhl des Grauens und irgend etwas Schreckliches unter der Bettdecke, wo eigentlich gar nichts ist. Ganz auf sich allein gestellt kommt Amy, die zufälligerweise so aussieht wie Flockhart in ihrer Ally McBeal Rolle, nach und nach dem schrecklichen Geheimnis des „Mercy Falls“-Hospitals auf die Spur. Sehr unangenehm wirkt die Verbindung zwischen ihre Ermittlungen und wahrscheinlich echten Krankheiten wie den spröden Knochen, das auf einem alten Film - der allerdings sehr handlich in einem alten Schrank, auf dem ein wichtiges Foto liegt, gefunden worden ist – gezeigt wird, ist unangenehm direkt und lässt den schmalen Grat zwischen echten Schmerzen und Kunstblutsplatter sehr schnell durchsichtig werden. Während sich Balaguero insbesondere in stimmungsvollen, aber nicht immer angenehmen Bildern akzentuiert, verliert er kurz vor dem sehr kurzen, aber effektiv inszenieren Höhepunkt die Handlung fast aus den Augen. Die Manifestierung des Bösen wird überstürzt – warum hat sie sich erst jetzt das eine Mädchen geholt, obwohl sie vorher mehr und bessere Möglichkeiten gehabt hat? – in Szene gesetzt, der Endkampf ist blutig und wenn einer Kämpfe in alten, staubigen Häusern und vor allem scheinbar harmlosen Haushaltsgegenständen als gefährliche Waffen inszenieren kann, dann ist es der Spanier. Die Opferung eines Hauptcharakters im Austausch gegen eine scheinbar verlorene Seele ist auf den ersten Blick eine Überraschung, auf der anderen Seite gehört diese Art der Katharsis inzwischen zum spanischen phantastischen Kino. Diese Art der Auflösung findet sich in einigen der „Six films to keep you awake“, im Gegensatz zu den Fernsehproduktionen ist allerdings die Umsetzung hier deutlich effektiver und weniger pauschalisiert. Der Film lebt von seinen Tempowechseln und vor allem von der ohne Zweifel schauerlich-gruseligen Stimmung sowie der omnipotenten Bedrohung – Geister, die Knochen urplötzlich wie Strohhalme brechen können, haben immer eine unangenehme Aura um sich. Insbesondere die Kinder spielen ihre Rollen großartig. Ein kleiner Höhepunkt ist die Aufführung eines Märchenzeichentrickfilms in dem großen Spielzimmer. Im Gegensatz zum abgestumpften Konsumentenpublikum der heutigen Zeit, lässt Balaguero seine kleinen Protagonisten mitzittern und mitfiebern, am Ende spiegeln unter ihrem ehrlichen Applaus ihre Gesichter eine unverkennbare Erleichterung wider, dass das Gute in diesem Film gesiegt. Mit dieser Filmaufführung – und der Entführung der Protagonisten aus ihrer tristen, von Krankheiten geprägten Realität in eine märchenhafte Phantasie – wird aus einem stimmungsvollen Gruselfilm ein moderner, teilweise unangenehm direkter Horrorfilm. Unstimmigkeiten – die Fahrstuhlszene ist wirklich toll inszeniert, allerdings stellt sich die Frage bei der Betrachtung des Hauses, warum man einen Fahrstuhl braucht, wenn nur unten im Erdgeschoss die Lichter brennen – werden durch eine visuelle und akustische Reizüberflutung – im klassischen Sinne und nicht wie in den an endlose Musikclips erinnernden Filmen moderner amerikanischer Animateure und nicht Regisseure – überdeckt, die Gesetze des Geisterfilms – nicht zuletzt in dem anderen großartigen spanischen Meisterwerk „The Others“ schon zementiert – werden routiniert, manchmal inspiriert, manchmal eher konzipiert abgearbeitet und unterhalten den Zuschauer auf einem überraschend hohen Niveau.
Im Gegensatz zu den Foltersplatterfilmen wie „Saw“ und/oder “Hostel“ erzählt „Fragile“ vordergründig eine tragische Geschichte um falsch verstandene Liebe und Pflichten, über den kleinen Schritt zwischen Obsession und Wahnsinn, über falschen Ehrgeiz und Pflichterfüllung, über Menschen, in deren positiver Aura Geister gerne bleiben und diejenigen, die sie meiden. Nicht zuletzt beinhaltet das Fazit eine für das inzwischen fast zum Klischee verkommenen Geistergenre eine überraschend ansprechende Botschaft: für die Geister ist es nicht wichtig, wo sie gestorben sind, für sie ist es wichtig, dass sie bei den Menschen oder an den Orten bleiben, die sie geliebt haben.
„Fragile“ zeigt uns die beiden Auswirkungen dieser einfachen Erkenntnis, ein Geist bleibt bei dem Menschen, den sie lieb gewonnen hat, ein Geist bleibt an dem Ort, der für sie – wenn auch falsch verstanden – das Leben bedeutete. Eine Konfrontation dieser unterschiedlichen Wesen ist unvermeidbar und hier liegt die Stärke dieses sehr stimmigen, sehr atmosphärischen und vor allem wirklich gruseligen und nicht nur grausamen Horrorfilms.
Insbesondere die Doppel-DVD kommt in einem schönen Metallschuber. Das Bild macht einen sehr guten Eindruck, die absichtlich verwaschenen Farben werden gut wiedergegeben und der Dolby Digital 5.1 ist insbesondere bei den akustischen Soundeffekten überraschend effektiv und rundet die dunkle Atmosphäre sehr gut ab. Auf der zweiten DVD findet sich dann eine Reihe von Extras. Neben dem Trailer und den TV- Spots eine kleine Featurette mit sieben Minuten Länge, die allerdings eher wie eine Werbeveranstaltung daher kommt. Das 20minütige Making Of kämpft auf dem schmalen Grad zwischen Informationen und neugierig machen für den Film auf verlorenem Posten. Es wäre sinnvoller gewesen, diese Extras mit auf die DVD des Hauptfilms zu integrieren und nicht als eine zweite Scheibe zu präsentieren.
DVD-Facts:
Bild: 2,35:1 (anamorph 16:9)
Ton: deutsch Dolby Digital 5.1, englisch Dolby Digital 5.1
Untertitel: deutsch
DVD-Extras:
Making of, Featurette