Kara Ben Nemsi
BRD 1973, Regie: Günter Gräwert, mit Karl Michael Vogler, Heinz Schubert, Will Danin, Joachim Regelien, Dieter Hallervorden u.a.
Von Thomas Harbach
Mit dem Namen Kara Ben Nemsi – Karl, der Sohn Deutschland lautet die Übersetzung, wie uns das Booklet neben einigen anderen nützlichen Informationen aufklärt - verbindet der durchschnittliche Fernsehzuschauer in erster Linie den Amerikaner Lex Barker, der in drei Filmen, aber vor allem in den Western in die Rolle des orientreisenden Alter Ego des Schriftstellers Karl May schlüpfte. Nur wenige wissen, dass in den Siebzigerjahren, acht Jahre nach dem letzten „Kara Ben Nemsi“-Film „Im Reich des silbernen Löwen“ – gleichzeitig auch der letzte klassische, abgebrochene Abenteuerroman, bevor May mit seinen esoterischen Romanen begonnen hat - , eine zweite, in diesem Fall 26-teilige Serie um den bekannten Helden produziert wurde, deren erste Staffel (13 Folgen aus dem Jahr 1973) nun als DVD-Set von Koch Media veröffentlicht wurde. Zu Beginn der siebziger Jahre standen Klassiker nicht zuletzt durch die erfolgreichen Adventsverfilmungen in voller Blüte. Insbesondere „Der Seewolf“ hatte im Jahr 1971 eine wahre Euphorie und ein banges Warten auf die Adventstage entfacht. Trotzdem traute man sich nach den populären May-Verfilmungen fürs Kino zu Beginn der siebziger Jahre nicht an einen Mehrteiler, sondern konzipierte eine schon lange und in dieser komplexen Form niemals angegangene Fernsehserie aus Mays bekanntesten Orientstoff.
Die Grundlage dieser Verfilmung bilden die ersten sechs Reiseerzählungen Mays. Der Bogen beginnt natürlich mit „Durch die Wüste“ und endet in der Konfrontation mit dem „Schut“. Es sind nicht Mays erste Arbeiten – unter Pseudonym hat er eine Reihe von Kolportagewerken geschrieben, die später zusammen mit seiner Vergangenheit im Brennpunkt einer Reihe unangenehmer Prozesse gestanden haben – gewesen, aber der erste wirklich zusammenhänge und in seiner Struktur unvergleichliche Reisebericht. Schon zu Beginn des ersten Bandes mit der Überquerung des Schotts – ein tückischer Salzsee – fesselte er nicht nur seine Leser, sondern es gelang ihm eine seiner besten erzählerischen Passagen. Der Verfilmung bemüht sich, neben einer möglichst authentischen Atmosphäre diese – heutzutage in den Hintergrund getretene – Mischung aus Abenteuer und christlicher Botschaft zu vermitteln. Viele Kritiker sahen in dieser langsamen Inszenierung eine Karikatur der May´schen Stoff. Dabei bezogen sie sich auf die inzwischen verfälschten, gekürzten und oft für ein jugendliches Publikum umgeschriebenen Taschenbuchausgaben. So besteht die erste Hälfte von Folge eins „Der Tote im Wadi Tarfaui“ aus einem Dialog zwischen Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar, in dessen Verlauf letzterer versucht, seinen Herrn zum – in seinen Augen – wahren Glauben des Islam zu bekehren. Auch wenn dies eine Viertelstunde Laufzeit in Anspruch nimmt, stellt es doch gleichzeitig eine sehr schöne Einführung der beiden Hauptcharaktere dar, und man wünschte sich, dass sich auch moderne Serien die nötige Zeit nehmen würden, um ihre Protagonisten derart stimmungsvoll einzuführen.
Erst ein Vergleich mit den ursprünglichen Stoffen zeigt, wie genau man es – oft zu Lasten der spannungstechnischen Umsetzung – mit den Dialogen und den Hintergrundinformationen genommen hat. So ist der Auftaktdialog zwischen Hadschi Halef Omar und Kara Ben Nemsi fast wörtlich aus „Durch die Wüste“ übernommen worden! Wie ein roter Faden im Gesamtwerk wird sich der kleine Halef immer wieder bemühen, Kara den rechten Glauben zu vermitteln. Wie Kritiker vergessen, dass Halef schließlich am Ende ihrer letzten gemeinsamen Reise Christ wird. Auch die Verfilmung versucht von Beginn an den Überprotagonisten Kara Ben Nemsi zu etablieren, mehr als ein neugieriger deutscher Reiseschriftsteller, sondern die Inkarnation des hilfreichen Samariters in einer unchristlichen, aber nicht unzivilisierten Gegend.
In die Hauptrollen schlüpften Karl-Michael Vogler (er spielte unter anderem den Offizier Rumpelstoß in „Die tollkühnen Männer in ihren fliegenden Kisten“) als Kara Ben Nemsi und Heinz Schubert (besser bekannt als Ekel Alfred aus „Ein Herz und eine Seele“) als Hadschi Halef Omar. Vogeler präsentiert sich allerdings mit einem klassischen Vollbart im Gegensatz zum May´schen Spitzbart. Er spielt die Rolle mit einem sichtlichen Vergnügen und einer nicht zu leugnenden Dominanz. Was ihm trotz seiner unverkennbaren Reife und vor allem Liebe zu den Originalstoffen fehlt, ist der an manchen Stellen notwendige Esprit und vor allem die oft unter der emotional distanzierten Oberfläche schwelende Heißblütigkeit. Insbesondere in seinen ersten Werken zeigt May Nemsi auch als einen Mann, der zwar mit Geduld und Überlegung, aber vor allem Entschlossenheit das Verbrechen bekämpft. Immerhin beginnt in „Durch die Wüste“ die Jagd auf zwei Männer, die ihn über drei Kontinente – Afrika, Asien und Osteuropa – bis in das Herz einer brutalen Verbrecherorganisation führt. Heinz Schubert dagegen überzeugt in seiner Mischung aus Begriffsstutzigkeit, Hartnäckigkeit, dann wieder überraschender Schlauheit gepaart mit natürlichen Instinkten, einem gewissen schelmischen Charme und einer bedingungslosen Treue seinem Herrn gegenüber. Schubert verkörpert die klassische Nebenfigur ohne die allerdings Kara Ben Nemsi blass und vor allem zu einseitig aussehen würde. Nemsi braucht für seine Theorien und Vermutungen einen Resonanzkörper – stellvertretend für den Zuschauer. Mit zunehmender Dauer entwickelt sich in dieser außerordentlichen Fernsehserie die Beziehung zwischen den beiden sehr unterschiedlichen Protagonisten zu einer eingespielten Zusammenarbeit unter Gleichen. Sie trotzen den übermächtigen Gefahren in einer für beide fremden Welt. Natürlich siegt im Tenor der May´schen Romantik das Gute, natürlich zweifelt niemand an der Überlegenheit – geistig wie körperlich – der Guten und natürlich werden die Schurken möglichst als starker Kontrast dumm und trottelig überzeichnet. Allerdings sind die beiden Hauptschurken – der Schut und der Mübarak – ihnen zumindest zu Beginn ebenbürtig. Allerdings wird ihnen – nicht zuletzt aufgrund inszenatorischer Notwendigkeiten – nicht der Raum zur Präsentation gegeben wie bei Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar. Zusammen bilden sie – nicht zuletzt aufgrund der Möglichkeiten den ihnen diese Fernsehserie mit insgesamt fast dreizehn Stunden Spieldauer einräumt – ein geniales und auch heute noch gut zu erkennendes Pärchen.
Da der Schut erst in der zweiten, noch zu veröffentlichenden Staffel auftritt, fällt Hans Epskamp als Mübarak eine gewichtige Rolle zu. Obwohl er nur in drei Episoden in verschiedenen Verkleidungen erscheint, ist seine Präsenz und vor allem seine Gefährlichkeit in diesen wenigen Auftritten deutlich spürbar. Mit einem routinierten Schauspieler in dieser Schlüsselrolle öffnet sich das Tor – nach dem elementar wichtigen langsamen, aber nicht langweiligen Auftakt – zu den actionorientierten und für May eher signifikanten Szenen.
Darüber hinaus kann die Serie mit einer Reihe an Gaststars aufwarten, die in den Siebzigern zu der ersten Riege an TV-Bekanntheiten zählten, wie Dieter Hallervorden, Lina Carstens oder Herbert Fleischmann – auch wenn es heute Überwindung kostet, sich Dieter Hallervorden als den orientalischen Befehlshaber vorzustellen, den er hier verkörpert. Auch wenn es im Verlauf der Serie Ausnahmen gibt, bemühen sich doch die meisten Schauspieler redlich, das abenteuerliche orientalische Flair zu vermitteln, welches Karl Mays Romane vor allem für einen Nichtreisenden auszeichnete. Auch der intelligente und nicht affektierte Humor kommt dabei nicht zu kurz, dank der grandiosen Leistung eines Heinz Schubert ist der Kinofilm-Halef Ralf Wolter schnell vergessen.
Die Gemächlichkeit ist nur einer von vielen Anhaltspunkten, dass es sich bei „Kara Ben Nemsi Effendi“ um eine der werkgetreuesten Adaptionen eines Karl-May-Stoffes handelt. Gerade, weil dies ein Merkmal ist, dessen sich bisherige Verfilmungen seiner Romane nur in den seltensten Fällen rühmen konnten, bietet die Serie eine dankbare Alternative zu den Filmen aus den Sechzigerjahren.
Ein weiterer lobenswerter Aspekt ist die Auswahl der Drehorte in Rumänien und am Rand der Sahara, welche der Serie einen wunderschönen optischen Hintergrund liefern. Die Fernsehserie vermittelt einen Eindruck von der Beschwerlichkeit des Reisens in exotischen Gegenden und die Zeit, die selbst kleine Entfernungen, kosten. Dazu die natürliche Hilfsbereitschaft der Menschen in extremen Gebieten. Während die Guten diese Hilfe gerne annehmen und auch entsprechend belohnen, nutzen die Schurken ihre Macht aus. Das Gleichgewicht der Kräfte ist durcheinander geraten und nur Nemsi kann zusammen mit seinen wenigen Helfern versuchen, die Waage wieder auszubalancieren. Das er sich dabei auf christliche Werte beruft – und dazu gehört im Grunde auch, keinen Menschen zu töten, eine Idee, die in erster Linie die May Verfilmungen der sechziger Jahre nie aufgenommen und auch nie im Ansatz umgesetzt haben – ist eine der elementaren Botschaften dieser nuancierten Adaption. Und dass man auch ohne Blutvergießen alle drei Minuten eine intensive Spannung erzeugen kann, beweist diese Verfilmung nach mehr als dreißig Jahren phasenweise eindrucksvoll und vor allem überzeugend. „Kara Ben Nemsi“ ist – sehr zum Unwillen vieler Kritiker – untrennbar mit den Originalromanen verbunden und nicht mit den unzähligen gekürzten, bearbeiteten und modernisierten Fassungen. Akzeptiert der Zuschauer diese Art des Erzählens und die manchmal schwülstigen Dialoge, lässt er sich auf diese historische und doch fiktive Welt ein, wird er gut unterhalten. Sucht er in der romantischen Geschichte die harte geschichtliche Realität, wird er enttäuscht werden. Wenn man unwillkürlich den Eindruck hat, eine gewisse Kargheit – nicht gleichzusetzen mit einem niedrigen Budget – vor sich zu haben, soll diese Art der Inszenierung die Erhabenheit und gleichzeitig Einsamkeit der Wüste besser unterstreichen als eine farbenprächtige Schar von Arabern in radebrechenden deutsch.
Der hörenswerte Soundtrack unterstreicht diese Tendenz. Ebenso wie die „Winnetou“-Filme von Martin Böttcher komponiert und sich damit wunderbar in die Tradition der Karl-May-Verfilmungen einfügend.
Zu den Extras gehört ein 36minütiges aktuelles Interview mit Michael Vogler, der einige teilweise abenteuerliche, aber unterhaltsame Anekdoten von den Dreharbeiten berichtet. Nicht zuletzt aufgrund seiner ausführlichen Antworten erhält der Zuschauer einen guten Eindruck von dessen Faszination mit Karl Mays Werk, aber auch dem Mut und der Abenteuerlust, die insbesondere im ZDF aufgrund der europäischen Koproduktionen – siehe Adventsvierteiler – zu Beginn der siebziger Jahre herrschte. Wenige Jahre später aufgrund einiger enttäuschender Verfilmungen nicht mehr so klassischer Stoffe sollte sich diese Euphorie in Luft auflösen. Das Booklet liefert mit seinen 32 Seiten neben einigen sehr guten Hintergrundinformationen, einer Zusammenfassung der ersten dreizehn Folgen auch einige schöne Fotos. Ein zehnminütiger Hintergrundbericht von den Dreharbeiten ist eher als Zeitreise inklusiv seltsamer Frisuren und Kleidung zu verstehen, als eine wirklich informative Ergänzung.
Bild- und Tonqualität sind für die Zeit, in der die Serie entstand, durchaus zufrieden stellend. Die Dialoge und Hintergrundmusik sind phasenweise ein wenig dumpf, aber klar zu verstehen. Die Farben erscheinen nur leicht verblasst für eine derart alte Serie, die Wiedergabe ist fast komplett rauschfrei.
Die DVDs kommen in einem sehr schön gestalteten grünen Schuber daher, der in seiner Machart den Boxen der Winnetoufilme entspricht und somit für eine optisch einheitliche Sammlung von Karl-May-DVDs im Regal sorgt.
Für Nostalgiker und Karl May Fans ist diese Serie trotz aller damaliger Kritik der Medien Pflicht. Wer bereit ist, sich auf das Tempo der Serie einzulassen, wird mit fast sechs Stunden orientalischem Abenteuer zu einem angemessenen Preis belohnt werden. Die zweite Staffel soll auch in diesem Jahr erscheinen.
DVD-Facts:
Bild: 1,33:1 (Vollbild)
Ton: deutsch Dolby Digital 2.0 Mono
DVD-Extras:
Interview mit Michael Vogler, Featurette, Booklet