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Vance, Jack: Marune: Alastor 933 (Buch)
Jack Vance
Marune: Alastor 933
(Marune: Alastor 933, 1975)
Aus dem Amerikanischen von Andreas Irle
Edition Andreas Irle, 2007, Hardcover, 188 Seiten, 55,00 EUR, ISBN 978-3-936922-07-3
Von Gunther Barnewald
Nach „Trullion: Alastor 2262“ (ebenfalls erschienen in der Edition Andreas Irle) ist das vorliegende Werk der zweite Roman, der im Alastor Sternhaufen (Alastor Cluster) spielt. Dieser ist aus intergalaktischer Sicht der Nachbar des Gaeanischen Reichs, welches auch die Erde beherbergt (und in dem unter anderem der „Dämonenprinz“-Zyklus und „Emphyrio“ von Jack Vance spielen).
Von den drei „Alastor“-Romanen (der dritte Band heißt „Wyst: Alastor 1716“ und erscheint wohl 2007 in der Edition Andreas Irle) ist der vorliegende sicherlich qualitativ der mit Abstand beste.
Zur erzählten Geschichte: Ein junger Mann wird völlig verwirrt am Raumhafen von Carfaunge auf Bruse-Tansel: Alastor 1102 aufgefunden. Befragt nach seiner Identität kann er nur antworten, dass er sich an rein gar nichts erinnern kann: sein Gedächtnis scheint völlig gelöscht. Seine Kleidung lässt ebenso wenig auf seine Herkunft schließen wie die gestutzten Haare oder sonstige äußeren Merkmale. Ein örtlicher Sicherheitsbeamter empfiehlt dem Unbekannten sich Geld zu erarbeiten und dann nach Numenes, der Hauptverwaltungswelt des Alastor-Sternhaufens, zu reisen. Dort gäbe es die besten ärztlichen Spezialisten und zudem könne man dort aus den Spezifika seines Körpers und seiner psychischen Reaktionen herausfinden, von welcher Welt er stamme.
Der junge Mann befolgt den Ratschlag, erarbeitet sich ein Flugticket und reist nach Numenes. Dort kann man zwar sein Gedächtnis nicht wieder herstellen, ihm dafür aber sagen, dass er wahrscheinlich von Marune: Alastor 933 stammt.
Also reist der Unbekannte nach Marune, wo er schnell als Efraim, der Erbe eines größeren Runenreichs erkannt wird. Die Runen sind steife, extrem an ihre Konventionen gebundene irdische Siedler, die sich die abgelegenen, aber wunderschönen Bergreiche von Marune erschlossen haben und hier mit den intelligenten Ureinwohnern, den Fwai-Chi, in mehr oder minder friedlicher gegenseitiger Duldung leben.
Da Efraims Vater vor kurzem unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommen ist, ist er der neue Erbe des Runenreichs Scharrode. Gerade rechtzeitig kommt er zurück, um nicht entthront zu werden, galt er doch als verschollen.
Doch in seiner Heimatfestung, dem düsteren Benbuphar Strang, herrscht eine gefährliche Stimmung, denn andere hatten schon fest mit dem Erbe gerechnet. Und da Efraim sein Gedächtnis verloren hat, weiß er nicht, wem er trauen kann und wer für den Tod seines Vaters und seine eigene Gedächtnislöschung verantwortlich zeichnet.
Bald muss er erkennen, dass sich ein tödliches Netz aus Intrigen um ihn zusammen zieht und nur die gewieftesten Schritte ihm vielleicht das Leben retten können...
Die vorliegende Erzählung ist durchgängig spannend, geheimnisvoll und steckt voller Überraschungen. Wie in einem hervorragenden Kriminalroman erschließt sich dem Protagonisten und damit dem Leser immer ein kleines Stückchen mehr von Efraims Vergangenheit, langsam werden die Zusammenhänge klarer, und vor allem der Grund für den schlussendlichen Anschlag auf Efraims Erinnerungsvermögen ist ein wahrer Brüller (und ein Fest für alle Leser, die schon immer glaubten, dass die nach außen biedersten und spießigsten Menschen in Wahrheit die größten “Wildsäue” von allen sind).
Darüber hinaus prägen wildromantische Landschaften, exotisch-klangvolle Namen und vor allem eine ausgefeilte stilistische Erzählweise voller Anspielungen den Roman, die man dank der Übersetzung von Andreas Irle auch mitgeteilt bekommt (typisch für Vance hier die kruden Namen von Raumschiffen, Straßen oder Gebäuden).
Absolutes Sahnehäubchen dieses wunderbaren Werks, welches zu Vance besten Büchern gehört, ist jedoch die ausgefeilte Konstellation vierer verschiedenfarbiger Sonnen, welche Marune bescheinen. Dies führt zu ständig wechselnden Lichtverhältnissen, welche wiederum die psychische Befindlichkeit der Planetenbewohner beeinflussen. Die in Riten erstarrten Runen zollen dieser wechselnden Farbgebung sogar auf besondere Art und Weise Tribut, indem sie sich ganz bestimmten Stimmungen und Tätigkeiten hingeben, welche bei festgelegten Farbverhältnissen vorgeschrieben sind.
Nur selten wird es ganz dunkel im Runenreich, doch dann kompensieren die spießigen Runen ihre Eingeschnürtheit durch wilde nächtliche Übergriffe und Vergewaltigungen, welche bei völliger Dunkelheit ausdrücklich erlaubt sind. Mit Masken getarnt versuchen dann die Männer in fremde Betten einzudringen und sich dort auszutoben, während die Frauen, je nach Gemütslage, sich verbarrikadieren, oder hoffen, dass der Angebetete als erster eintrifft.
Diese skurrile Gesellschaft erschafft der Autor gekonnt mit wenigen kräftigen Pinselstrichen. Dies alles spricht für das vorliegende Buch, vor allem aber die Tatsache, dass die Geschichte auf nur knapp 190 Seiten perfekt austariert und auf den Punkt gebracht ihren vollen Reiz entfalten kann.
Wo moderne Fantasy-Autoren Tausende von Seiten verschwenden, um nur einen winzigen Bruchteil von Vance´ Kreativität unterzubringen (und damit sind nur die leidlich guten Schriftsteller gemeint, nicht die typischen Schreiber von Unendlichserien), da gelingt dem Amerikaner ein geniales Unterhaltungswerk, welches auch heute noch voll überzeugt und einfach unbändigen Spaß bereitet beim Lesen.
hinzugefügt: March 3rd 2007 Tester: Gunther Barnewald Punkte: zugehöriger Link: Edition Andreas Irle Hits: 3746 Sprache: german
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