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Shadowrun: SOX, Tobias Hamelmann und Anthony Bruno (Hrsg.) (Buch)
Tobias Hamelmann und Anthony Bruno (Hrsg.)
Shadowrun: SOX
Titelbild. Carsten Schreurs
Innenillustrationen und Karten: Mikael Brodu, Rita Geers, Felix Mertikat, Carsten Schreurs und Florian Stitz
Fantasy Productions, 2007, Paperback, 128 Seiten, 23,00 EUR, ISBN 978-3-89064-790-6
Von Christel Scheja
Seit der Herausgabe der ersten Edition von „Shadowrun“ vor knapp 20 Jahren ist auch in unseren Landen dieses Rollenspielsystem nicht mehr weg zu denken, verbindet es doch in unnachahmlicher Weise modern-utopische Elemente mit magisch-phantastischen.
Das 21. Jahrhundert ist eine Zeit der Umwälzungen. Die Entwicklung der Technik hat nicht Halt gemacht. Eine interaktive, mit dem Geist betretbare Matrix hat das heutige Internet ersetzt. Die Welt wird längst nicht mehr von politischen Regierungen sondern multinationalen Konzernen beherrscht, und die Kluft zwischen Arm und Reich ist noch krasser geworden. Durch eine unerklärliche Umwälzung der Naturkräfte - die Vitas-Welle - ist auch die Magie auf die Erde zurückgekehrt und hat u. a. Metamenschen hervorgebracht: Orks, Zwerge und Elfen. Andere Kräfte, die über Jahrtausende geruht haben, sind wieder aufgetaucht und ziehen hinter den Kulissen ihre Fäden wie etwa die Drachen.
Nichts ist, wie es einmal war: Städte sind zu Metropolen, den sogenannten Megaplexen zusammengewachsen (man stelle sich einmal das Ruhrgebiet zusammen mit Köln und Düsseldorf als eine Stadt vor) oder von der Natur und den magischen Mächten zurückerobert worden, wie etwa der Schwarzwald.
Und auch an der Gesellschaft ist das nicht spurlos vorübergegangen, wenn man nicht gerade zu den Privilegierten gehört. Um zu überleben, muss man sich den Gegebenheiten anpassen - entweder kann man regelrecht ein Sklave der Konzerne werden oder einfach nur dahin vegetieren und nicht zuletzt sein Glück in den Schatten versuchen.
‚Shadowrunner’ sind alle jene Außenseiter und Glücksritter, die schnell viel Geld machen wollen, sich nicht in eine Hierarchie einfügen können oder durch ihre Andersartigkeit ausgestoßen wurden. Sie nehmen die schmutzigen und gefährlichen Aufträge an, immer mit der Gefahr, von ihren Auftraggebern hereingelegt oder verleugnet zu werden. Aber was tut man nicht alles, um zu überleben.
Inzwischen hat „Shadowrun“ bereits die vierte Edition hinter sich gebracht. Längst diktieren nicht mehr die amerikanischen Erfinder den Hintergrund, sondern überlassen ihren Lizenzpartnern die Ausgestaltung.
So müssen sich deutsche Spieler schon seit Jahren nicht unbedingt mehr in Amerika austoben, sondern können Deutschland und Umgebung unsicher machen. Und trotz der langen Geschichte und der vielen Beschreibungen gibt es immer noch Regionen, die bisher noch nicht genauer unter die Lupe genommen wurden.
So erscheint nun mit „SOX“ ein weiterer von Tobias Hamelmann und Anthony Bruno herausgegebener Quellenband, der als deutsch-französische Koproduktion entstanden ist.
Mit „SOX“ enthüllt eine weitere europäische Region ihre Geheimnisse.
Die Texte stammen von Lars Blumenstein, Jérémie Bouillion, Anthony Bruno, Jochen Hinderks, Martin Janssen, Christian Lonsing, Martina Nöth, Frank Römke, David Grashoff, Tobias Hamelmann, Daniel Juhnke und Andre Wiesler.
Der Quellenband ist in drei Teile gegliedert: Im ersten wird die ausgewählte Region bildhaft für den Spieler vorgestellt. Die Entstehung, Geschichte, Landschaft und ihre Bewohner, wie auch Tier- und Pflanzenwelt werden beschrieben. Aufgebaut wie eine aus dem Internet abrufbare Datenbank bietet sie stellenweise auch sehr persönlich und subjektiv eingefärbte - und manchmal sogar widersprüchliche - Beschreibungen.
Der zweite Bereich beinhaltet weitergehende Informationen für den Spielleiter, um seine Kampagne besser auszugestalten. Neben weiterführenden Hintergrundbeschreibungen zu Gefahren, Bedrohungen und Gegnern, wird hier mit Irrtümern aufgeräumt und das Beziehungsgeflecht zwischen den einzelnen Parteien genauer aufgegliedert. Natürlich dürfen auch die obligatorischen Tabellen und Werte der Nichtspielerfiguren (NSCs) oder Tipps für kleinere Abenteuer und Szenarien nicht fehlen.
Im dritten Teil bietet eine Kampagne in sechs Teilen einen schnellen Einstieg in die Region und zeigt, was man mit dem Gebiet letztendlich alles anstellen kann. Auf der Suche nach einem jungen Mann, der in Hamburg in die Klauen einer Sekte geraten ist, gelangen die Helden in die SOX und enträtseln dort die wahren Hintergründe eines zwei Jahre zurückliegenden Unfalls, der eine Forschungseinrichtung zerstörte. Dabei wird auch jemand auf sie aufmerksam, dessen Macht und Gerissenheit nicht zu unterschätzen ist - ebenso wie sein Wahnsinn...
Mit SOX ist die Region Saar-Lothringen-Luxemburg gemeint, also ein Gebiet, dass vor allem Luxemburg, das Saarland und das nördliche Lothringen umfasst und Städte wie Clervaux, Bitburg, Trier, Metz und Saarbrücken einschließt.
Im Jahr 2008 wurde die Gegend durch einen Gau im Kernkraftwerk Cattenom radioaktiv verseucht. Auch wenn man die Region weiträumig evakuierte, den Meiler abschaltete und versiegelte, so blieb doch die Verstrahlung, und Regenfälle verschlimmerten die Lage noch.
Es blieb nichts anderes übrig, als die Zone weiträumig mit einer hohen Mauer zu umgeben, um eine weitere Ausbreitung der Verseuchung zu verhindern. Denn die SOX war noch immer voller Leben.
Nicht nur Tiere blieben dort, auch unverbesserliche Menschen wollten sich nicht entwurzeln lassen und kehrten in ihre Heimat zurück. Zusammen mit Aussteigern, verstoßenen Metamenschen und nicht zuletzt auch zwielichtigen Glücksrittern begannen sie, die neue Bevölkerung der Region zu bilden, auch wenn sie dafür einiges auf sich nehmen mussten.
In den nachfolgenden Generationen kam es immer häufiger zu Mutationen des Geistes und des Körpers, und die überlebenden Kinder wurden nach und nach zu einer weiteren Bevölkerungsgruppe der SOX, den Strahlenpunks.
Doch die Region wurde nur eine kurze Weile sich selbst überlassen. Da nun keine Regierung mehr Anspruch auf die SOX erhob, begannen die großen Konzerne, sich für die Gegend zu interessieren und erwirkten die Erlaubnis, dort Fabriken und Forschungseinrichtungen aufzubauen.
Schließlich erlangten sie sogar die gemeinsame Kontrolle darüber, was anderenorts verbotenen oder sogar unter schwere Strafen gestellten Experimenten, Giftmüllverklappung und der Herstellung von illegalen Produkten nun gänzlich Tür und Tor öffnete.
Damit niemand hinter ihre Machenschaften kommt, werden die Mauer und die Zugänge zur SOX streng bewacht, und nur mehrfach geprüfte Konzernangehörige haben Zugang zu den Fabriken und Forschungseinrichtungen. Doch wie so oft ist kein Netz feinmaschig genug, um nicht durchbrochen zu werden, denn auch Schmuggler. Glücksritter und Schieber wie die ‚Geisterratten’ profitieren von der herrenlosen Zone und sind diejenigen, an die man sich wenden muss, wenn man in die Region hinein- und auch sicher wieder hinauskommen möchte.
Und jenseits der Mauer lauern außer mutierten Tieren und Insekten, tierhafte oder wahnsinnige Wesen, die man kaum noch menschlich nennen kann. Nicht zu vergessen, die allgegenwärtige Strahlung stell eine große Gefahr für die neugierigen Besucher dar. Die Verseuchung hat sogar Einfluss auf die astrale Ebene und die Magie genommen und nicht nur tote und verzerrte Gebiete sondern auch toxische Geister hervorgebracht, die bloß auf Vernichtung aus sind.
Ferner ist hinter den Mauern ein Kult entstanden, der nur ein Ziel hat: „Die Jünger der reinigenden Flamme“ sehen in der atomaren Strahlung die ultimative Reinigung der Menschheit und wollen diese Segnung in die Welt hinaus tragen...
All das findet sich ausführlich beschrieben auf den 128 Seiten des Quellenbandes wieder. Vor allem die Beschreibungen des ersten Teils wissen zu überzeugen, sind sie doch sehr interessant und atmosphärisch und führen den Leser wie einen Neuling, der sich erst informieren möchte, in die Region ein.
Die schnoddrige und lockere moderne Sprache tut ein Übriges dazu, sich gleich heimisch zu fühlen und genüssliche Schauer über den Rücken rinnen zu lassen, denn das, was man da vorgesetzt bekommt, ist nicht ohne.
Sehr viel Raum wird den verschiedenen Gruppen eingeräumt, die in und mit der SOX zu tun haben: Einmal den verschiedenen Bewohnern, die tagtäglich auf ihre Weise ums Überleben kämpfen und dabei teilweise schon ihre Menschlichkeit verloren haben, dann den Konzernen und ihren Angestellten, die sich mehr oder minder frei in der SOX bewegen, dem Wachpersonal vor der Mauer und nicht zuletzt den Schattengestalten, die sich mittels alter Tunnel und neuen Verbindungen ungehindert von den verstrahlten Gebieten in die Außenwelt begeben können, wenn sie entsprechend bezahlt werden.
Auch die Magie, die gerade in der Saar-Lothringen-Luxemburg-Region besondere Anomalien aufweist, wird eine Menge an Aufmerksamkeit gewidmet, denn sie kann den Spielern neben den Auswirkungen der Verstrahlung und Giftmüllverseuchung besonders zu schaffen machen, da ihre Geschöpfe und Anwender keinerlei Skrupel haben; ebenso wenig wie die heimlichen Herrscher die inzwischen auch schon jenseits der Mauern ihre Fäden ziehen und mit denen die Spieler in der sechsteiligen Kampagne zu tun bekommen.
Abenteuer in der SOX verlangen also nicht nur geistige und logistische Fähigkeiten, um die Sicherheitsmaßnahmen der Konzerne auszutricksen, sondern auch eine gesunde Portion an Überlebenswillen und -training von den Spielern, denn gerade die heimtückische Wildnis hat es in sich und kann den Ausgang einer Mission nachhaltig beeinflussen.
Der Quellenband bietet damit gegenüber anderen Regionalbeschreibungen eine interessante Abwechslung, entspinnt er doch ein Szenario, das Erinnerungen an die klassischen Endzeitfilme wie etwa „Der Omega-Man“ weckt und deren düster-zynische Atmosphäre herauf beschwört und bis zum Ende aufrecht erhält.
In der SOX müssen die Helden viele lieb gewonnene Errungenschaften zurücklassen und sich einer Umgebung stellen, in der nur der Stärkste, Schnellste und Gerissenste überlebt, und Wachsamkeit wie Sorgfalt oberstes Gebot ist.
Das dürfte eine schöne Abwechslung zu den eher städtischen Abenteuern in den Megaplexen und den technisch besser ausgestatteten, zivilisierten Gegenden der Allianz deutscher Länder bieten.
Dafür haben die Herausgeber und ihre Autoren ausführliches und stimmungsvolles Material zusammen getragen, das einfach nur Lust macht, sich in die SOX zu stürzen und den Nervenkitzel selbst zu erleben.
hinzugefügt: March 18th 2007 Tester: Christel Scheja Punkte: zugehöriger Link: FanPro Hits: 3426 Sprache: german
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