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Sherlock Holmes - Die komplette zweite Staffel (1984) (DVD)

Sherlock Holmes
GB 1984, mit Jeremy Brett, Edward Hardwicke u.a.
Von Thomas Harbach

Nach dem Achtungserfolg von „Die Abenteuer des Sherlock Holmes“ - insbesondere in England waren die Quoten nicht zuletzt aufgrund der ungünstigen Ausstrahlung im Sommer angemessen, aber nicht herausragend - dauerten die Überlegungen des Studios, eine weitere Staffel zu produzieren länger als gewöhnlich. Jeremy Brett kümmerte sich in den USA um seine kranke Frau, während David Burke wieder in seine Heimat Manchester zurückkehrte, da seine junge Ehe deutlich unter der Trennung gelitten hatte. Als schließlich doch das grüne Licht gegeben wurde, stand nur Brett zur Verfügung, dessen Ehrgeiz es gewesen ist, in allen 56 Kurzgeschichten und vier Romanen aus der Feder Arthur Conan Doyles vor der Kamera zu stehen. Mit Edward Hardwicke konnte ein neuer Watson verpflichtet werden, der überraschend schnell eine gute Chemie mit Brett vor und vor allem hinter der Kamera bildete. Da „Die Abenteuer des Sherlock Holmes“ mit seinem Tod in der Schweiz endeten, blieb nur der Sammelband „The Return of Sherlock Holmes“ zur Adaption über. Die Produzenten hatten schon einige Szenen für die erste Folge der Fortsetzung in der Schweiz gedreht, nur mit geschickten Schnitten im Weitwinkel noch einmal David Burke in seiner Abschiedsvorstellung - also verfügte die erste Folge über einen doppelten Watson. Die Schwierigkeit der Produzenten und des Teams lagen auf einer anderen Ebene. Zum einen war das Budget nicht sonderlich aufgestockt worden, was insbesondere in Punkto Kostüme - die Sets waren ja alle vorhanden - und Ausstattung einige Einschränkungen bedeutete, zum anderen konnte niemand leugnen, dass Arthur Conan Doyle inzwischen von seinem Detektiv und seiner bekanntesten Schöpfung genervt gewesen war. Seine andere literarischen Texte konnten nie an die Verkaufs- und vor allem auch Kritiker-Erfolge seiner Detektivgeschichten heranreichen. Auch wenn Doyle immer noch einige sehr schöne Geschichten hatte, wirkten viele Texte eher ideenlos konstruiert und konzipiert. Ein Manko, das nur behutsames Bearbeiten aufwiegen konnte. Dagegen stand allerdings Bretts Intention, insbesondere die Dialoge möglichst originalgetreu auf die Leinwand zu übertragen. Ein einfaches Unterfangen und diese Diskrepanz sorgten für eine Reihe von heftigen Diskussionen zwischen den einzelnen Teamgruppen. Jeremy Brett sieht man deutlich die Sorgen um seine schwerkranke Frau an. Sein Gesicht ist noch ein wenig hagerer, die Stirn trägt mehr Falten. Auf der anderen Seite konnte er so viel besser den Eindruck eines durch die Welt gehetzten, sich vor Moriartys Schergen versteckenden Holmes ausdrücken und seine Leistung in der zweiten Staffel ist eindeutig seine Beste in dieser Rolle. Hartwicke nutzt den Freiraum, den ihm die späten Doyle-Geschichten geben deutlich besser aus. Auch wenn es paradox klingt, hat die dreijährige Trennung die beiden Männer eher zusammengeführt. Aus der Wohngemeinschaft ist nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass Watsons seine Praxis weiterführt, eine innige Freundschaft mit gegenseitigem Respekt geworden. Auch wenn Watson mehr als einmal als Resonanzkörper für Holmes' außergewöhnliche Theorien und seine Exzentrizität herhalten her halten muss, kann er sich auch wieder erstaunlich gut freischwimmen und wie im Fall der „Internatsschule“ einen wichtigen Hinweis geben, der allerdings weder von Holmes noch ihm aufgenommen wird.
Wie bei der ersten Veröffentlichung finden sich in dem stabilen DVDb-Buch ausführliche Anmerkungen des Produzenten Michael Cox zu den einzelnen Folgen und zu der Vorgeschichte. Vier der elf Folgen liegen nur mit deutschen Untertiteln vor, dabei handelt es sich um deutsche Erstveröffentlichungen. Die deutschen Untertitel für zwei Folgen weichen aber deutlich von den deutschen und englischen gesprochenen Dialogen ab und negieren leider mehr als einmal deren pointierte Inhalte. Ansonsten empfiehlt es sich nicht zuletzt aufgrund des wirklich reinen Schulenglisch, die Originalspuren wahlweise mit den deutschen Untertiteln zu wählen.


Ganz bewusst hat die Produktion die erste Folge dieser zweiten Staffel „Der Leere Haus“ nicht zu Beginn gedreht. Die Chemie zwischen Brett und Hardwicke sollte sich in anderen, weniger elementaren Folgen erst bilden. Im Mittelpunkt der Folge steht natürlich mehr die Rückkehr Holmes, als der auf den ersten Blick spektakuläre Mord an einem jungen adligen Sohn. Zum Mord lässt sich nur sagen, dass ein erfahrener Soldat wie Watson nicht gleich auf die einzige logische Lösung kommt, zeigt, wie sehr Doyle in seiner zugrunde liegenden Geschichte einen Katalysator suchte, um Holmes nach London und für den Leser zum Leben zurückkehren lassen wollte. Eher oberflächlich verbindet er die Tat mit Moriartys Stellvertreter, die natürlich weiterhin nach Holmes Leben trachten, sollte er sich in London blicken lassen. Was allerdings bestechend an die Episode ist, sind die vielen Kleinigkeiten, die sich zu einem faszinierenden Puzzle zusammensetzen. Das beginnt mit der melancholischen Off-Erzählung Watsons, wenn er ans der wohlbekannten Tür vorbeikommt, das geht weiter über die arroganten Kommentare eines Lestrades, der inzwischen sehr offensichtlich Holmes Fähigkeiten reduziert, ihn einen hilfreichen Amateur nennt und seine eigene Persönlichkeit überschätzt, über die Behandlung Watsons als Zeuge in dem Gerichtsprozess bis schließlich wenige Augenblicke nach der Widerbegegnung er den erschöpften Holmes auf seinem Untersuchungstisch eingeschlafen fast liebevoll richtig zudeckt. Insbesondere Jeremy Brett nimmt mehr und mehr die Rolle des Meisterdetektivs an. Weniger exzentrisch, dafür emotionaler, auch ein wenig einsichtig, dass er nur seinem Bruder Mycroft und nicht seinem besten Freund die Wahrheit anvertraut hat.
Ermittlungstechnisch ist die Folge eine Enttäuschung, zu viel Raum wird - nach der Holmes losen Vorgeschichte - seinem Auftauchen, seinem Bericht von dem Kampf an den Reichenbachfällen - viele Szenen wurden schon in weiser Voraussicht für diese Folge früher mitgedreht, nur auf Nahaufnahmen von Watsons musste man durch den Schauspielerwechsel notgedrungen verzichten - und leider nur andeutungsweise von seinen Wander- und Lehrjahren auf verschiedenen Kontinenten der Erde eingeräumt. Auf der anderen Seite ist es wahrscheinlich in Bezug auf die Beziehung der beiden unterschiedlichen Männer eine Schlüsselfolge. Der Zuschauer kann förmlich erkennen, wie Watson mit der Rückkehr seines berühmten Freundes wieder an Lebensenergie und vor allem wieder Selbstbewusstsein gewinnt. Ein guter Auftakt einer zweiten exzellenten Staffel.

Die zweite Folge - „Die Internatsschule“ - ist sicherlich dem Fernseh- und Kinopublikum neu, bis auf ein oder zwei Hörspieladaptionen hat dieser Doyle-Text bislang nur in seiner literarischen Form zugänglich gewesen. Mit sichtlichem Genuss zeigt Brett insbesondere am Ende der Folge eine weitere Seite Holmes': Auch wenn er viele Fälle angenommen hat, weil sie ihn intellektuell stimulieren, manchmal ist er nur zur Tat geschritten, weil er sich unsäglich langweilte, gab es für ihn noch ein drittes Motiv. Immer wenn die Reichen oder Adligen - oder beide in einem - an seine Tür klopften, konnte er seine Abscheu vor diesen aus seiner Sicht Nichtsnutzen nicht verbergen und nahm sie mit horrenden Honoraren aus. Das begann in „Ein Skandal in Böhmen“ und wird über diese Folge - in der Holmes 6.000 Pfund forderte und 12.000 Pfund für seine Arbeit erhalten hat - fortgesetzt. Der Sohn eines Herzogs ist aus der Internatsschule in seiner Nähe verschwunden. Ein Schweizer Lehrer - hier findet sich eine Anspielung auf den Philosophen Heidegger - könnte in die Affäre verwickelt sein. Watson und Holmes reisen in diese kalte Moorlandregion und beginnen mit ihren Ermittlungen. Obwohl die Folge sehr gut inszeniert ist und die düstere Landschaft sich Holmes dunklen Ermittlungen unglaublich harmonisch anpasst und wie ein Stimmungsbarometer wirkt, leidet sie unter einer sehr langen, nicht unbedingt notwendigen Exposition - so referiert Holmes insgesamt zweimal in Rückblenden den Tatablauf mit nur leicht Nuancen - und dann einer eher hektischen, aber fesselnden Auflösung. Insbesondere Watsons fungiert mehr und mehr wieder als Partner und nicht nur als Stichwortgeber. So hat er ein wichtiges Indiz förmlich unter seinen Fingern, das Drehbuch und die Kamera betonen diesen Hinweis auch für die Uneingeweihten und verbinden unerklärlicherweise weder Holmes als Zuhörer noch Watson als Erzähler diese Situation mit dem Fall, in dem sie ermitteln. Aber nicht zuletzt aufgrund des unbekannten Basismaterials, auch wenn der Plot mit seiner Mischung aus Entführung/Bedrohung/Erpressung und dem Schlüssel in der Vergangenheit des Herzogs nur eine Variation mehrerer anderer Holmes-Fälle darstellt, eine überraschend ansprechende Folge.

Im Gegensatz zu „Die Internatsschule“ - hier wurde die Kurzgeschichte Doyles entsprechend erweitert und teilweise in ihrer Erzählstruktur umgeändert - konnte das Team „Der zweite Fleck“ ohne große Veränderungen gegenüber dem Originaltext adaptieren. Auf den ersten Blick wirkt der Plot wie eine Variation der in der ersten Staffel verfilmten Kurzgeschichte „Das Marine-Abkommen“. Wieder verschwindet ein unglaublich wertvolles Dokument aus einem abgeschlossenen Behältnis, die arroganten Politiker bitten Holmes um Hilfe, das Schreiben wieder zu finden und den Täter zu überführen. Nach den ersten Ermittlungen wird nicht nur eine persönliche Geschichte - die Tat hat nur indirekt mit der großen Politik zu tun und wurde nur durch einen Schatten in der Vergangenheit eines der Charaktere möglich - daraus, Holmes verhält sich insbesondere gegenüber dem Täter verständnisvoll. Zwar ist er ein loyaler Diener der Krone, aber - wie mehrmals in Doyles späteren Geschichten - ist die Lösung des Falls wichtiger, als die Bestrafung des Täters. Auffallend neben der schönen Musik sind die stimmungsvollen Aufnahmen des historischen Londons das markante Merkmal dieser Fehler, insbesondere die Auflösung des Plots wirkt schon in der originären Geschichte arg konstruiert und unglaubwürdig. Da fiel es auch dem guten Drehbuch - es wird Holmes' Exzentrizität bzw. eigenwillige Arroganz deutlich betont - schwer, die offensichtlichen Schwächen zu überspielen.

„Das Ritual der Familie Musgrave“ ist sicherlich eine der am schwierigsten fürs Fernsehen zu übertragenen Geschichten der Doyle-Sammlung. Holmes erzählt Watson von einem seiner älteren Fälle, in komplexen und teilweise sich überlappenden Rückblenden wird die tragische Geschichte erzählt. Die Produzenten haben sich entschlossen, weitestgehend auf diese Struktur zu verzichten. Holmes fährt mit seinem Freund Watson gemeinsam in der Gegenwart zum Studienfreund. Auf der Fahrt weist der Detektiv auf seine alten Fälle hin, die Notizen sind in einer schweren Kiste verschlossen, die auf der offenen Kutsche zwecks Bearbeitung mit aufs Land fährt. Wenn Holmes das Schicksal des Dieners rekapituliert überblendet die Kamera sehr geschickt von seiner Silhouette auf den Diener und zurück. Eine weitere herausragende Szene - während der Suche nach dem geheimnisvollen Schatz der Musgraves - lässt Holmes scheinbar stoisch entschlossen über das Wasser des Burggrabens gleiten, erst als die Kamera zurückfährt, wird zumindest dieses Geheimnis auf außergewöhnlich originelle als optische Illusion entlarvt. Da auch der letzte Lord der Musgraves eher einer Karikatur als einem wirklichen Earl entspricht, wechseln sich heitere Augenblicke und Szenen der Eifersucht und des Wahnsinns in dieser komplexen, aber niemals dramatischen Geschichte ab. Gegen Ende des Stoffes verbindet das Drehbuch sehr geschickt historische Fakten mit dieser Fiktion. Eine ungewöhnliche Geschichte - Holmes auf Schatzsuche und nicht auf Verbrecherjagd - sehr typisch für das nebelige, mystische England inszeniert.

Nicht immer steht für Sherlock Holmes die Überführung und Überantwortung an die Justiz des Täters im Mittelpunkt seiner Arbeit, in mehr als einem Fall erfährt sein Geist die Befriedigung, die Tat gelöst, aber trotzdem den Verbrecher nicht verhaftet zu haben, da die Verurteilung des Täters einen größeren Schaden anrichten könnte als dessen Verbrechen. Zu diesen wenigen Fällen - wahrscheinlich auch der berühmteste dieser Ausnahmetexte - gehört „Abbey Grange“, in welchem Doyle die Tradition der Gothic Mystery mit der modernen Ermittlungsarbeit seines Detektivs mischt. Wie keine andere Folge dieser Staffel kommt es sowohl für Holmes/Watson, als auch für den Zuschauer auf das Zusehen, das intensive Betrachten des Tatorts und des Geschehens an. Holmes wird auf das große Anwesen Abbey Grange gerufen, wo die Polizei den Lord erschlagen und dessen junge Frau an einen Stuhl gefesselt aufgefunden hat. Anscheinend haben drei Männer die beiden überfallen und ausgeraubt. Doch Holmes hat Zweifel an dieser Vision und seine Ermittlungen bringen ein Verbrechen aus Leidenschaft zu Tage. Mit seinen genauen Beobachtungen bringt er insbesondere die junge Herrin des Anwesens und ihre Zofe in Bedrängnis. Als Fall per se ist die Handlung sowohl in der zugrunde liegenden Geschichte, als auch der allerdings sehr stimmungsvoll inszenierten Folge eher vorhersehbar. Wie in einer Handvoll anderer Texte greift - zumindest in diesem Fall die schöne - Vergangenheit in die Gegenwart ein. Trotzdem wirkt die Konstruktion des Falls zu starr, abhängig von zu vielen Zufällen auf der handlungs-, aber auch ungewöhnlich ermittlungstechnischen Ebene. Jeremy Bretts schauspielerische Leistung gehört zu seinen besten Darbietungen, insbesondere die improvisierte Gerichtsverhandlung mit ihm als Ankläger/Richter und Watson als einzigem Geschworenen ist ausgezeichnet gespielt und wenn er schließlich von der jungen Frau innig umarmt wird, spiegelt sein Gesicht seine Abscheu und doch gleichzeitig innere Freude, einem sympathischen Menschen geholfen zu haben wider. Wenn „Abbey Grange“ schon nicht als Fall überzeugen kann und sicherlich nicht zu den Höhepunkten seines Schaffens gehört, ist sie in Bezug auf die Chemie zwischen Brett und Hartwidge ein Höhepunkt der zweiten Staffel.

„Der Mann mit dem schiefen Mund“ ist die Jekyll-Hyde Geschichte Sherlock Holmes', wobei das Verbrechen per se auf einem Irrtum basiert. Ein junger Mann ist plötzlich verschwunden, nachdem ihn seine Frau in einer Opiumhöhle zuletzt gesehen hat. Ein stadtbekannter Bettler namens Boone wird verhaftet. Holmes versucht, insbesondere das „Verbrechen“ aufzuklären, der Witwe ist kurz nach dem Verschwinden ihres Mannes noch eine mysteriöse Nachricht zugespielt worden. Sowohl die Fernsehinszenierung, als auch Doyles Geschichten zeigen zumindest schlaglichtartig das Elend der Massen - die Schattenseite des industriellen Fortschritts - auf, kommen aber zu einem verblüffenden und im Kern auch unglaubwürdigen Schluss. Ein guter Bettler im Finanzdistrikt kann mehr Geld erbetteln als ein Gentleman in einem Jahr erarbeiten kann. Ob hier auch ein zynischer Kommentar gegenüber dem neuen Kapital in die Geschichte eingeflossen ist, lässt sich nicht mit Sicherheit feststellen. Im Vergleich zum berühmten Detektiv ahnt ein aufmerksamer Zuschauer die Zusammenhänge, da nur selten der Täter außerhalb der vorgestellten Protagonisten zu suchen ist. Insbesondere Clive Francis in seiner Doppelrolle muss herausgehoben werden, ihm gelingt auf der einen Seite sehr gut das Portrait des armen Bettlers, auf der anderen Seite überzeugt er als in sich zerrissene Persönlichkeit, die sich für seinen Weg des Geldverdienens schämt, aber auch von der Leichtigkeit verblüfft ist. Weniger ein Kriminalfall als eine überzeugende Milieustudie mit sehr guten Sets, einer eindringlichen Musik und Jeremy Brett in einer nuancierten, ein wenig zurückgenommenen Darstellung seines Charakters. Insbesondere Watson wird allerdings im vorliegenden Fall zum Stichwortgeber reduziert, die Polizei natürlich wie immer in ihrer Blindheit bloß gestellt.

Insbesondere in der Folge „Die sechs Napoleons“ musste die Vorlage drastisch umgeschrieben werden, um eine stringente und für den Zuschauer nachvollziehbare Struktur zu erhalten. Was mit einer eher lustigen Bemerkungen Lestrades in Doyles Text anfängt, beginnt in der Fernsehfassung als überzeichnete, heißblütige Vendetta zwischen zwei italienischen Familien. Ganz bewusst wird der Zuschauer durch den Hinweis auf die Ehre der Tochter/Schwester auf eine falsche Spur gelenkt, auch Holmes lässt sich ablenken. Erst mit dem Diebstahl der einzelnen Napoleonstatuen und deren brachialer Zerstörung sowie dem Mord auf der Treppe eines Journalisten beginnen sich verschiedene andere mögliche Facetten abzuzeichnen. Die Problematik der Episode per se liegt in den überzeichneten, fast klischeehaften Nebencharakteren insbesondere zu Beginn und am Ende der Folge. Auch das Versteck in den sechs Napoleons und die Jagd auf die Statuen nach mehr als einem Jahr weckt Zweifel. Wie konnte der Dieb davon ausgehen, dass es insgesamt nur sechs anders bemalte Sonderanfertigungen gibt und alle sechs die Brennkammer/das Trocknen/das Bemalen unversehrt überstanden haben? Hier wird insbesondere im Plot dem Zufall zu sehr die Tür geöffnet. Als charismatischer Ermittler überzeichnet Jeremy Brett seine Figur nicht so stark wie in einigen anderen Folgen. Dazu kommen einige kleine Höhepunkt: Lestrade kann seine Neugierde nicht verbergen und schaut heimlich in Holmes' Akten, nach der Auflösung des Falls greift Holmes zur Geige und spielt fast als Silhouette dargestellt für Watson und sein Publikum und alle englischen Nebenfiguren sind liebevoll exzentrisch dargestellt. Auch wenn „Die sechs Napoleons“ eine Reihe von Schwächen aufweist, gehört sie trotzdem - nicht zuletzt auf ihres Bekanntheitsgrades - zu den als Einstieg in das Holmes-Universum geeigneten Folgen.


Zwischen den „sechs Napoleons“ und den nächsten vier die Staffel abschließenden Folgen sollten fast zwei Jahre vergehen. Obwohl die Serie sowohl in den Staaten, als auch England als Achtungserfolg einzuschätzen gewesen ist, war sich das Filmstudio in Bezug auf die Art der Fortführung unsicher. Auf jeden Fall wollte man noch vor dem Ende der Dreharbeiten mit einem der vier Romane Doyles beginnen. Möglichst als Adaption für das Kino. Diese Pläne mussten schließlich fallengelassen werden, Jeremy Brett erkrankte schwer und verbracht einige Zeit in einem Sanatorium und die Verfilmung des Schlüsselromans „Der Hund von Baskerville“, die schließlich mit einem deutlich zu niedrigem Budget angefangen worden ist, konnte die Erwartungen nicht erfüllen. Unter schwierigen Umständen begann das Team mit den Dreharbeiten zu den letzten vier Folgen der Staffel, für welche die Doyle-Erben die Rechte an weiteren, nach 1907 und damit noch dem Copyright unterliegenden veröffentlichten Geschichten.

Einer dieser Texte ist „Der Teufelsfuß“. Da für die vier letzten Folgen keine deutschen Synchronfassungen vorliegen, hat sich Koch entschlossen, die Originale deutlicher besser als die synchronisierten Folgen deutsch zu untertiteln. Es ist vielleicht bezeichnend, dass ausgerechnet als erstes die Folge ausgestrahlt worden ist, in der Holmes von einem Arzt in London krank geschrieben und nach Cornwall zur Erholung geschickt worden ist. Der Zuschauer erkennt schnell, dass Holmes' Unwohlsein zum Teil auch auf seiner stärker werdenden Kokainsucht basiert. Später wird er in einer Form frühzeitlicher Umweltverschmutzung sich von seiner Spritze und seinem Stoff trennen und beide an einer abgelegenen Stelle vergraben. Gifte und Familienschwüre stehen im Mittelpunkt dieser Folge. Zwei Brüder werden nach einem gemeinsamen Kartenabend wahnsinnig in ihrem Haus gefunden, die Schwester scheint an einem Schock gestorben zu sein. Bevor Holmes noch näher in die Ermittlungen einsteigen kann, wird der dritte Bruder in einem anderen Haus ebenfalls durch Schock getötet aufgefunden. Da die Folge leider gleich zu Beginn den Diebstahl einer exotischen Substanz zeigt, kann der Zuschauer im Gegensatz zu Holmes schnell erahnen, wie die Menschen ums Leben gekommen sind, und da es nur einen Charakter gibt, der sich gut mit Afrika auskennt, ist auch der Täter schnell entlarvt. Einzig die Frage nach dem Motiv lässt Holmes von einer Bestrafung absehen. Der Plot ist ungewöhnlich geradlinig und nicht sonderlich aufregend, die Faszination ergibt sich aus einer Reihe ungewöhnlicher Bilder - die wunderschöne Landschaft Cornwalls ist sehr überzeugend in Szene gesetzt worden, und die Alptraumsequenzen gehören trotz einer gewissen tricktechnischen Einfachheit und ersten Ansätzen von Computergrafiken gerade wegen ihre Simplizität zu den besseren Passagen dieser Art in den Filmen der achtziger Jahren - und aus der stetig wachsenden Freundschaft zwischen Holmes und Watson.

Ebenfalls außerhalb Londons - in diesem Fall in Dartmoor - spielt die Episode „Silver Blaze“, die - wie Michael Cox in seinen Anmerkungen so treffend kommentiert - das Budget der Staffel im Grunde mit einer Kleinigkeit stark belastet hat. Obwohl das Pferderennen in dem Fall um ein verschwundenes Rennpferd und einen toten Jockey keine große Rolle spielt, erwarten die Zuschauer ein abgerundetes Ende mit einem gekürten Sieger. Also inszenierte man zumindest im kleinen Rahmen ein authentisches Pferderennen. Im Gegensatz zur Originalgeschichte offenbart Holmes den Schwindel - das verschwundene Pferd wurde schwarz angemalt und als aussichtsreicher Kandidat von den Verbrechern ins Rennen geschickt - schon vor dem Rennen und damit wird der Doyle-Geschichte sehr effektiv ihre größte Schwäche genommen. In seiner Komposition ist es eine klassische Holmes- Geschichte mit einem Verbrechen zu Beginn - im Gegensatz zum Detektiv kann der Zuschauer die Tat verfolgen -, dann kommt die Ermittlungsarbeit und in diesem Fall vor dem letzten Akt die Aufklärung. Insbesondere Jeremy Brett sieht in der Rolle des Holmes wieder gesünder und tatkräftiger aus, der Plot selbst gehört zu den berühmtesten der insgesamt sechzig „Holmes“-Geschichten, ist gut umgesetzt - nicht zuletzt durch die Eliminierung der verschiedenen Schwächen der Story - und trotz der Vorhersehbarkeit spannend.

Auch „Wisteria Lodge“ leidet selbst in der umgeschriebenen Form unter den Schwächen des Originals. Einer der letzten längeren Texte, die Doyle geschrieben hat. Wieder geht es um eine dunkle Vergangenheit, die verschiedene Ereignisse in der Gegenwart beeinflusst, einen Zufall, der Sherlock Holmes auf den Plan bringt und vor allem ein Verbrechen, das auf der einen Seite von Holmes aufgeklärt, auf der anderen Seite aber vom Schicksal gerecht bestraft wird. Die Schwierigkeit dieser Folge liegt in der komplexen Erzählstruktur aus verschiedenen Rückblenden, zwei sehr unterschiedlichen Erzählern und einer Reihe von Fragmenten, die Holmes nicht durch seine Ermittlungsarbeit, sondern durch eine Reihe von Zufällen und in diesem Fall herausgehoben die Mithilfe von Watson zusammenführen kann. Zumindest eine der Rückblenden enthält Passagen, die die Erzählerin nicht persönlich miterlebt hat. Auch wenn die Inszenierung sehr effektiv ist - eine Reihe von hervorragenden Spiegelszenen und ein fast surrealistischer Spaziergang durch den immer stärker werdenden Bodennebel -, kann sie nicht alle Schwächen des Plots überdecken und gehört zu den schwächeren Folgen dieser Staffel.

Die letzte Folge dieser Staffel „Die Bruce-Partington-Pläne“ zeichnet eine Besonderheit aus. Zum ersten Mal werden Holmes und Watson - allerdings im Namen des Königreichs - selbst zu Verbrechern. Sie brechen in die Wohnung eines potentiellen Verdächtigen ein und finden dort die wichtigen Hinweisen, die schließlich zur Ergreifung des offensichtlich deutschen Spions und später zu seinem Mittelsmann führen. Holmes hat inzwischen auch mehr Vertrauen zu Doktor Watsons und klärt diesen über Mycroft Holmes einzigartige Rolle in der britischen Regierung auf. Das erscheint auf den ersten Blick nach den Vorfällen am Reichenbachfall und dem von Mycroft über drei Jahre gedeckten und finanzierten Verschwinden ein wenig unplatziert, im Rahmen dieser - siehe auch „Der griechische Dolmetscher“ - klassischen Spionage und unkonventionellen Detektivgeschichte aber gut platziert. Der Fall selbst ist insoweit spektakulär, als dass der Zuschauer wie Holmes selbst eher auf Details und Zufälle im Gegensatz zur gewohnten Ermittlungsarbeit angewiesen ist. Die Charaktere inklusiv des nicht wie übel trottelig dargestellten Inspektors sind fein gezeichnet. Dass Holmes auch bereit ist, die Gesetze für einen Ermittlungserfolg zu übertreten ist die andere Seite seines exzentrischen Charakters, der mehr als einmal in dieser Staffel die Verbrecher nicht der Polizei überführt. Getreu seiner Maxime, dass er für die Aufklärung des Rätsels, aber nicht das Verhaften der Täter zuständig ist.


Damit liegen alle auf den ersten Blick alle Episoden der zweiten Staffel vor, die insbesondere bei den Kritikern sehr viel Lob einheimsen konnte. Inzwischen ist auch die Coveruntertitelung von – im Original – „Jeremy Brett as Sherlock Holmes“ zu „Jeremy Brett is Sherlock Holmes“ abgeändert worden, nicht unbedingt politisch korrekt, aber sehr effektiv. Die Bandbreite der Fälle – nicht alle stammen aus der zugrunde liegenden Sammlung „The Return of Sherlock Holmes“ von Conan Doyle – enthält neben Familiendramen, Spionagegeschichten auch das einfache Verbrechen, dem sich der Detektiv so verschrieben hat. Insbesondere im Zusammenspiel mit den Erläuterungen Michael Coxs macht es Spaß, die in Ehren ergrauten Folgen noch einmal anzusehen und sich an dem guten Zusammenspiel zwischen Brett und Hartwidge zu erfreuen. Und doch ist die Staffel in dieser Form unvollständig, auch wenn es die fehlenden Puzzleteile von einem anderen Anbieter inzwischen auf DVD gibt.


Das Bild ist für eine zwanzig Jahre alte Serie natürlich und die Digitalisierung gut gelungen. Die für die Ausstrahlung im DDR Fernsehen genommene Synchronisation ist immer als die sorgfältigere betrachtet worden und die Übernahme auf die vorliegende DVD ist der richtige Schritt. Leider weichen die deutschen Untertiteln deutlich von den Dialogen ab, bei den vier nicht im deutschen Fernsehen ausgestrahlten Folgen ist diese Vorgehensweise stellenweise ärgerlich. Da aber alle britischen Schauspieler ein ungewöhnlich sauberes englisch sprechen, wird empfohlen, die Folgen in der reinen Originalfassung anzusehen. Das wieder 80seitige Booklet von Michael Cox schaut nicht nur hinter die Kulissen, sondern versucht den Lesern einen Eindruck von den Dreharbeiten und dem schwierigen Budget zu vermitteln.

DVD-Facts:
Bild: 1,33:1 (Vollbild)
Ton: deutsch Dolby Digital 2.0 Stereo, englisch Dolby Digital 2.0 Stereo
Untertitel: deutsch

DVD-Extras:
Eingearbeitetes erstmals veröffentlichtes Buch: „Die Wiederkehr von Sherlock Holmes - Ein Hintergrundbericht zur TV-Serie

hinzugefügt: April 11th 2007
Tester: Thomas Harbach
Punkte:
zugehöriger Link: Koch Media
Hits: 2690
Sprache: german

  

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