Princess Aurora
Südkorea 2005, Regie: Bang Eun-Jin, mit Eom Jeong-Hwa, Moon Seong-Keun, Kwon O-Jung, Choi Jong-Won u.a.
Von Thomas Harbach
Das Thema Rache/Rachefeldzug ist sicherlich weder neu, noch unbedingt originell abzuhandeln. In der Historie des Kinos werden aber wichtige Themen oft als Dualität von unterschiedlichen Regisseuren abgehandelt. In Korea war das im Jahre 2005 ebenfalls der Fall. Da beide Filme inzwischen in Deutschland auf DVD erschienen sind, lohnt sich nicht nur die singuläre Analyse, sondern eine Betrachtung des Themenkomplexes per se. Dass die zwei Regisseure jeweils weibliche Racheengel über Koreas Kinoleinwände ziehen ließen, hat aber unterschiedliche Gründe. Zum einen geschah dies in Chan-wook Parks „Lady Vengeance“, dem Abschluss seiner Rache-Trilogie. Dass es die Schauspielerin Eun-jin Bang mit ihrem Regiedebüt nicht einfach haben könnte, liegt weniger an ihren mangelnden Fähigkeiten, sondern an der Struktur ihres Films. Trotz oder gerade wegen der klassischen Rachegeschichte kümmert sie sich mehr um die Motive der einzelnen Protagonisten. „Princess Aurora“ kümmert sich wenig um die klassischen Erzählstrukturen, der Täter ist von Beginn an bekannt, das Motiv wird schnell ersichtlich. Nur der Zusammenhang zwischen den einzelnen Morden wird in der Tradition des italienischen Giallos erst vor dem finalen Höhepunkt in einer nicht gänzlich überzeugenden Rückblendenstruktur erläutert. Gänzlich nicht überzeugend, weil auf der Ermittlerseite ein persönlich Betroffener die Zusammenhänge erst viel zu spät erkennt. Aufgrund der Vorgeschichte nicht überzeugend, spätestens nach dem dritten Mord hätte er zumindest einen latenten Zusammenhang mit seiner Ex-Frau erkennen müssen oder können. Für den Zuschauer wird das komplexe Puzzle erst am Ende wirklich aufgeschlüsselt. Hinweise finden sich mehr als genug im Film. Bei einigen der Opfer lässt sich erkennen, in welchem Zusammenhang sie mit der schrecklichen Tat stehen, bei anderen wird die Vermutung ganz gezielt und bewusst in eine falsche Richtung gelenkt, der Rückblick führt sie aber fast alle zu den unglücklichen oder egoistischen Entscheidungen eines bestimmten Tages zurück.
Nachdem sie mit angesehen hat, wie eine Stiefmutter ihre Tochter mehrfach schlägt, bringt die – auf den ersten Blick unscheinbare – Luxusautoverkäuferin Soon-jung Jong (Jeong-hwa Eom) die Stiefmutter brutal um. In dieser Sequenz ist der Einfluss Dario Argentos fast mit den Händen greifbar. Es scheint sich um eine Wahnsinnstat, im Affekt begangen, zu handeln. Dieser Eindruck bleibt beim Zuschauer zurück, rückblickend allerdings die erste Schwäche des Films. Denn das junge Mädchen muss die Autoverkäuferin Jong kennen und Kinder haben im Allgemeinen ein deutlich besseres Gedächtnis als Erwachsene.
Zwei Polizisten, der erfahrene, religiös beeinflusste Sung-ho Oh (Seong-kun Mun) und sein junger draufgängerischer profaner Kollege Jung (Oh-jung Kwon), werden mit den Ermittlungen betraut. Kurz darauf geschieht ein zweiter Mord, der auf den ersten Blick nichts mit der Ermordung der Frau im Kaufhaus zu tun haben sollte. Eine junge Frau wird in einem Schönheitssalon ermordet. Was die Zuschauer, nicht aber die Polizisten wissen: Soon-jung Jong war erneut die Täterin. Die ermordete Frau hat sich vorher abschätzig gegenüber einer Bediensteten verhalten. Weiterhin kennen sich die beiden Frauen auch privat. Ganz bewusst zeigt der Film Jong als scheinbar unzurechnungsfähige Psychopathin, eine hübsche Frau, ruhiges Wesen, aber zu überraschend brutalen Taten fähig. Am zweiten Mordschauplatz fällt Jung ein Sticker des Kinder-Cartoons „Princess Aurora“ auf. Weitere Nachforschungen an dem ersten Mordschauplatz fördern einen ebensolchen zu Tage.
Jetzt steht für die Polizei fest, dass sie es mit einer Serienkillerin zu tun haben könnten. Doch den Zuschauer umtreibt eine weitere Frage noch viel mehr: Warum sagt Oh, der auf dem Weg dazu ist, seine Polizeimarke gegen eine Priesterkutte zu tauschen, seinem Kollegen nicht, dass er eine dringend Tatverdächtigte auf dem Videoband des Kaufhauses gesehen hat? Und warum hat er versucht, beim zweiten Mord die Existenz des „Princess Aurora“-Stickers zu vertuschen und ist nur gescheitert, weil es zwei Sticker gab? Da der Zuschauer nichts über seine Vergangenheit weiß oder warum in dem tüchtigen Polizisten plötzlich ein solcher Sinneswandel stattgefunden hat, bleiben seine Motive im Dunkeln. Allerdings sind die anderen Polizisten inklusiv seines Kollegen unglaublich unsympathisch, arrogant und in Person seines Vorgesetzten unfähig gezeichnet worden, dass der Zuschauer nicht unbedingt sofort auf eine persönliche Verbindung zwischen Polizist und Täterin schließen kann und wird.
Das wichtigste Spannungselement des Films und die für einen Zuschauer greifbarste Handlungsebene ist das Motiv der Täterin. Die Polizei tappt im Dunkeln. Während der dritte Mord scheinbar noch aus dem Nichts kommt, wird der Zusammenhang mit der vierten Tat deutlich, überdeutlich.
Regisseurin Eun-jin Bang legt dem Zuschauer ein manchmal sehr verworrenes Puzzle vor, was dieser nach und nach an Hand des insbesondere gegen Ende des Films ambitioniert, aber unglücklich strukturierten Plots verfolgen kann. Sie nimmt das Publikum dabei viel zu stark an die Hand. Das liegt aber auch im Sujet begründet. Es ist nicht nur ein billiger Splatterfilm. Das Thema Rache in Form von Selbstjustiz wird sicherlich überspitzt dargestellt, aber die einzelnen Protagonisten zeigen auch für ihr egoistisches Verhalten keine Reue, sondern fordern die Bestrafung heraus. Ob man sie alle gleich umbringen müsste, steht auf einem anderen Blatt. Die biblische Methode des „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ ist generell ein heißes Eisen, aber insbesondere Eltern von kleinen Mädchen werden die Motivation der Täterin nachvollziehen, vielleicht sogar gut heißen. In einer Justiz – das gilt augenscheinlich auch für Südkorea -, die sich dank Bestechung zu Ungunsten der Opfer und Hinterbliebenen orientiert hat, vielleicht die einzige Möglichkeit. Allerdings polarisiert der Film auch. Die Täterin bleibt, spätestens nachdem der Zuschauer ihre Geschichte erkannt hat, sympathisch, die Opfer werden als egoistisch, exzentrisch, arrogant und selbstverliebt beschrieben. Jede Sünde scheint ihnen nicht fremd zu sein. Mit diesen extremen Charakterzeichnungen nimmt man ihnen auch eine gewisse Würde, ihre Tötung erscheint gerechtfertigt und wird nicht weiter hinterfragt. Wenn am Ende der bis dato eher sachlich nüchtern gezeichnete Ex-Ehemann, Ex-Polizist und Ex-Priester ebenfalls aktiv in das Geschehen eingreift und Hilfestellung leistet, dann wird aus dieser beunruhigenden Tendenz eine fragwürdige, eine zu simplifizierte Plotauflösung. Das stetige Hinterfragen, die Suche nach einem moralischen Mittelweg entfällt und die einfachen Instinkte der Zuschauer werden befriedigt. Das reicht nicht, um den Film von den Rache-Epen der siebziger und frühen achtziger Jahre abzuheben. Ob „Last House on the Left“, „Night Train Murders“ oder „Naked Killer II“ – die Struktur ist gleich und nur selten gelingt es wirklich, überzeugende Protagonisten in emotional schwer zu lösende Krisen zu manövrieren, aus denen der Charakter und Zuschauer etwas für sich mitnimmt.
Die sterile Hochglanzoptik, die allen Bildern des Films gemein ist, erweist sich insgesamt als weiteres distanzierendes Element. Dem Zuschauer werden über alle Maßen stilisierte und damit künstliche Bilder geboten. Die Regisseurin zeigt eine Welt des Luxus. Das Spektrum reicht von Luxusapartments oder Nobelkarossen (bevorzugt aus dem Hause Porsche) bis zum dekadenten, aus schwarzen Kassen finanzierten Lebensstil des zu einem Klischee reduzierten Anwalts. Wie bei Michael Manns Film passt diese kalte Erzählweise nicht zu der emotional anrührenden Geschichte, im Grunde steht sich die Regisseurin an einigen Stellen selbst im Weg. Typische Anfängerfehler, in denen der Stil über die eigentliche Geschichte siegt. Damit ist die Inszenierung dieser Kunstlichtwelt routiniert und überzeugend. Passt und überzeugt die Zusammensetzung aus Optik und Inhalt am Anfang noch, untergräbt sie vor allem gegen Ende den Versuch der Regisseurin, Gefühle beim Zuschauer zu erzeugen.
Mit Hauptdarstellerin Jeong-hwa Eom besitzt der Film eine überraschend vielseitige Schauspielerin. Es mag zwar etwas übertrieben erscheinen bei der fest im koreanischen Film- und vor allem im Musikbusiness etablierten Jeong-hwa Eom von einer Debütantin zu sprechen, aber bislang hat sie sich auf romantische, leichtherzige Komödien konzentriert. Hier überzeugt sie nicht nur als eiskalte Killerin und Rächerin auf ganzer Linie, sondern vor allem als Frau. Sie verführt einige ihrer Opfer – dabei schläft sie auch mit ihrem Exmann – oder wirkt schutzbedürftig. In manchen Szenen spiegeln ihre klassischen, kühlen Züge nicht immer ihre Emotionen wider. Was deutlich wird, ist, dass sie eine eigenständige, aktive Persönlichkeit ist. Mehr und mehr überschreitet sie allerdings im Film die Grenze zum Wahnsinn, nimmt die Züge ihrer ermordeten Tochter auf und reduziert/relativiert damit ihren Charakter auch stark. Als eiskalte, sehr methodisch vorgehende Rächerin wäre sie effektiver und überzeugender gewesen.
Die restlichen Darsteller in allerdings nicht selten gleichgültig geschriebenen Rollen agieren dagegen völlig in ihrem Schatten. Vor allem Seong-kun Mun überzeugt in seiner Darstellung des undurchsichtigen und von seinem Beruf desillusionierten Polizisten nur phasenweise. Anstatt hier einen starken Gegenpol – einen letzten Versuch, eine gewisse moralische Basis aufrecht zu erhalten - zu etablieren, unterliegt er schließlich dem süßen Duft der Rache und seiner charismatischen Ex-Frau. Natürlich will „Princess Aurora“ kein tief schürfendes Drama verkörpern, sondern brachial-brutal unterhalten, aber viele gute Ansätze des Drehbuchs werden durch die schwache bis nicht vorhandene Charakterisierung des Drehbuchs verschenkt. Der Zuschauer hat unbestimmt das Gefühl, als wollten die Macher gar keine Gegenposition versuchen, sondern sich gänzlich auf die Protagonistin und ihren begründeten, aber trotzdem fragwürdigen Rachefeldzug konzentrieren.
Die größte Schwäche des Plots ist aber sein sehr lang gezogener und phasenweise langweiliger Mittelteil. Entweder hätte man diesen Mittelteil – der Zuschauer kennt die Täterin, nur noch das Motiv ist unklar – gestrafft oder eine weitere Handlungsebene eingezogen. Möglichkeiten genug wären vorhanden gewesen. So hätte sich der rücksichtslose Anwalt angeboten. Seine fragwürdigen Methoden vor Gericht entlarven oder ihm noch einen Fall übertragen, welcher ihn wieder in eine juristische Grenzsituation bewegen lässt. Hier hätte sich angeboten, ein Berufungsverfahren aufzunehmen, in welchem der Kindermörder vielleicht sogar auf freien Fuß gelangt wäre. Mit dieser Wendung des Plots hätten die Autoren auch einen zeitlichen Druck auf die Täterin ausüben können, der sie zu Fehlern oder einem schnelleren Vorgehen zwingt. Fast provozierend langsam arbeitet sie ihre Liste ab. Ein wenig Spannung wird erzeugt, als sie den Kontakt mit ihrem Ex-Ehemann aufnimmt und ein Katz- und Maus-Spiel beginnt. Aus dieser psychologisch interessanten Situation wird allerdings auch zu wenig für das Momentum abgeleitet. Die scheinbar finale Konfrontation ist trotz einer hervorragenden Exposition eine mechanische Angelegenheit. Sowohl in der
Anlage als auch im Schnitt hätten hier eine unerträgliche Spannung erzeugt werden können. Unglaubwürdig ist, dass sie ihre Rache schließlich doch vollenden kann. Es ist unwahrscheinlich, dass Südkorea nur über eine psychiatrische Anstalt für geistesgestörte Gewaltverbrecher verfügt und das niemand gemerkt hat, dass der Mörder ihrer Tochter und sie selbst in einer Anstalt untergebracht worden sind. Die Hilfe ihres Ex- Mannes hätte intelligenter geplant werden können. So endet der interessante, wenn auch nicht unbedingt befriedigende Rache- Thriller nicht nur unter seinen Möglichkeiten, sondern mit einem handlungstechnischen Kompromiss.
Das Bild dieser DVD ist hervorragend. Insbesondere die Schwarztöne wirken sehr natürlich, die Nachtsequenzen sind nicht künstlich aufgehellt. Die Regisseurin hat fürs Kino optimal, für eine DVD-Veröffentlichung nicht unbedingt immer geeignet auf Details sowohl im Vordergrund, als auch Hintergrund des Bildes geachtet. Splendid hat sich Mühe gegeben, den Film im richtigen 2.35.1 Format wiederzugeben, die Ränder – sowohl an den Seiten als auch oben/unten – wirken nicht abgeschnitten, soweit notwendig, werden die Schwenks sehr behutsam ausgeführt. Der Ton ist auf beiden Spuren sehr gut. Die Dialoge sind vor allem in der Originalfassung mit den reichhaltigen Hintergrundgeräuschen überzeugend. Insbesondere die rückwärtigen Kanäle runden die gelungene Präsentation sehr gelungen ab. Sie begleiten das Geschehen auf der Leinwand, ohne mit einem zu lauten Ton die Handlung zu erdrücken.
Die Extras finden sich überwiegend auf der zweiten DVD. Der Film selbst wird von einem Kommentar begleitet. Sehr lebhaft wird von den Mitwirkenden vor und hinter der Kamera die Entstehung des Films diskutiert. Dabei bemüht man sich weniger, die problematische Thematik Selbstjustiz zu beleuchten, sondern die Entstehung des Films und einzelne Facetten des Plots nicht immer ernst zu beleuchten. Auf der zweiten Disc bringen die Interviews mit der Regisseurin und den Schauspielern keine weltbewegend neuen Informationen. Es scheint eher so, als wären diese Promotionsinterviews inzwischen auf der ganzen Welt nichts sagend und oberflächlich geworden. Von größerem Interesse ist eine kleine Featurette über die Art Direction und die Kameraführung komplett mit einigen kurzen, aber aufschlussreichen Setbesuchen. Neben dem Musikvideo „Fading Flowers“ ist noch Pang Kurzfilm „Ain´t No Maid“ ansehenswert. Er zeigt zu erst den gewöhnlichen Tagesablauf einer Hausfrau, die sich schließlich in ihren Aufzeichnungen selbst verwirklicht. Neben den obligatorischen Trailern und Teasern wird noch der Bogen zu der „Princess Aurora“ Stickerproduktion inklusiv der Interviews geschlagen. Die Extras auf der zweiten Disc rechtfertigen nicht unbedingt den Kauf der Special Edition, sie runden die gelungene Präsentation zufrieden stellend ab.
DVD-Facts:
Bild: 2,35:1 (16:9, anamorph)
Ton: deutsch Dolby Digital 5.1, koreanisch Dolby Digital 5.1
Untertitel: deutsch
DVD-Extras:
Audiokommentar, Making of, Featurettes