Blood Rain
Südkorea 2005, Regie: Kim Dae-Seung, mit Cha Seung-Won, Park Yong-Woo, Ji Seong u.a.
Von Thomas Harbach
Wie schwer ist manchmal einem Vertrieb fällt, insbesondere einen unbekannten asiatischen Film über die engen Grenzen der Fangemeinde heraus einem Publikum vorzustellen, erkennt der potentielle Käufer auf dem Backcover der DVD-Veröffentlichung des koreanischen „Blood Rain“. Da wird ein Vergleich zu „Der Name der Rose“ gezogen, der in dieser Form nicht aufrechterhalten werden kann. Dann wäre jede Rache-Geschichte eine weitere Variante von „Der Name der Rose“. Dass die Brutalität Filmen wie „Sieben“ entspricht und teilweise durch ihren brutalen Realismus übertrifft, soll hier nicht abgestritten werde.
Die Idee eines möglicherweise übernatürlichen Mörders und einer Rache von jenseits des Grabes spiegelt sich nur in zwei Szenen wider. Nämlich im Aberglauben der einheimischen Bevölkerung, welche der Meinung ist, einen Geist zu sehen, der schließlich die schon laufende Rache in Form von brutalen Morden an wichtigen Männern der kleinen Gemeinde auf einer abgeschiedenen Insel zu legitimieren sucht und am Blutregen, der am Ende des Films vom Himmel fällt. Der Zuschauer und der vom Festland gekommene Ermittler haben den Eindruck, als weine der Himmel Blut ob der Feigheit der Inselbevölkerung. Sie tötet schließlich den wehrlosen Sohn eines der Männer, welche die fatale Kette von Gewalt erst in Gang gesetzt haben. Eine weitere Erklärung für dieses Phänomen gibt es nicht. Sie würde auch in diesem Moment die nihilistische Atmosphäre eines über weite Strecken sehr ungewöhnlich inszenierten, im historischen Ambiente spielenden Thrillers negieren. Was für eine latente Ähnlichkeit mit Filmen wie „The Wicker Man“ sprechen könnte, wäre die Abgeschiedenheit des Handlungsortes und die Tatsache, dass ein außen stehender Beamter durch eine vorsätzliche Brandstiftung auf die Insel gelockt wird. Allerdings verzichtet das Drehbuch am Ende auf eine folgerichtige Auflösung und entlässt den innerlich veränderten Beamten wieder in seine Welt. Der Zuschauer hat das Gefühl, als wenn die Aufklärung der Tat nur die erste Hälfte des Films dominieren soll. Wie für einen guten Thriller maßgeblich, wird auch der ermittelnde Beamte innerlich und äußerlich von den grausamen Taten und mehr noch den Reaktion seiner Umwelt und der Menschen verändert. Der Film schließt mit einem ebenso starken Bild, wie er beginnt. Der Zuschauer sieht ein fast traumhaft schönes Panorama. Vollmond. Eine Spiegelung auf der Wasseroberfläche. Mit dem nächsten Bild erkennt der Zuschauer, dass er nicht auf das Wasser schaut, sondern aus dem Wasser heraus ein neutraler Beobachter der folgenden Ereignisse wird. Eine Frau stürzt förmlich auf den stummen Zeugen zu. Ein Schnitt. Es ist Tag. Eine armselige Insel mit einer Papierfabrik. Hier wird für den Kaiser produziert. Es ist Anfang des 19. Jahrhunderts, Korea unter der Chosun- Dynastie. Die Lieferung an den Kaiser stellt für die armseligen, fast versklavten Einwohner der Insel unter der Knute der gnadenlosen Fabrikbesitzer immer eine Festivität dar. So beginnt auch die Erzählung, beginnt mit einem rituellen Fest auf der vom Festland weitgehend isolierten Insel Donghwa, das aus dem Ruder läuft, als das Schiff mit der regelmäßigen Papierlieferung für das Königshaus abbrennt. Ein furchtbarer Skandal und die Angst vor einer brachialen Bestrafung ist fast zum Greifen spürbar. Der Kaiser schickt einen Ermittler, den Beamten Won-kyu (Cha Seung-Won) auf die Insel. Er ist ein stiller, intelligenter Mann, der sowohl die Kombinationsgabe, als auch die Folter beherrscht. Er wird nicht unbedingt als klassischer Vertreter des arroganten kaiserlichen Hofs charakterisiert, aber er ist ein für die Dorfbevölkerung gefährlicher Mann, der ehrgeizig seinen Auftrag erfüllen will. Es gelingt ihm relativ schnell, den Täter zu finden. Überraschend schnell in der isolierten Gemeinde. Trotzdem hat er das Gefühl, als wenn ihm erstens nicht alle Fakten auf dem Tisch liegen und zweitens, dass es noch einen weiteren Grund für sein Auftreten auf der Insel geben könnte. Hier spielt das Drehbuch sehr geschickt mit der Erwartungshaltung der Zuschauer. Er verfolgt das Geschehen ja ausschließlich aus den Augen eines Fremden. Im Gegensatz zu Won-kyu verfügt er allerdings über eine weitere Information. Der Tod der jungen Frau könnte mit den Ereignissen zusammenhängen. Die Opfer eines aus dem Nichts ausbrechenden Mordserie haben anscheinend eine gemeinsame Vergangenheit, über die auf der Insel geschwiegen wird. Kang, der Besitzer der ortsansässigen Papiermühle, wurde beschuldigt und verurteilt, ein Anhänger des seinerzeit streng verfolgten Katholizismus und der westlichen Lebensart zu sein, woraufhin er selbst und seine Familie brutal hingerichtet wurden. Obgleich Kang auf der Insel ein hohes Ansehen genoss und alle Bewohner um seine Unschuld wussten, schwiegen diese, da sie ihm sämtlich Geld schuldig waren. Wie bei einem Puzzle erfährt der aufgeklärte Won-kyu erst nach und nach diese Informationen. Er ist sich schnell der Tatsache bewusst, dass Kangs Tod den Menschen finanziell geholfen hat. Diese haben aber in ihrer Kurzsichtigkeit den Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben, da die neuen Besitzer der Papiermühle die Arbeiter deutlich mehr drangsalieren. Und sollte jetzt fast zeitgleich mit der Ankunft des Fremden Kangs Geist wieder auferstanden sein und nach sieben Jahren Rache nehmen wollten?
Wie es sich für einen modernen Thriller gehört, gibt es auf die vielen Fragen nicht ausreichend Antworten. Immer wieder werden geschickt Hinweise auf einen doch möglicherweise übernatürlichen Hintergrund eingestreut. Im Gegensatz zu dem ebenfalls vor kurzem erschienenen Martial Arts-Filme „Sword in the Moon“, der ebenfalls eine Rache-Geschichte als Einstieg nutzt, um über Ehre und wahre Freundschaft zu philosophieren, gibt „Blood Rain“ in dem immer komplexer werdenden Beziehungsgeflecht dem Zuschauer nur wenige Möglichkeiten, wirklich über mögliche Täter zu spekulieren. Das liegt zum einen in der einfachsten Tatsache begründet, dass der Raum nicht reicht, um wichtige und unwichtige Personen wirklich in die geradlinige Handlung zu integrieren. Es fehlt der Raum, sich ein eigenes Bild über die einzelnen Protagonisten machen zu können. Bis auf eine einzige Szene, in der der Täter mit einer Gesichtsmaske zu Pferd vor den Ordnungskräften flieht, weiß der Zuschauer nicht einmal, ob es diesen Rächer von jenseits des Grabes überhaupt geben könnte.
Über weite Strecken seiner Laufzeit wird der Film somit zu einer fordernden Angelegenheit. Das historische Ambiente ist fremdartig. Das erhöht die Spannung. Die Insel wird in wunderschönen Bildern in Szene gesetzt. Die anscheinend stoische Natur steht in einem starken Kontrast zum brüchigen Menschenwerk. Die Kamera bewegt sich zwar nicht hektisch mit dem Geschehen, ist aber immer in Bewegung auf der Suche nach ungewöhnlichen Perspektiven. Dazu kommt, dass insbesondere für westliche Zuschauer der Ermittler Won-kyu keine charismatische Identifikationsfigur ist. Dabei ist er der einzige Außenseiter, auf dessen Seite sich der Zuschauer schlagen kann. Die Distanz ist deutlich spürbar. Wie sich Won-kyu vom Geschehen auf der Insel separiert, um seinen Fall abschließen zu können, so distanziert er sich vom Zuschauer. Das mag in Filmen wie „In Cold Blood“ sehr gut funktionieren, in Thrillern wie „Sieben“ oder „Der Name der Rose“ braucht der Zuschauer einen Sympathieträger, eine Figur, deren Ideen er vertrauen kann. Das Drehbuch legt in dieser Figur eine weitere falsche Fährte, die später im dramatischen, aber abrupten Showdown nicht weiter aufgeklärt wird. Aus diesem Grund brauchte man einen jüngeren Charakter. Ein erfahrener Charakter wie Sean Connery oder Morgan Freeman hätte dieser im Grunde sehr ruhigen Inszenierung – es gibt ausreichend Brutalität und Gewalt, aber keine sehr aufwendigen Actionszenen – mehr Tiefe gegeben. Won-kyu ermittelt schließlich den Täter, aber die Überführung und Bestrafung geht im Thema Selbstjustiz, Massenpsychose und schließlich schlicht und ergreifend Angst unter. Dabei sind die Ansätze in Bezug auf seine Charakterisierung in einem korrupten, politisch fragwürdigen Umfeld durchaus interessant. Won-kyu ist die einzige Figur des Films, die sich ihren persönlichen Schwächen stellt und versucht über ein aktives Handeln zu einem besseren Menschen zu werden. Er ist nicht frei von Schuld. Seine emotionale Seite stellt anscheinend ein persönliches Hindernis für ihn dar. Über weite Strecken des Films hat er sie unter Kontrolle, nur am Ende wird ihm der persönliche Triumph verweigert. Im Augenblick des Erfolges – er hat beide Rätsel gelöst und den Täter ausgeschaltet – vernichten die Rachsucht und Angst der Inselbewohner seine Arbeit und zeigen ihm die Hilflosigkeit des Individuums in einem nicht funktionierenden Staatssystem auf.
Es ist erstaunlich, wie stark der Regisseur Kim Dae-Seung schließlich seinen elementaren Plot negiert und die einfachen Instinkte der Menschen in den Vordergrund stellt. Dabei fehlt ihm aber die Konsequenz, insbesondere die Idee des Blutregens wenn nicht zumindest auszuarbeiten, so doch Einfluss auf das Verhalten der Menschen nehmen zu lassen. So optisch beeindruckend die Reaktion der gerade aus einem Blutrausch erwachten und sich keineswegs schuldig fühlenden Arbeiter auch sein mag, fehlt das reinigende Element der Katharsis. Wong- Kyu kapituliert schließlich vor dieser aus seiner Sicht primitiven Gesellschaft und begnügt sich mit dem stillen Triumph, den Auftrag des Kaiser ausgeführt zu haben und sowohl den Brand des Papierschiffes als auch den psychotischen Rächer ermittelt zu haben.
Zum Kontext des Films passt, dass Kim Dae-Seung vor allem die Folterszenen mit einer eiskalten Präzision inszeniert, die über den Rand des Erträglichen hinausgehen. Sie sind in diesen historischen Kontext eingebettet und basieren auf historischen Aufzeichnungen. Selbst der im Grunde schon aufgeklärte Won-kyu setzt die Folter als alltägliches Mittel ein, um Geständnisse zu erlangen. Der geheimnisvolle Rächer foltert seine Opfer auf bestialische Art und Weise, um den Opfern noch einmal ihre feige Tat vor Augen zu halten und der Staat tötet auf bestialische Weise seine Gefangenen, um Exempel zu statuieren. Ein unheilvoller Kreislauf aus Blut und Gewalt, der auch nicht zu stoppen ist. Ob Won-kyu am Ende des Films erkannt hat, dass dieser einseitige Weg falsch sein kann, bleibt offen. Diese Szenen sind beängstigend realistisch – sie erinnern an Paul Verhoevens „Flesh and Blood“ - und die Kamera zieht in den entscheidenden Momenten nicht weg. Das wird dem Film sehr viel Kritik und in Deutschland keine Jugendfreigabe einbringen, zeigt aber auch auf, dass Gewalt kein Spielzeug ist.
Im Gegensatz zu den klassischen Thrillern geht es hier weniger um die Ermittlungsarbeit und Überführung des Täters. Das zeigt Kim Dae-Seung fast frech seinen Zuschauern im Showdown. Er zeigt eine isolierte Gesellschaft, auf Unterdrückung und Aberglaube aufgebaut. Die Abneigung gegenüber den Christen ist spürbar. Sie stellen für die einheimischen Menschen verfügbare Sündenböcke dar. Deren Tötung wird vom Staat sanktioniert. Dazu kommt, dass der neue Glaube die gut verteilten Pfründe gefährdet. Nicht immer vordergründig oder plakativ nimmt der Film diese Idee auf, extrapoliert sie aber auf einem erstaunlich bescheidenden Niveau. Nicht selten hat der Zuschauer das Gefühl, als wolle Kim Dae-Seung in diesem Film mehr ausdrücken als das Drehbuch und der Plot zulassen.
Die einzelnen, sehr unterschiedlichen Handlungsbögen stehen immer wieder in einem starken, fast absurden Kontrast zu der wunderschönen Natur. Die Grundstimmung des Films ist halt, dass ganz bewusst keine emotionale Ebene zum Zuschauer gesucht wird. Es gibt keine pathetischen Szenen, es gibt nur Gewalt und Schmerz, Hass und Missgunst. Kim Dae-Seungs feines Gespür für eine naturalistische Farbgestaltung und eine für einen zweiten Kinofilm erstaunliche sichere Kameraführung negieren nicht das Fehlen einer Identifikationsfigur. Wie auch in Paul Verhoevens „Flesh and Blood“ wird der Zuschauer dadurch in eine Außenseiterposition gedrängt – wahrscheinlich vom Drehbuch gewollt – und verfolgt das nicht immer spannungsgeladene, aber kontinuierlich interessante inszenierte Geschehen aus einer zu weiten Distanz und aus einer passiven Haltung. Damit gehen sehr viele wichtige Ansätze – wie die Unterdrückung des Glaubens – verloren. Kim Dae-Seung versteckt in seinem hintergrundtechnisch dichten Plot sehr viele Details, die er mit seiner fast dokumentarischen Inszenierung nicht immer richtig pointieren kann. Dazu kommt, dass ganz bewusst auf einen lautstarken Soundtrack verzichtet wird. Erst nach und nach erobert die Musik einen ganz kleinen Teil des Films, untermalt wichtige Entwicklungen, lenkt aber niemals vom Geschehen ab. Ganz absichtlich werden jegliche Anspielungen auf die opulenten historischen Ebenen negiert. Das beginnt beim Plot über die bodenständige Szenerie bis zum im Inneren emotionalen Chaos auslaufenden Endes. Ob der Zuschauer ihm und seinem Film eine zweite Chance gibt, sich über den vordergründigen und sehr stringent inszenierten Plot hinaus mit dem sozilogischen, historischen und kulturellen Umfeld zu beschäftigen, mag bezweifelt werden. Wie sehr er gegen die Erwartungen des klassischen Thriller-Genres inszeniert bzw. diese Handlungsstruktur nur als Aufhänger benutzt, spricht für die Experimentierfreude des koreanischen Kinos.
Zusammen mit dem ebenfalls sehr unkonventionellen, modernen aber packenden „Memoires of Murder“ gehört „Blood Rain“ zu einer Reihe ungewöhnlicher, aber nicht gänzlich befriedigender Thriller, die in erster Linie im Gewand eines Unterhaltungsfilms auf Missstände hinweisen, Kritik üben und erst danach einen Spannungsbogen präsentieren wollen Geht man den Film von dieser Warte aus an und ignoriert die eher schubladenorientierte Werbung, ist „Blood Rain“ nicht zuletzt aufgrund der brutalen Folterszenen ein verstörendes, aber sehenswertes Experiment.
Splendid hat den Film sowohl als Einzel-DVD, als auch in einer wunderschönen Doppel-DVD auf den Markt gebracht, als so genannte Limited Gold Edition . Auch wenn der Klappentext eher Genreverbindungen betont – in den Extras wird der Regisseur mehrmals deutlich machen, dass er das zwischen allen Stühlen sitzen und keine Richtung vorgeben bevorzugt – geben die Bilder zumindest einen ersten Eindruck von der nicht erdrückenden, aber angemessenen Optik des Films. Das Bild ist im 2.35:1 Format richtig wiedergegeben, die deutsche Synchronisation stimmig. Es empfiehlt sich aber trotzdem, auf den Originalton auszuweichen. Die Untertitel sind gut, aber die deutschen Sprachmuster passen natürlich überhaupt nicht zu den Lippenbewegungen. Auf einer zweiten DVD findet sich eine Reihe von interessanten Extras, die insbesondere den Film in den historischen Zusammenhang einbetten und dem Zuschauer eine Reihe von wichtigen Zusatzinformationen geben. Es empfiehlt sich, erst den Film anzusehen und dann auf die mannigfaltigen Extras wie das Making Of und das Folterszenen-Special zu gehen. Mit diesem Beitrag sollen nicht die Splatter-Freunde befriedigt werden, sondern aufgezeigt werden, wie eng sich der Film an die geschichtlichen Vorgaben gehalten hat und nicht niedere Instinkte wie bei „Hostel“ ansprechen wollte. Die Interviews, insbesondere mit dem jungen ambitionierten Regisseur, aber auch den Schauspielern vermitteln einige Ideen von deren Rollenverständnis. Nicht alles konnte auf den Film übertragen werden, aber zumindest wirken die einzelnen Charaktere nach diesen zusätzlichen Informationen zweidimensional im Gegensatz zu der manchmal bis zum Klischees reduzierten Charakterisierung des Films. Neben den eher nichts sagenden Deleted Scenes gibt es noch einen kurzweiligen Beitrag über die guten, aber eher hintergründig eingesetzten Trickeffekte. Da „Blood Rain“ an der koreanischen Kinokasse eher ein Überraschungserfolg war, trotz seines verhältnismäßig hohen Budgets, konzentrieren sich die einzelnen Beiträge darauf, die nicht immer einfache Entstehung des Films zu beleuchten und nicht überzogenes Werbematerial zu präsentieren.
DVD-Facts:
Bild: 2,35:1 (16:9, anamorph)
Ton: deutsch Dolby Digital 5.1, koreanisch Dolby Digital 5.1
Untertitel: deutsch
DVD-Extras:
Behind the Scenes, Folterszenen-Special, Interviews