Peter Schwindt
Lauernde Stille
Libri Mortis 3
Titelillustration Andreas Henze
Loewe Verlag, 2007, Hardcover, 392 Seiten, 16,90 EUR, ISBN 978-3-7855-5877-5
Von Carsten Kuhr
Zum nunmehr dritten Mal entführt uns Peter Schwindt in die französische Hauptstadt. Zusammen mit Rosalie, unserer sechszehnjährigen Erzählerin, haben wir zweimal die Katakomben unterhalb von Paris aufgesucht, uns mit dem mysteriösen Pylart, der mittels eine Berührung die dunkelsten Geheimnisse jedes Menschen erfahren kann eine spannende Jagt geliefert. Nachdem es Rosalie gelungen ist, dessen Archiv mit dem belastenden Material abzufackeln, geht eine Welle von Rücktritten bedeutender Wirtschaftsführer und Politiker durch Frankreich. Doch der Täter selbst ist entkommen.
Rosalie selbst weiß immer noch nicht, wie sie mit dem phantastischen Geschehen umgehen soll. Was ist vor ihrer Geburt passiert, warum liegt ihre Mutter seitdem im Koma, und wer ist Amadeus?
Die Lektüre der Tagebücher ihrer Mutter, das Einzige, was sie aus den Flammen des Archivs retten konnte, soll ihr hier Aufschluss bringen. Doch schon die erste Hineinschnuppern zeigt, dass die Bücher einen dunklen, fast morbid zu nennenden Einfluss auf Rosalie ausüben. Sie taucht in die erzählte Handlung ein, schlafwandelt, erlebt scheinbar am eigenen Leib mit, was damals geschah, und kann entsprechende Wunden vorweisen. Ist sie verrückt? Sind das Stigmata oder durchlebt sie eine Zeitreise?
Sie lässt sich in die Klinik St. Anne einweisen, doch auch hier gehen ihre lebensgefährlichen Schlafwanderungen weiter. Damit nicht genug, hat die Klinik einen Zugang zu den Katakomben in denen Pylart lauert.
Nur die Auffindung des Spiegels und die Beendigung der Tagebuchlektüre kann Aufschluss geben, was vor sechzehn Jahren tatsächlich geschah, auch wenn es dabei gilt, ein dunkles Geheimnis ihres Vaters zu lüften ...
Peter Schwindt zog in den ersten beiden Bänden seine „Libri Mortis“-Trilogie viel der Faszination, den die Bände ausstrahlten, aus der Schilderung des Lebens und der Atmosphäre der Katakomben. Tief unter den belebten Boulevards der Hauptstadt, unter Boutiquen und Museen, existiert ein Reich der immer währenden Dunkelheit mit Wesen bevölkert, die teils freiwillig, teils gezwungen ihre Menschlichkeit aufgegeben haben. In diesem faszinierend anderen Ambiente fanden die Verfolgungsjagden statt, kämpfte unsere willensstarke junge Frau um ihre Freiheit, um Freundschaft und um Erkenntnis.
Vorliegenden Band jedoch hat der Autor ganz bewusst anders strukturiert. Statt seine Hauptperson erneut durch dunkle, enge Gänge, überflutete und aufgegebene S-Bahnschächte und Kavernen zu schicken, zeichnet er das Bild einer verängstigten Psyche. Das Bild der Patienten in der Psychiatrie hat etwas Beklemmendes.
Nicht, dass wir uns vor den Personen fürchten, sondern deren Schicksale, so skizzenhaft diese angerissen werden, wecken Mitleid im Leser. Schwindt gelang es hier, mich innerlich zu berühren, gerade weil er die Mitpatienten bewusst subjektiv aus der Sicht seiner Protagonistin beschreibt. Sympathien und Antipathien verweben sich mit dem jeweiligen Schicksal zu einem überzeugenden Ganzen. Damit gelingt es ihm aber auch, fast unmerklich, Rosalie und deren geistigen Zustand indirekt, dafür aber emotional intensiv, zu beleuchten. Man merkt kaum, dass 3/4 des Buches um sind, ohne dass wir diesmal spannende Verfolgungsjagden oder wilde Auseinandersetzungen vorgesetzt bekommen hätten, statt einer actionreichen Achterbahnfahrt faszinieren uns Bilder von psychisch labilen Menschen.
Dabei gelingt es Schwindt die losen Enden aus den anderen Bänden aufzunehmen, in sich logisch miteinander zu verknüpfen, die Rätsel aufzulösen und ein befriedigendes Finale zu kreieren.
Insoweit stellt dieser Roman den bei weitem tiefsinnigsten, gleichzeitig anrührendsten Plot dar, den der Autor bis dato vorgelegt hat.