Razorback
Australien 1984, Regie: Russel Mulcahy, mit Gregory Harrison, Bill Kerr, Arkie Whiteley u.a.
Von Thomas Harbach
Als ungekürzte Doppel-DVD und Special Edition legt e-m-s das Spielfilmregiedebüt des australischen Videoclip-Regisseurs Russell Mulcahy wieder auf. 1984 entstanden ist der Film „Razorback“ sicherlich eine der letzten der sogenannten Tierhorrorwelle gewesen, gestartet mit dem ungeheuren Erfolg von „Der weiße Hai“ – den Mulcahy in einigen Kamerafahrten über eine Hommage hinausgehend kopiert – gute zehn Jahre vorher. Ende der neunziger Jahre kam es mit Filmen wie „Anaconda“ zumindest kurzzeitig zu einer Wiederbelebung des Genres. In erster Linie haben sich diese B- Budget-Filme durch ihre übertriebenen tierischen Bedrohungen in Kombination mit einfallslosen Handlungen ausgezeichnet. „Razorback“ geht auf eine literarische Vorlage des australischen Autors Peter Brennan (1981) zurück. Dadurch verfügt der Film zumindest über eine solide Grundlage und thematisch offeriert er zumindest zwei Grundhandlungen, die schließlich kurz vor der ultimativen Auseinandersetzung mit dem Kampfschwein zufrieden stellend abgeschlossen werden. Das Drehbuch hat Everett De Roche geschrieben. Im Gefolge des „Mad Max“-Erfolges steht sein Name für einen kurzen, aber prägnanten Aufschwung des phantastischen Kinos in Australien. Er arbeitete für Richard Franklin – „Patrick“ und „Link, der Butler“ – schrieb den unterschätzten „Harlequin“ und arbeitete das Script zu einem unterschätzten Kinderfilm („Die Geisterjäger“) aus.
Die Handlung beginnt in Gamulla, einem kleinen, kaum bekannten Ort im australischen Outback. Hier haust Jack Cullen, ein alter erfahrener Farmer. Ab und ist kümmert er sich um seinen zweijährigen Enkel Scotty. Eines Abends wird Jack auf merkwürdige Geräusche aufmerksam, und als er das Haus verlässt um nachzusehen, wird er plötzlich von einem gigantischen Razorback – so heißen die australischen Wildschweine - umgerannt und zu Boden geworfen. Das Tier selber stürmt in Jacks Haus. Als dieser wieder zur Besinnung kommt und sich in die Trümmer seines Hauses schleppt, muss er mit Entsetzen feststellen, dass sein Enkel wahrscheinlich vom Razorback verschleppt wurde. Vor Gericht aber will niemand Jack glauben, weshalb er von den anderen Einwohnern verurteilt wird. Er verliert seine Würde und widmet sich fortan nur noch der Jagd nach diesem überdimensionalen Wildschwein. Spätestens hier erinnert die Figur an Robert Shaw aus „Jaws“, auch wenn im Verlaufe der Handlung gerade der Fokus sich von diesem interessanten Charakter wegbewegt zu einem im Grunde importierten Helden aus Amerika.
Zwei Jahre später macht sich die amerikanische TV - Journalistin Beth Winters auf die Reise nach Australien um einen Bericht über die dortige Kängurujagd zu verfassen. Die Einheimischen begegnen ihr feindselig, und als sie auf die geistig minderbemittelten Betreiber einer obskuren Fleischfabrik, die Gebrüder Baker, trifft, verliert sich ihre Spur. Der Zuschauer weiß natürlich mehr. Die Brüder wollten sie töten, aber der Razorback hat sie schließlich verschlungen. Diese Konstellation, die scheinbar wichtigste Protagonisten nach zwanzig Minuten überraschend zu töten, stammt natürlich aus Hitchcocks „Psycho“. Gleichzeitig zeigt Mulcahy seinen Zuschauern, das in seinem Film alles möglich und kein Protagonist wirklich sicher ist. Diese Vorgehensweise erhöht das Spannungspotential vor allem im obligatorischen Showdown, in dem wieder eine junge Frau eine wichtige Rolle spielt.
Beth Winters Ehemann macht sich nach Australien auf, um seine verschwundene Frau zu suchen. Er trifft auf die Baker-Brüder, die ihn in den Outback mitnehmen und dort einfach sitzen lassen. Auf seiner verzweifelten Suche nach einem Haus tritt er auf eine junge Frau, die ihm anscheinend nicht nur sympathisch – ganz bewusst zeigt Mulcahy nach in den Staaten die aufkommenden Spannungen zwischen den Eheleuten – ist, sondern ihm auch bei der Suche helfen kann.
Über weite Strecken erzählt Russel Mulcahy seine Geschichte sehr geradlinig, bodenständig. Nur als er Winters Martyrium in der Wüste zeigen will, greift er auf nicht überzeugende Traumsequenzen zurück. Die Hommage an Peter Weir schlägt fehl. Auf dieses Füllmaterial hätte man sehr gut verzichten können, es unterstreicht nicht die surrealistische Atmosphäre, sondern wirkt als Überdosis konterproduktiv.
Gleich zu Beginn des Films zeigt der Regisseur dem Zuschauer das Outback Australiens. Unendliche Weiten mit roten Felsen. Die Sonne in der Abenddämmerung. Eine einsame Farm, ein Känguru. Aus der Forschperspektive folgt der Zuschauer dem aus dem Nichts angreifenden Keiler. Mit einem Schlag zerstört das Tier grundlos die Idylle des alten Rangers – der aus „Gallipoli“ bekannte Bill Kerr in einer ausdrucksstarken Rolle, die leider in der zweiten Hälfte des Films grundlos auf einen Stichwortgeber reduziert wird. Was auf den ersten Blick lächerlich wirkt, wird unter Russel Mulcahys für einen Erstling erstaunlicher selbstsicherer Regie zu einer überzeugenden Bedrohung. Ganz bewusst im Gegensatz zu den später kommenden Riesenwürmern verzichtet der Regisseur so lange wie möglich auf seinen Titel gebenden Protagonisten. Der Zuschauer sieht ihn nur zusammen mit den Charakteren als Silhouette. In der eindrucksvollsten Szene zu Beginn des Films verschwindet er aus der Kamera der amerikanischen Journalisten, zeigt seine Arroganz den zerbrechlichen Menschen gegenüber. Dass er eine Bedrohung darstellt, machen die Folgen seiner Auftritte von Beginn an klar. Obwohl im Off entführt, tötet er einen zweijährigen Jungen. Damit ist im Gegensatz zu der folgenden, abgemilderten Stephen King Verfilmung „Cujo“ das letzte Tabu gebrochen und die Jagd kann eröffnet werden. Mulcahy entlehnt zumindest Hermann Melvilles ultimativem Racheroman „Moby Dick“ die Idee der ewigen Rache. Es ist aber erstaunlich, dass sich fast zwei Jahre hinziehen, bevor das Thema durch die Ankunft der amerikanischen Journalisten wieder für die zahlenmäßig überschaubare und nicht sonderlich intelligent dargestellte OutbackÖffentlichkeit wieder aktuell wird. Diese zeitliche Distanz ist eine der wenigen Schwächen im Drehbuch. Mit dem durchschnittlich begabten Amerikaner Winter tritt ein Protagonist auf die Bühne, der wie eine zivilisierte Version von Mad Max erscheinen könnte. Ein Jüngling, der durch die Ereignisse zum Mann reift und schließlich dank seines überlegenen Intellekts das Kampfschwein mittels der vorhandenen Technik besiegen kann. Im Gegensatz zu den liebevoll skurril gezeichneten Australiern kann das Drehbuch und vor allem die Regie mit ihm wenig anfangen. Nicht selten wirken seine unbeholfenen Auftritte wie eine ironische Verbeugung vor der amerikanischen Publikum, der Kompromiss, damit der Film in den Staaten das notwendige Geld einspielen und Mulcahy dort seine Spielfilmkarriere richtig beginnen kann. Diese Schwäche überdeckt der Regisseur mit seiner auch heute noch beeindruckenden Würdigung der einzigartigen australischen Landschaft. Das Outback wird wieder zu einer lebensfeindlichen Wüste, in der Menschen im Grunde nicht leben bzw. überleben können. Das erste Opfer ist der Verstand, wie die Baker-Brüder eindrucksvoll zeigen. Wie im zweiten und dritten „Mad Max“-Film ist die Darstellung des australischen Outbacks einzigartig und wichtiger Bestandteil des Films. Visuell durch die zahlreichen bahnbrechenden Musikclips geschult, hat Mulcahy die Fähigkeit, mit wenigen beeindruckenden Einstellungen diese karge Landschaft auf den ersten Blick als wunderschön, im folgenden Moment als tödliche Bedrohung darzustellen. Der Razorback und das Outback bilden eine Einheit, deren unendliche Erhabenheit nur von den Menschen gestört wird. Es ist sicherlich kein Zufall, dass das Kampfschwein schließlich sein Ende in der schmutzigen Fleischfabrik der debilen Brüder findet, während es auf die Schüsse des alten Farmers in freier Natur mit Verachtung reagiert. In den achtziger Jahren ist Mulcahys visueller Ansatz sicherlich gewöhnungsbedürftig gewesen. In dem nachfolgenden „Highlander“ und dessen in der jetzigen Form vorliegender Fortsetzung hat er die Mischung aus Rockmusik, phantastischen Elementen und künstlichen Kulissen auf einen bislang ungeahnten Höhepunkt getrieben. Das zeitlose Element des vorliegenden „Razorback“ ist die Tatsache, dass der Regisseur diese clipartige Inszenierung en Natura durchgeführt und vor allem durchgesetzt hat. Von der ersten Einstellung an sieht der Zuschauer dem Film seine fast fünfundzwanzig Jahre nicht an. Das Gegenteil ist der Fall. Im Vergleich zu den oft inhaltlich hohlen CGI-Filmen der Gegenwart kann das australische Kampfschweinepos Inhalt und Form in eine überzeugende Einheit bringen.
„Razorback“ lässt sich heute – unabhängig vom einschlägig bekannten Inhalt - auf der großen Leinwand besser ansehen, als viele gegenwärtige Produktionen. Mulcahy isoliert allerdings mit seiner überaus künstlichen Ausleuchtung jeglichen Realismus. Die Endschlacht in der blau ausgeleuchteten Fabrik hilft ihm, das niedrige Budget zu verstecken, wirkt aber surrealistisch abgehoben. Es gibt nur wenige Szenen, in denen Mulcahys gezwungenermaßen sein Monster präsentieren muss und dies tricktechnisch wenig überzeugend wirken. Der Endkampf zieht sich im Vergleich zu den bisherigen Angriffen viel zu lange hin, die Schmerzgrenze beim bislang psychisch wenig in Erscheinung getretenen Winter überschreitet die Grenze der Glaubwürdigkeit und das ein wenig kitschig geratene Ende verliert seine ironische Schärfe. Immerhin nimmt Winter seine neue Freundin vorsichtig von der Kette, an der sie wie die Schweinhälften gebaumelt hat.
Was „Razorback“ im Vergleich zu vielen anderen Filmen dieser Zeit neben der herausragenden Optik auszeichnet, ist ein gutes Gefühl für die richtige Mischung aus Spannung und Stimmung. Nach Actionszenen nimmt Mulcahys im richtigen Moment das Tempo aus dem Film, konzentriert sich darauf, seinen Charakteren und den Zuschauern ein wenig Atemluft zu geben. Er versucht sich dann mit einer Reihe optischer Witze – der letzte Jäger reitet schließlich auf einem Kamel in die Schlacht oder das Razorback verschlingt einen Fernseher, der gerade einen bekannten australischen Showmaster zeigt -, die nicht immer gelungen sind, aber die humorlose dunkle Atmosphäre zumindest ein wenig aufhellen.
„Razorback“ ist eine immer noch sehenswerte Tierhorrorgeschichte, in der sich der Regisseur in Bezug auf die brutalen Exzesse deutlich zurückgenommen hat. Es ist sicherlich kein Zufall, wie die Menschen sich gegenseitig mehr Leid antun als der Razorback es schafft. Die erinnert nicht von ungefähr an „Mad Max 2“ und „Mad Max 3“, ist der Kameramann doch derselbe. Dazu kommen teilweise sehr wilde, hektische, aber überzeugende Schnittsequenzen, in denen Mulcahy seine Erfahrungen von Musikvideos für Elton John oder Duran Duran umsetzt. Im Gegensatz zu einer Reihe anderer Regisseur – siehe Tony Scott – weiß er aber, die Dosierung im richtigen Maße zu setzen und den Film nicht gänzlich zu einem Hochglanznichts zu stilisieren. Die farbliche Bildgestaltung erinnert mit ihren hervorstechenden Blautönen an eine Hommage an Dario Argentos „Susperia“ mit dem bodenständigen Horror Mario Bavas aus den siebziger Jahren versetzt. Ohne einen der Meister im Ansatz zu kopieren, hat Russel Mulcahy stilistisch eines der eindrucksvollsten Filmdebüts der letzten fünfundzwanzig Jahre hingelegt. Aus dem heutigen Abstand und mit einem deprimierenden Blick auf seine dem „Highlander“ folgende Karriere erscheint seine Filmtechnik geradezu revolutionär.
Die empfehlenswerte Neuauflage von e-m-s präsentiert den Film in einer ungekürzten Fassung. Die bislang fehlenden Szenen sind untertitelt, bringen den Film aber in Bezug auf die Charakterisierung nicht weiter voran. Die Dialoge gehören nicht selten zu den schwächeren Passagen des Films. Im vergleich zu den heutigen Exzessen ist „Razorback“ in der vorliegenden 16er Fassung eine optimale Mischung aus gruseligen Szenen – insbesondere die Behandlung des Schweine – und Kängurufleisches in der Hygiene spottenden Fabrik im Outback! – und meisterlich inszenierter Spannung mit liebevoll skurrilen Gestalten und einer geradlinigen Handlung. Der Wechsel des wichtigsten Protagonisten vom alten, vom Hass auf das Kampfschwein verzehrten Mann zum wenig überzeugenden amerikanischen Milchbubi ist allerdings ein Kompromiss, der viel von „Razorbacks“ australischer Exzentrizität negiert. Der Rest des Films ist allerdings ein skurriles Highlight diesen Subgenres, das man vielleicht zusammen mit „Der weiße Hai“ als interessantes Doublefeature unbedingt sehen sollte. Technisch überragt Mulcahys Schweine-Saga sogar den berühmteren Vetter.
Das Booklet dieser Doppel DVD ist vom „Sense of View“ Redakteur Frank Meyer geschrieben worden. In einem eher kumpelhaften Ton philosophiert er mehr über die Bedeutung des Films und der Teammitglieder vor und hinter der Kamera, als dass er sich zu einer distanzierten Faktensammlung hinreißen lässt. Sicherlich einsamer Höhepunkt seines kleinen Essays sind die potentiellen Szenen für die Ewigkeit. Der Zuschauer erhält aber sehr viele Informationen über die einzelnen, nicht immer auf den ersten Blick populären Teammitglieder und ihre folgenden Karrieren.
Die Bildbearbeitung dieses visuellen Meisterwerks ist hervorragend. Die Verschmutzungen, Dropouts und das visuelle Rauschen halten sich angesichts des Alters der Vorlage und den nicht einfachen optischen Bedingungen – blau und rot sind immer Farben gewesen, an denen die Videokassetten verzweifelt sind – in engen Grenzen. Der Kontrast ist an einigen Stellen aufgrund der sehr scharfen Übergänge der Originalvorlage zu scharf eingestellt. Die Farben sind satt, naturalistisch so weit möglich und strahlen die Schönheit des australischen Outbacks in einem überzeugenden Maße wider. Der 2.0 Stereo-Ton ist zentriert, die Dialoge vor allem in der australischen Originalfassung sind verhältnismäßig gut zu verstehen. Die Untertitel akzeptabel, wenn sie auch manchmal nicht in der Lage, die exzentrischen Dialoge wirklich sinngemäß zu erfassen. Es empfiehlt sich also, den Film im Original anzuschauen. Die breiten Akzente unterstreichen die einzigartige australische Stimmung sehr viel besser.
Zu den Extras auf der zweiten DVD gehört das sehr ausführliche Making of. „Jaws on Trotters: The Making of Razorback“ ist über siebzig Minuten lang. Leider nicht untertitelt oder synchronisiert, aber unbedingt sehenswert. Die Musikspur ist ein wenig zu laut. Das Team berichtet sehr lebhaft und bodenständig von den Dreharbeiten. Ganz bewusst beginnt das Feature bei der Auswahl der Schauspieler und des Regisseurs und endet bei dem Resümee des enttäuschenden Box Office-Ergebnisses. Insbesondere bemüht sich Mulcahy die Kompromisse zu erläutern, die in Hinblick auf das schwächere Ende aus zeitlichen und budgettechnischen Gründen gemacht werden mussten. Die Interviews sind offen und ehrlich, entsprechen nicht den glatt gebügelten Gesprächen auf den Promotionfeatures heutiger DVD Produktionen und runden die Präsentation des Films sehr gelungen ab.
Die Deleted Scenes sind blutigere Variationen der Todesszenen. Über ihre Nichtverwendung ist im Making Of gesprochen worden. Die Filmbiographie Mulcahys ist ausführlich, der Originaltrailer zeigt, wie die Vertriebsleute die klassischen Horrorelemente betonen und den exzentrischen Humor verstecken wollten. Die Extras sind die hier angebotene zweite DVD mehr als wert und runden die ungekürzte Wiederveröffentlichung eines eher unterschätzten Horrorfilms empfehlenswert ab.
DVD-Facts:
Bild: 2,40:1 (16:9, anamorph)
Ton: deutsch Dolby Digital 2.0 Mono, englisch Dolby Digital 2.0 Stereo
DVD-Extras:
Making Of, nicht verwendete Szenen, Booklet