Bill Napier
Der 77. Grad
(Shattered Icon)
Aus dem Englischen übersetzt von Claudia Tauer
Knaur Verlag, 2007, Taschenbuch, 416 Seiten, 7,95 EUR, ISBN 978-3-426-63334-2
Von Carsten Kuhr
Harry Blake hat sich sein Leben eigentlich recht geruhsam eingerichtet. Als Antiquar hat er sich auf alte Landkarten spezialisiert, und wenn er auf Einkaufstour ist, oder schlicht keine große Lust zum Arbeiten hat, betreut eine Angestellte den Laden.
Als Sir Toby, ein angesehener, schwerreicher Adeliger ihm ein altes, geerbtes Tagebuch zur Prüfung der Echtheit übergibt aber ändert sich sein Dasein von Grund auf. Er wird verfolgt, bedroht und angegriffen. Eine Unbekannte bietet ihm gar einhunderttausend Pfund für die Aufzeichnungen eines Matrosen aus der Zeit Elisabeths I. Was ist nur so besonderes an dem alten Manuskript?
Als sein Auftraggeber ermordet wird weiß er, dass die Unbekannten nicht spaßen. Er beginnt mit der Entschlüsselung des Textes. Zusammen mit der Tochter Sir Tobys und eine Historikerin, mit der ihn eine Hass-Liebe verbindet, macht er sich auf die Spur einer Expedition, die Sir Walter Raleigh 1585 in die Karibik entsandt hat.
Auf der Suche nach dem 77. Längengrad, dem Längengrad Gottes, verfolgt von verräterischen Agenten der katholischen Kirche, gelangte damals ein uraltes, heiliges Relikt in die Karibik, eine Ikone, die heute die Welt aus den Angeln heben könnte.
Und so machen sich unsere drei Forscher, zusammen mit einem zwielichtigen Verbündeten und verfolgt von extremistischen, klerikalen Terroristen, nach Jamaika auf, um den verschollenen Schatz zu suchen ...
Die Verlagswerbung preist uns diesen Roman für Fans von Dan Brown und Scott McBain an.
Das ist schlicht Humbug, und das ist zumindest dieses Mal auch gut so!
Bill Napiers Werk kann für sich alleine stehen, und seine Leser überzeugen. Anders, als die genannten Bestsellerautoren gelingt es Napier nämlich, eine in sich geschlossene, und vor allem logische Handlung in einem durchgängigen Handlungs-Arc zu kreieren, die ihren Leser packt und nicht mehr aus ihrem Griff entlässt.
Schon relativ früh in dem Buch wird das Mysterium um den Längengrad Gottes aufgelöst, nur um von daran anschließenden Fragen als Mysterium abgelöst zu werden.
Zusammen mit seinen Protagonisten macht der Leser sich auf, über die Tagebuchaufzeichnungen in eine Welt einzutauchen, die uns so unbekannt ist. Der raue Alltag der Seefahrer hat wenig mit Windjammer-Romantik zu tun, hier leben und leiden geschundene Kreaturen unter der harten Knute der Offiziere, während es sich die Adeligen gut ergehen lassen und völlern. Das Komplott, das sich uns nach und nach erschließt, ist kompliziert, aber in sich stimmig. Immer wieder kommt es zu Gewaltverbrechen, zu Verrat, wandeln sich Verbündete zu Gegnern. Doch nicht nur in der Vergangenheit bedrohen Verräter die Helden.
Durch die geschickte Aufbereitung zweier parallel verlaufender Handlungsebenen - eben die Expedition im 16. Jahrhundert und die Forschungsmission in der Jetztzeit - gelingt es Napier, seine Handlung rasant und spannend zugleich voranzutreiben. Das liest sich wie eine gelungene Mischung aus historischen Abenteuerroman gepaart mit einem Krimi-Thriller Plot.
Kritisch anzumerken bleibt eigentlich nur, dass Napier Jamaika und seine Bewohner zu klischeehaft zeichnet. Das Bild des Karibikstaates erschöpft sich in der Darstellung von Rasta-Locken, Mulatten-Schönheiten, Joints und Reggae, das ist zu undifferenziert um wirklich zu überzeugen.
Ansonsten ein Werk, das seine Leser spannend und intelligent unterhält, ohne vom breit getrampelten Pfad der momentan so angesagten historischen Thriller zu weit abzukommen.