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Dick, Philip K.: Die Lincoln-Maschine (Buch)

Philip K. Dick
Die Lincoln-Maschine
(We Can Built You, 1972)
Deutsche Übersetzung von Frank Böhmert
Mit einem Nachwort von Tim Powers
Heyne Verlag, 2007. Taschenbuch, 288 Seiten, 9,95 EUR, ISBN 978-3-453-52270-1

Von Gunther Barnewald

Louis Rosen und sein Partner Maury Rock sind Vertreter und Manager der „Frauenzimmer Kleinklavier- und Orgelfabrik” in Ontario im US-Bundesstaat Oregon, wobei Louis Vater sogar der Inhaber der Fabrik ist.
Als eine hartnäckige Absatzflaute eintritt, entwickelt Maury zusammen mit dem Cheftechniker der Fabrik die Idee, mechanische Menschenimitate, so genannte Simulacra, herzustellen, die aussehen wie lebende Menschen und sich auch so verhalten. Da er die Geschäftsidee hat, diese menschlich wirkenden Mechanoiden als historische Persönlichkeiten zu vermarkten, wird das erste Simulacrum mit den bekannten Persönlichkeitsvariablen von Edwin M. Stanton gefüttert, der dereinst unter Abraham Lincoln Kriegsminister war. Dieses Experiment verläuft dermaßen erfolgreich, Stantons mechanisches Double verhält sich so menschlich, dass Maury und Louis auch noch ein Simulacrum von Abraham Lincoln bauen lassen.
Beide Fabrikate verhalten sich intelligent und wirken absolut echt, so dass ein großer Investor namens Sam K. Barrows bald seine gierigen Hände nach der Erfindung ausstreckt. Ihm gelingt es sogar, Maurys Tochter Pris auf seine Seite zu ziehen, die bei der Entwicklung des ersten Prototypen geholfen hatte. Diese wiederum nimmt den Cheftechniker der Orgelfabrik mit zu Barrows, als sie von diesem abgeworben wird.
Doch Louis, sein Vater und Maury wehren sich erfolgreich gegen die Übernahme, beginnen ihr eigenes Unternehmen vermittels der Hilfe der beiden historischen Persönlichkeiten aufzubauen, bis Louis plötzlich glaubt, unsterblich in Pris verliebt zu sein und ihr nachreist. Immer mehr steigert er sich plötzlich in einen unerklärlichen Liebeswahn hinein und gefährdet so alles, was die Geschäftspartner versuchen aufzubauen...


Dicks Roman beginnt als SF und wendet sich im zweiten Teil dann plötzlich zu einer Charakterstudie von Louis Rosen, während die oberflächlich und unglaubwürdig wirkende SF-Handlung völlig in den Hintergrund tritt.

So befremdlich Louis Verhalten zuerst wirkt, desto glaubhafter wird es, wenn man die Auswirkungen einer Psychose auf die menschliche Psyche kennt. Denn genau daran erkrankt die Hauptfigur und versinkt immer mehr in der Irrationalität dieses Wahns. Dies stellt Dick sehr überzeugend dar, wobei er interessanterweise einen Staat der nahen Zukunft beschreibt, in dem psychotische Patienten zu Mündeln des Staates werden, der sorgfältig und schützend für diese Patienten sorgt.

So ist auch Pris eine Psychotikerin, war lange als Jugendliche zur Behandlung, und muss sich auch gegen Ende der Geschichte erneut behandeln lassen. Louis trifft sie in der Klinik, nachdem er selbst behandelt werden muss. Dort macht Louis sehr positive Erfahrungen weit jenseits der Drangsal, wie sie zum Beispiel in „Einer flog über das Kuckucksnest“ geschildert werden.
Louis ist sogar dankbar für das was ihm widerfährt, als er dann endlich wieder klaren Geistes ist, fühlt sich geborgen und aufgehoben, lernt das staatlich Schutzsystem für Psychosekranke schätzen. Möglicherweise spricht hieraus der Wunsch des Autors selbst, es möge so etwas geben, denn Dick war zweifellos ebenfalls schizophren und mehrfach in seinem Leben akut psychotisch erkrankt.

Zu diesem Thema kehrte Dick deshalb auch immer wieder in seinen Werken zurück, konnte in seinen klareren Phasen hierzu sehr kritische Erzählungen darüber schreiben (z. B. „Shell Game”).

Beachtlich ist aber vor allem, dass die vorliegende Geschichte, obwohl sie sich vom eigentlichen SF-Thema abwendet (welches überhaupt nur schwach und völlig unzulänglich entwickelt ist, denn der Autor verschwendet kaum Gedanken an die moralischen Implikationen seiner „Erfindung”), lesbar, spannend und unterhaltsam bleibt.

So kann man diese erste ungekürzte Übersetzung von Dicks Roman als beachtliche Entdeckung beschreiben, zumal das erhellende Nachwort von Dicks Freund und Nachbar Tim Powers deutlich macht, dass der Herausgeber des Romans Ted White mit dem einfachen Ende des Buchs (nämlich die Tatsache, dass der Protagonist einfach an einer Psychose erkrankt war) völlig unzufrieden war und deshalb noch ein Schlusskapitel schrieb, in dem sich Louis Rosen selbst als Simulacrum erweist. Dieses „dickmäßige” Ende gefiel Philip K. Dick selbst gar nicht, er hatte es zwar nicht untersagt, weigerte sich jedoch auch hartnäckig, selbst ein solches Abschlusskapitel zu verfassen, weshalb der Roman in der jetzigen Form erschien. Und man kann Tim Powers in seinem Nachwort nur zustimmen: Die Geschichte gewinnt deutlich an Potenzial durch den Abschluss, den der Autor seinem Protagonisten zugedacht hat.

hinzugefügt: August 16th 2007
Tester: Gunther Barnewald
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