|
Moers, Walter: Der Schrecksen-Meister (Buch)
Walter Moers
Der Schrecksen-Meister
Piper Verlag, 2007, Hardcover, 380 Seiten, 22,90 EUR, ISBN 978-3-492-04937-5
Von Carsten Kuhr
Willkommen in Sledwaya, der Stadt Zamoniens mit den meisten Kranken, Leidenden und siechenden Wesen. Wenn Sie noch nicht krank sind, wenn kein Gebrechen Sie quält, dann kann ich Ihnen garantieren, dass sie kaum in Sledwaya angekommen schnellstens die Hilfe eines kundigen Apothekers oder Arztes benötigen werden. Hier sind sogar die Straßen nach Krankheiten benannt, man begrüßt sich mit „Ohwehohweh“ und verabschiedet sich mit „Gute Besserung“. Ein Husten, Röcheln und Schniefen liegt in der Luft, es riecht nach Eiter, Mundgeruch und Durchfall, so zumindest der Chronist Gofield Letterkerl, dessen Märchen „Hildegard von Mythenmetz“ überarbeitet, gekürzt und dem heutigen Leser mundgerecht portioniert hat.
Warum die Zustände in Sledwaya so sind, wie sie eben sind, wollen Sie wissen?
Bühne frei für den Auftritt des Mannes, der die Stadt beherrscht.
Succubius Eißpin, der Schrecksenmeister, der in seinem festungähnlichem Schloss hoch über der Stadt mit seinen Forschungen dafür sorgt, dass die Epidemien nie enden.
Sein Lebenszweck besteht darin Schrecksen zu malträtieren, die Bewohner Sledwayas zu quälen und seinen alchimistischen Studien nachzugehen. In seinem Herrschaftsgebiet ist der Schrecksenmeister ein mächtiger Tyrann, Sledwaya ist sein Reich, sein Haus ist seine Burg, sein Laboratorium der Thronsaal.
Er befindet sich auf der Suche nach der Prima Zateria, dem Elixier, das Tote wieder zum Leben erweckt und Lebende das ewige Leben zu geben vermag. Nur eine Ingredienzie fehlt ihm noch, dann ist er am Ziel angelangt, eine Beitat, die sich einfach nicht auftreiben lässt - das ausgekochte Fett einer Kratze. Doch bis auf ein einziges Exemplar sind die intelligenten Kratzen, die sich mit allen Lebewesen verständigen können ausgestorben.
Als er in den dunklen Gassen seiner Stadt auf Echo, ein fast verhungerten Krätzchen trifft, dessen Herrin vor kurzem verstorben ist, kann man sich seinen Triumph vorstellen. Doch oh weh, das Kratzenfett ist nur wirksam, wenn das Krätzchen freiwillig zustimmt, dass sein Fett ausgekocht wird. So schlägt der mit allen Wassern gewaschene Alchemist Echo ein teuflisches Abkommen vor – einen Monat lang wird er Echo kulinarisch nur mit dem Besten verwöhnen, was seine Küche hergibt, Echo soll die intimsten Geheimnisse des Meisters erfahren, danach folgt ein schmerzloser Tod und ewige Dankbarkeit des Schrecksenmeisters. Vor der Wahl des qualvollen Verhungerns oder des Schlemmens bis zum Abwinken gestellt, unterschreibt das Krätzchen den Vertrag, schließlich hat man ja einen Monat Zeit, sich abzusetzen.
Doch auch hier erweist sich Eißpin als gewiefter – ein magischen Bann sorgt dafür, dass Echo immer wieder zum Hause seines Herren zurückkehrt.
Nachdem der erste Hunger gestillt ist, die Katzenminze und die Milch- und Sahneseen leergeschleckt sind, macht sich Echo auf, sein neues Revier zu erkunden. Er macht die Bekanntschaft von Gespenstern, Geistern und Ledermäusen, findet die Freundschaft von Schuhus und der letzten verbliebenen Schreckse und tüftelt einen Plan aus, der ihm vielleicht das Leben retten kann. Doch alle Pläne scheitern, als der Schrecksenmeister die schneeweißen Witwe aus ihrem Gefängnis freisetzt. Erst als die Häuser der Schrecksengasse selbst sich gegen den Tyrannen erheben, scheint ein Überleben möglich. Doch noch gibt Succubius Eißpin nicht auf ...
Lange hat es gedauert, bis der neueste „Zamonien“-Roman von Hildegard von Mythenmetz in der kongenialen Übersetzung Walter Moers’, der das Werk auch adäquat illustriert hat, erschienen ist. Zu Weihnachten 2006 war das Buch angekündigt, wurde dann aufgrund Krankheit des Übersetzers und Kürzung um sämtliche Abschweifungen – immerhin laut dem Nachwort rund 700 Seiten – immer wieder verschoben.
Nach dem genialen Werk „Die Stadt der träumenden Bücher“ aber enttäuscht das Buch ein wenig. Zwar auf hohem Niveau, aber der ganz große Wurf ist es diesmal nicht geworden.
Woran liegt es nun, dass Eißpin und Echo uns nie so in ihren Bann zu ziehen vermögen, wie man dies von Zamonien sonst gewöhnt ist?
Zum Einen sicherlich in der Wahl des Handlungsortes. Sledwaya reduziert sich auf das Schloss des Schrecksenmeisters, ein paar wenige, verwinkelte Gassen und die Straße der Schrecksen. Das ist zu wenig, um den Leser wirklich in seinen Bann zu ziehen, da mögen die Beschreibungen der verwinkelten Ecken und merkwürdigen Anwesen auch noch so ungewöhnlich sein.
Des weiteren wirkt das Buch düsterer, ja teilweise beklemmend, der sonst so umwerfende Humor Moers, sein Ideenreichtum und seine Fabulierfreude blitzen nur manchmal, viel zu selten auf.
Gerade der Verzicht auf die Abschweifungen, der von vielen Lesern gefordert wurde, nimmt der Werk viel von seiner Ausstrahlung, waren es doch gerade diese Ab- und Ausschweifungen, die für das besondere Flair der Romane um Zamonien sorgten. Immer einmal wieder, für meinen Geschmack aber viel zu selten, streut der Autor Anekdoten ein, „Die Kammer der unnützen Küchengeräte“, ist eine solche Beschreibung die den Leser zum Kugeln treibt.
Die das Buch beherrschende Gestalt des Schrecksenmeisters bietet Moers die Möglichkeit einen Bösewicht par Excellenze zu portraitieren. Im Verlauf der Handlung erfahren wir die Hintergründe, die dazu geführt haben, dass das Herz Eißpins versteinert wurde, haben Mitleid mit dem vom Schicksal so arg gebeutelten, letztlich tragischen Tyrannen, der sich seinem Wahnsinn später jedoch bewusst hingibt. Hier sind Anlehnungen an Goethes Faust deutlich, während Echo auf Gottfried Kellers „Spiegel das Kätzchen“ beruht.
Neben den kongenialen Illustrationen Moers’, die einmal mehr beweisen mit wie viel Liebe und Sorgfalt er seine Bücher ausschmückt, ein Lob an dieser Stelle auch an den Verlag, der dem Leser erneut eine herausragende Gestaltung an die Hand gibt, outet Moers sich, wie es neudeutsch so schrecklich heißt, als Katzenfreund. Seine Beschreibungen Echos, dessen Bewegungen, die Hingabe mit die dieser seine kulinarischen Genüsse zu sich nimmt, dessen Unnahbarkeit und gleichzeitig Harmoniebedürfnis kann jeder Katzenliebhaber nur unterstreichen.
„Der Schrecksenmeister“ ist sicherlich nicht Moers’ bestes Zamonien-Buch. Dennoch enthält auch vorliegendes Werk wieder eine Fülle im wahrsten Sinne des Wortes phantastischer Einfälle, Beschreibungen außergewöhnlicher Wesen und Vorkommnisse, und so manch philosophisch angehauchter Gedanken, die zeigen, wie weit Walter Moers über den Fantasy-Schreibern der Bestsellerlisten thront.
hinzugefügt: September 1st 2007 Tester: Carsten Kuhr Punkte: zugehöriger Link: Piper Verlag Hits: 2707 Sprache:
[ Zurück zur Übersicht der Testberichte | Kommentar schreiben ] |
|