Der Mann aus Metall
GB 1974, Regie: Jack Gold, mit Elliott Gould, Trevor Howard, Joseph Bova, Ed Grover u.a.
Von Thomas Harbach
Jack Golds 1973 entstandene Verfilmung „Who?“ des gleichnamigen Romans Algis Budrys ist sicherlich ein gewagter, interessanter, aber vor allem enttäuschend umgesetzter Versuch, die Paranoia-Elemente des Geheimagenten-Genres auf die Spitze zu treiben. Algis Budrys Science Fiction-Schaffen ist im Vergleich zu anderen Autoren sehr klein, für viele stellt sein Roman „Projekt: Luna“ das einzige wirklich erwähnenswerte Buch dar. In seinen Werken werden Menschen in extremen Situationen beschrieben. Budrys beschränkt sich nicht auf die reine Beschreibung des Ich-Zustands, sondern versucht; die Motive und Beweggründe der einzelnen Protagonisten aus unterschiedlichen Perspektiven zu erhellen. Keine seiner Figuren ist wirklich gut oder schlecht, es sind die Grautöne, welche er wie kaum ein anderer phantastischer Autor zu erhellen sucht. „Who?“ ist schon im Jahre 1958 veröffentlicht worden, „Projekt: Luna“ folgte zwei Jahre später. Bei beiden Romanen handelt es sich um gute Erweiterungen schon erschienener Magazingeschichten. In „Projekt Luna“ untersucht Budrys den Sinn der menschlichen Existenz und vor allem des menschlichen Forschens an Hand eines Unfalls. Auf dem Mond gibt es eine unerklärliche Labyrinthstruktur, vermutlich außerirdischen Ursprungs, die über kurz oder lang jeden Eindringling tötet. In diesem Fall ist der Tod allerdings nur ein Übergang, da die Forscher mittels Materietransmitter zum Mond abgestrahlt werden und diese Maschine die „Toten“ aus den gespeicherten Mustern wieder zum Leben erweckt und auf die nächste Mission schickt. Mit dem bekannten Ausgang.
„Who?“ hat viele dieser Ideen auf die Ebene des kalten Krieges reduziert, in welchem das Individuum schließlich auch einer eher nebulösen Mission geopfert wird. Im Mittelpunkt des Romans und des Films steht der amerikanische Wissenschaftler Dr. Lucas Martino, der in der DDR während eines Symposiums einen Autounfall erlitten hat. Sein Körper und vor allem sein Gesicht ist durch den Unfall entstellt. Er ist verkrüppelt. Fortan muss er eine eiserne Maske tragen. Der Wissenschaftler wird den amerikanischen Behörden übergeben. Für das FBI eine schwierige Entscheidung. Handelt es sich wirklich um den Leiter des Projektes Neptun, das für die amerikanische Nation von ungeheurer, für den Zuschauer von nebulöser Bedeutung ist? Oder haben die kommunistischen Geheimdienste die Chance genutzt, den Wissenschaftler durch einen Geheimagenten zu ersetzen, der in das Herz dieses Projektes eindringen und dem Feind die wichtigsten Informationen übergeben kann. Ein tagelanges Verhör erweist sich als unzureichend. Der FBI-Mann Rogers ist der Meinung, dass Martino den kommunistischen Geheimdiensten Informationen gegeben haben könnte. Ob es sich bei seinem Gegenüber überhaupt um den Wissenschaftler handelt, kann er nicht mit Bestimmtheit sagen. Aus der Not heraus wird Martino von den Amerikanern wieder an das Projekt Neptun gelassen, in der vagen Hoffnung, dass eine Kopie überfordert ist und nur der echte Martino das Projekt wirklich abschließen kann. Sie lassen den Mann auf Schritt und Tritt überwachen.
Gute fünfzig Jahre nach der Entstehung des Romans und mehr als dreißig Jahre nach seiner Verfilmung ist die Prämisse natürlich überholt. Heute würden DNA-Tests innerhalb weniger Stunden den Beweis liefern, dass es sich um einen Verräter oder den vermissten Forscher handelt. In Budrys Vorlage hat der Unfall alle leichten Erkennungswege „vernichtet“. Die Hände sind, wie das Gesicht, aus Metall, es lassen sich keine Fingerabdrücke mehr nehmen, mögliche Operationsmerkmale sind von den zahlreichen Versuchen, den Mann nach seinem schweren Unfall zu retten, ebenfalls unkenntlich geworden wie die Zahnstruktur.
Insbesondere der Schädel hat schwerste Verletzungen erlitten. Es stellt sich natürlich schnell die Frage, ob ein derartig schwer verletzter Mann überhaupt in der Lage ist, das Trauma des Unfall so gut zu überstehen und zumindest intellektuell ohne größere Probleme seine Forschungen wieder aufnehmen kann.
Jack Gold hat den Streifen als ernstzunehmenden Paranoia-Thriller inszeniert. Ob die lächerliche Maske Absicht gewesen ist, lässt sich nicht mehr sagen, aber nach anfänglichen Zweifeln wirkt sie seltsam effektiv. Hier ist ein Mensch mit einer Technik gerettet worden, die im Grunde nicht ausgereift ist. Ein Versuchskaninchen, das auf den Stuhl des Fortschritts geschnallt worden ist, um ein größeres Projekt zu retten. Mit der amateurhaft überzeichneten Maske wird demonstriert, wie wenig menschlich diese Operationen wirklich gewesen sind.
Joseph Bava gelingt es vor allem trotz seiner lächerlichen Maskierung, im Zuschauer Emotionen zu erwecken. Ganz bewusst hat Gold darauf verzichtet, Martinos Gesicht in irgendeiner Form zu zeigen. Nicht einmal Fotos vom Wissenschaftler werden eingespielt. Mit seinen starren, scheinbar Schmerzen verursachenden Bewegungen, seiner monotonen Stimme und seiner melancholischen Art entwickelt Joseph Bava einen interessanten Charakter. Am Ende des Films spielt es zumindest für den Zuschauer keine Rolle, ob es sich um Martino oder einen namenlosen Soldaten dieses menschenverachtenden Kalten Krieges handelt. Sein Schicksal rührt den Zuschauer. Immer wieder wird Martinos Leben in Rückblenden erzählt. Auch hier konzentriert sich Jack Gold ausschließlich auf die Ich-Perspektive, der Zuschauer verfolgt das Geschehen ausschließlich aus Martinos Warte. Diese sehr eingeschränkte Art der Inszenierung wird nicht immer mit einem entsprechenden Handlungsbogen unterlegt und verliert schnell ihren innovativen Reiz, ist aber im Gesamtkontext notwendig.
Trevor Howard hat die Rolle des russischen Generals Azarin übernommen, er verhört den noch nicht gänzlich genesenen Martino noch auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs und versucht, aus ihm die Geheimnisse des Projektes Neptun herauszuziehen. Mit einer stoischen, gleichgültigen Miene sollten die Verhöre durch die russische Armee die psychologische Kriegsführung des Feindes entlarven. Jack Gold setzt den unnachgiebigen FBI-Agenten Rogers dagegen, der sein Land vor einem möglichen Feind schützen möchte. Da sich die Verhöre im Film mit unterschiedlichen Fragen und Schwerpunkten wiederholen, verzichten Regie und Drehbuch auf eine polemische Darstellung und kritisieren die „bösen“ Kommunisten genauso wie die „scheinheiligen“ Guten.
Im Gegensatz zum Roman ist der Film in der Zeit des Vietnamkrieges im eher kritischen Großbritannien entstanden. Rogers treibt Martino bis zum Äußersten. Ihm ist es lieber, wenn der Wissenschaftler sich selbst umbringt, als seinem Land zu schaden. Dabei verfügt Rogers über keine Beweise, sondern versucht aus dem Nichts heraus eine Position zu kreieren, die er mittels Berichten auch vor seinen Vorgesetzten vertreten kann. In einem der besten Dialoge – so nicht im Buch enthalten – setzt er die Verfassung für den schwer verletzten Martino außer Kraft: „Nirgendwo haben Sie irgendwelche Rechte. Die Verfassung der Vereinigten Staaten wurde nicht für Metallmenschen geschrieben. Es steht nirgends, dass Burschen mit Metallköpfen und Augen, die beim Öffnen Klick machen, irgendwelche Rechte hätten“. Diese Aussage lässt sich im 21. Jahrhundert beliebig umschreiben. Namen gibt es genug, die insbesondere die amerikanische Regierung im Zuge ihrer Terroristenbekämpfung und damit der Verletzung der Bürgerrechte auf einen einfachen Verdacht hin gerne einsetzt. Unter dieser Prämisse hat der Film nichts von seiner Aktualität verloren.
Trotz des gewagten Versuchs, an der Paranoia Haltung und Politik der Geheimdienste auf beiden Seiten des eisernen Vorhangs berechtigte Kritik zu üben, leidet „Der Mann aus Metall“ vor allem unter seiner statischen Inszenierung. Im Vergleich zu dem Thriller „Der Schrecken der Medusa“, bei dem Jack Gold wenige Jahre später, mit Richard Burton in der Hauptrolle, Regie geführt hat, überzeugen nur wenige Szenen. Diese sind dann allerdings von einer verblüffenden Simplizität. Wenn sich Martino und der FBI-Agent am Ende des Films gegenüberstehen, der eine versucht sein zerstörtes Leben als Bauer wieder zu ordnen, der andere sucht immer noch nach dem Schlüssel, diesen Film zu lösen, ist die Szene nicht nur schauspielerisch sehr gut, sondern vor allem mit einem guten Augen für die Perspektive und eine Konzentration auf den Vordergrund gedreht worden. Viele andere Sequenzen leiden dagegen unter dem niedrigen Budgets des Films.
Insbesondere der Autounfall zeigt, dass der Film auf einem Fernsehbudget entstanden ist. Die anderen Sets sind dagegen ganz bewusst sehr karg gehalten, sollen dem Film eine gewisse Zeitlosigkeit geben. Die sehr eingeschränkte Perspektive der Rückblenden ist auf der einen Seite einfallsreich, auf der anderen Seite schleift sich der Effekt schnell ab. Nur dank Joseph Bovas intimen gestenreichen Spiel verbleibt das Interesse des Zuschauers beim Film.
Der größte Vorteil und vielleicht auch der einfachste Kritikpunkt ist die politische Ambivalenz. Während Budrys’ Romane – wie auch eine Reihe seiner anderen Werke – deutliche Kritik an der amerikanischen Geheimdienstpolitik übt, die im Grunde die Verfassung für die eigenen Aktivitäten außer Kraft setzt, bemüht sich Jack Gold, sowohl den damaligen Ostblock als auch die amerikanische Regierung zu kritisieren. Mit Trevor Howard und Elliott Gould hat er die beiden politischen Seiten überraschend effektiv besetzt. Der größte Teil der Handlung spielt im Westen, die Einflüsse des Unfalls und vor allem der psychologisch die Grenze des Erträglichen übersteigenden Verhöre im Osten überschatten das weitere Geschehen. Das Drehbuch bietet allerdings weder den Protagonisten noch dem Zuschauer eine echte Lösung des gordischen Knoten an. Selbst das Durchschlagen würde wenig helfen. Die einzige Möglichkeit wäre, dem Gegenüber zu vertrauen und über dieses Vertrauen eine Basis der zukünftigen Zusammenarbeit zu finden. Eine wackelige Basis, auf die sich kein Geheimdienst begibt und die in erster Linie nur in der Theorie funktioniert.
„Der Mann aus Metall“ ist ein interessanter, psychologisch spannender Film, dessen Effektivität durch das geringe Budget negiert wird. Einer der Filme, dem der Zuschauer ein Remake wünscht. Wie wäre es mit einem Wissenschaftler, der sich in der arabischen Welt verletzt, dessen Gehirn als einziges Organ in einen metallischen Körper übertragen wird, dessen Gehirnströme nicht mehr komplett aufgrund der Verletzungen mit denen des Wissenschaftlers übereinstimmen und der in den USA an einem Geheimprojekt arbeitet, mit dem man leichter Terroristen aufspüren und vernichten kann?
Der Produzent Barry Levinson hat mit dem Komponisten John Cameron einen Mann an Bord geholt, der insbesondere die Rückblicke mit seiner ruhigen, aber stimmigen Musik belebt. Insbesondere während der verschiedenen Verhörszenen wird auf jegliche Musik und vor allem auf Hintergrundgeräusche ganz verzichtet und das verbale Duell der jeweils ungleichen Männer in den Vordergrund gestellt. Diese „doppelten“ Szenen gehören zu den besten Passagen des Films, in denen Martinos körperliche Einschränkungen nach dem Unfall durch einen starken Willen ausgeglichen werden. All seine Widerstandskraft ist für einige Zuschauer der Beweis, dass es sich um einen speziell für diese Situation ausgebildeten Agenten handeln könnte und die Verhöre durch den russischen General sind nur Trainingsläufe. Aber das Drehbuch ist zu intelligent angelegt, um dieser profanen These wirkliche Beweise zu liefern. Kaum hat sich der Zuschauer für eine Richtung entschieden, wird er durch fingierte oder reale Fakten wieder abgelenkt und muss von vorne anfangen. Wie auch der Wissenschaftler Martino, während die Geheimdienste alle neuen Ansätze einfach in ihre brüchigen Elfenbeintürme integrieren.
Obwohl der Film vor fast fünfundzwanzig Jahren entstanden ist, sind seine Auswirkungen, insbesondere nach der Phase des Kalten Krieges in der neuen Weltordnung mit der stetig stärker werdenden religiösen Auseinandersetzung zwischen dem Islam und vor allem den USA zu spüren, und er bietet leider in einer unbefriedigenden Hülle eine Reihe von interessanten Denkansätzen, welche die Phantasie des Zuschauers anregen und ihm keine vorgefertigten Antworten geben.
E-M-S hat den Film ohne sonderliche Extras im 4:3 Format veröffentlicht. Dabei scheint es sich nicht um das originale Kinoformat zu handeln, einige der Szenen wirken nicht zentriert. Auf der anderen Seite ist der Zuschauer so näher am eigentlichen Geschehen dran und kann sich auf die einzelnen Protagonisten konzentrieren. Die einzige Tonspur ist eine Dolby Digital 2.0 Spur, kein Originalton wird angeboten. Der Ton ist allerdings gut abgemischt, insbesondere die Dialoge und Hintergrundgeräusche sind gut voneinander getrennt worden.
Das Bild ist alters entsprechend gut, die wenigen Fernsehausstrahlungen in den achtziger Jahren wirkten sehr verwaschen und kontrastarm.
DVD-Facts:
Bild: 1,33:1 (Vollbild)
Ton: deutsch Dolby 2.0 Mono