Young Avengers Sonderband 1: Sidekicks
Allan Heinberg, Jim Cheung, John Dell u. a.
(Young Avengers: Sidekicks, Part 1-6, 2005)
Aus dem Amerikanischen von Reinhard Schweizer
Panini, 2006, Paperback, 148 Seiten, 14,95 EUR
Von Irene Salzmann
Viele Avengers sind im Kampf gegen die Scarlet Witch gefallen, und die Überlebenden haben das Team aufgelöst. Wer steht nun den Bürgern bei, wenn ihnen Gefahr droht? Die Young Avengers: Patriot, Hulkling, Asgardian und Iron Lad ähneln ihren großen Vorbildern und besitzen spezielle Kräfte, aber sind sie wirklich fähig, die Menschen zu beschützen und dabei selber am Leben zu bleiben?
Captain America und Iron Man bezweifeln es und nehmen Kontakt zu den Teenagern auf, nachdem es diesen gelang, eine Geiselnahme zu vereiteln. Im zerstörten HQ der Avengers stöbern die beiden Männer und Jessica Jones alias Jewel, die man in dieser Angelegenheit hinzu gezogen hat, Iron Lad auf, der ihnen ein überraschendes Geheimnis enthüllt.
Unterdessen stoßen Kate Bishop, die bei der Beendigung der Geiselnahme tatkräftig mitgeholfen hat, und Cassie Lang, die Tochter des ermordeten Ant-Man, zu den übrigen Young Avengers. Die neue Hawkeye und Stature haben ihre eigenen Gründe, sich dem Team anzuschließen und das alte HQ zu erforschen.
Plötzlich taucht ein gefährlicher Feind auf, und es bleibt beiden Gruppen nur die Kooperation, wollen sie diesen mächtigen Gegner besiegen. Obendrein müssen einige der Beteiligten große Opfer bringen, damit die Realität, wie jeder sie kennt, erhalten bleibt…
Mit „Young Avengers“ versuchte Marvel, eine neue Serie zu etablieren, die sich mit jungen, unverbrauchten Helden an ein Publikum wendet, das ungefähr dasselbe Alter hat wie die Hauptcharaktere, vergleichbare Probleme kennt, zeitgenössische Themen und Zeichnungen wünscht. Zu diesem Zweck engagierte man mit Allan Heinberg einen Autor, der die Storyline für mehrere TV-Reihen festlegte, die ihm zum Durchbruch verhalfen: „Gilmore Girls“, „Sex and the City“ u. a. Ihm zur Seite stellte man den Zeichner Jim Cheung, der beispielsweise an „Wolverine“ (Marvel) und „Scion“ (CrossGen) arbeitete.
Das Konzept, einen realistisch-idealistischen, dynamischen Stil mit einer soapigen Handlung zu kombinieren, ging auf (tatsächlich ist dies auch das Erfolgsrezept der „X-Men“ und ihrer Spin Offs). Die Serie entwickelte sich zu einem Hit, krankte jedoch an einem unregelmäßigen Erscheinungsrhythmus und blieb dadurch weit unter ihren Möglichkeiten. Bei Panini sind inzwischen zwei weitere Sonderbände mit den Abenteuern der „Young Avengers“ erschienen – viel mehr Material, von einigen Gastauftritten der Protagonisten in diversen anderen Serien einmal abgesehen, liegt leider auch in den USA momentan nicht vor.
Das kreative Team bietet den Lesern Vertrautes und Neues. Es tauchen bekannte Helden und ein namhafter Feind auf, und auch die Newcomer scheinen zunächst nach ihren Vorbildern Captain America/Bucky, Thor, Iron Man und Hulk gestylt zu sein. Allerdings lösen sich die Hauptfiguren zunehmend von diesen Vorlagen, je mehr über ihre Herkunft und ihre Motive enthüllt wird, und nehmen teilweise neue Namen an. Dies ist jedoch erst der Anfang – weitere Geheimnisse werden in den folgenden Bänden aufgedeckt. Bereits diese Einführung beinhaltet ein großes Potential für interessante, actionreiche Storys.
Man wählt jedoch keinen Soap-Autor ohne konkreten Grund. In Folge stehen die Charaktere und ihre Probleme im Mittelpunkt, und die rasante Handlung ist lediglich schmückendes Beiwerk und Katalysator für private Konflikte. Es überrascht darum auch nicht, dass gleich drei Romanzen vor allem das weibliche Publikum erfreuen, wobei jede davon reichlichen Zündstoff bietet:
Stature und Iron Lad entwickeln sogleich Gefühle füreinander. Daran ändert sich auch nichts, als er sich als potentieller Feind entpuppt und das Team verlassen muss. Die Kabbeleien zwischen Hawkeye und Patriot sind ein deutliches Zeichen, dass sich zwischen ihnen etwas anbahnt, wobei hier der Knackpunkt ist, dass es sich bei Letzteren um einen Farbigen handelt. Als Hommage an die populären Boys Love-Mangas kann man die Beziehung zwischen Asgardian und Hulkling sehen, denn die beiden jungen Männer sind ein Paar. Zwar hat es zuletzt in so manchen Superhelden-Serien Verbindungen zwischen Farbigen und Weißen bzw. Homosexuellen gegeben, doch das angeblich freigeistige Amerika diskriminiert Frauen, Randgruppen und Minoritäten immer noch mehr als die meisten anderen (westlichen) Nationen. Deshalb walzt man vorsichtshalber diese heißen Themen nicht aus und verzichtet – zumindest während dieser Phase der Reihe - auf Aufklärung. Unterhaltung kommt wieder einmal vor der Gesellschaftskritik.
Die Teenager bieten sich zur Identifikation an. Sie haben dieselben Sorgen wie ihre Leser – Schule, Elternhaus, unerwünschte Freundschaften -, und sie rebellieren gegen die Anordnungen der arrivierten Helden Captain America und Iron Man, die verlangen, dass die Young Avengers ihr Team auflösen, da sie für nicht reif genug befunden wurden. Vor allem Hawkeye, die von Anfang an ihren eigenen Kopf durchzusetzen weiß, wird zur treibenden Kraft hinter den Kulissen. Während man bei den phantastischen Romanen bedauerlicherweise wieder die Heimchen an den Herd schickte, setzt man bei den Superhelden weiterhin auf Power-Frauen, die gleichberechtigt neben ihren Kollegen agieren.
Alles in allem kann man die erste Mini-Serie „Young Avengers: Sidekicks“ als gelungen betrachten, wenngleich man sich ein wenig mehr Gesellschaftskritik wünscht. Davon abgesehen sind die Charaktere sympathisch und interessant, die Handlung weist viel versprechende Ansatzpunkte auf – man darf wirklich gespannt sein, wie es mit den jungen Helden weiter geht.
Wer sich ein wenig im Internet umschaut, findet einige Appetit-Happen, die neugierig auf die nächsten Folgen machen. Möchte man weiter sammeln, dann sind die drei Sonderbände, die Panini offeriert, finanziell durchaus zu verkraften. Darüber hinaus bleibt bloß die Hoffnung, dass es eine fortlaufende Reihe geben wird, die gegebenenfalls einen Wechsel von Autor und Zeichner übersteht, denn Heinberg und Cheung haben Maßstäbe gesetzt.