Markus Heitz
Kindes des Judas
Knaur Verlag, 2007, Paperback, 702 Seiten, 14,90 EUR, ISBN 978-3-426-66277-9
Von Carsten Kuhr
Serbien im Jahre des Herren 1670. Ein achtjähriges Mädchen, das an ihrem Arm ein Muttermal aufweist, wird von den osmanischen Besatzern gejagt. Nicht nur ihre Jugend und Schönheit, auch die Tatsache, dass sich ein Dieb und Rebell im Haus ihrer Mutter verborgen hat, setzt die Janitscharen des türkischen Sultans auf ihre Spuren. An Widerstand und Aufruhr sind die Besatzer gewohnt, doch dass die Natur selbst in Form von Blitzen und wilden Tieren eingreift, damit hat man nicht gerechnet. Skylla gelingt im Gegensatz zu ihrer Mutter die Flucht. Ihr Vater, ein reicher Adeliger und Gelehrter, nimmt sie bei sich auf. Bei ihm beginnt sie ihr Studium des Menschen und der Natur. Währenddessen sie Leichen seziert und forscht, kommt es immer wieder zu Begegnung mit eine Gruppe von Forschern, den Cognatio. Diese suchen seit Jahren nach einem Mittel, das Altern aufzuhalten. Kurze Zeit später soll sie in die erlauchte Runde aufgenommen werden, scheitert jedoch in der Prüfung. Nicht etwa mangelndes Wissen, nein, die Missgunst der erlauchten Runde verhindert ihre Aufnahme. Zu genial, zu hübsch ist die junge Frau. In der Folgezeit dringt Skylla immer tiefer in die Geheimnisse ihres Vaters und der Cognatio ein. Zusammen mit diesem geht sie auf die Jagd nach Vampiren und Gestaltwandlern, die die Dörfer in der Umgebung heimsuchen. Doch dann muss sie erkennen, dass die ach so gebildeten Damen und Herren des Cognatio selbst von Dämonen besessen sind. Als Kinder des Judas wandeln sie sich nach ihrem Tod zu mächtigen, gestaltwandelnden Vampiren um ihre geheime Herrschaft über das Land und seine Menschen anzutreten. Doch auch sie altern, ihre Seelen werden nach ihrem zweiten Tod von den Dämonen vereinnahmt und in die Hölle entführt. Kein Wunder, dass alle danach trachten das Elixier, mit dessen Hilfe das Alter besiegt werden kann, zu finden. Nur zu bald ereilt auch Skylla ihr Schicksal, sie stirbt und steht als Judaskind von den Toten auf. Doch sie will sich nicht so einfach den Anweisungen des Ischariots, des Meisters der Judaskinder, unterordnen, in ihr brennt neben Wissensdurst auch ein unbändiger Drang nach Freiheit und Gerechtigkeit ...
Gut dreihundert Jahre später sind die meisten Judaskinder von den Vampiren und menschlichen Jägern zur Strecke gebracht worden. Skylla, die in den Unterlagen ihres Vaters die lebensverlängernde Formel fand, lebt zurückgezogen in Leipzig. Hier begleitet sie am Totenbett Sterbende auf ihrem letzten Weg, ernährt sich von Tierblut und schreibt, einem inneren Drang folgend, ihre Memoiren. Doch dann meldet sich die Vergangenheit – ihr Halbbruder lockt sie nach Serbien und stellt ihr eine teuflische Falle ...
Nach zwei inhaltlich zusammenhängenden Thrillern um Werwölfe nun also endlich, der lang versprochene, große Vampirroman aus der Feder des dreifachen Deutscher Phantastik Preisträgers 2007.
Ähnlich wie bei „Ritus“ und „Sanktum“ baut Heitz seine Handlung in zwei alternierend erzählten Strängen auf.
Zum einen berichtet er uns, in der Jetztzeit spielend, von der Einsamkeit, ja der Verzweiflung Sias (Skyllas), die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Menschen beim Sterben beizustehen, Unheil zu verhindern, unmenschliche Verbrecher zu richten. Dabei behält sie auch ihre eigenen Nachkommen im Auge, sorgt dafür, dass diese nach ihrem Tod nicht als blutrünstige Bestien auferstehen.
Die im Prolog geschilderte Geschichte des Todes eines kleinen Mädchens auf der Intensivstation gehört zu dem Eindrucksvollsten und Bewegendsten, das Heitz bislang verfasst hat. Mit sehr scharfem Blick hat er hier die Ohnmacht, die Betroffenheit und tiefe seelische Trauer derer, die zurückbleiben, festgehalten, rührt uns ob der Unbegreiflichkeit, die der Tod unschuldiger Kinder immer wieder in einem jedem weckt, ohne zu sentimental zu werden.
Auch seine Hauptperson ist, unabhängig wieviel Leid und Tod sie gesehen, ja verursacht hat, innerlich betroffen und im wahrsten Sinne des Wortes traurig. Wo bleibt der Sinn, wer soll den Grund für den Tod eines unschuldigen Lebens, das sein Potential auf Glück und Zufriedenheit nicht ausleben kann, begreifen?
Zur eigenen Läuterung legt sie, zunächst nur für sich selbst, ihre Geschichte schriftlich nieder. In diesem zweiten, textlich weit überwiegenden Teil des Romans, erwartet den Leser dann das, was er von einem Heitz erwartet. Im Serbien des 17. Jahrhunderts, das unter der Herrschaft der Türken, später dann unter der Knute der Habsburger stöhnt, erwarten den Leser jede Menge Rätsel, Mysterien, Kämpfe und Offenbarungen, Action und Tempo.
Das liest sich wie ein Kino im Kopf, voller Drive und Spannung.
Während die Zeichnung von Skylla sehr differenziert erfolgt, ihre Entwicklung nachvollziehbar aufbereitet wird, ihre Motivation glaubwürdig ausgebreitet wird, bleiben ihre Gegenspieler unter den Judaskindern ein wenig flach. Hier vereinfacht Heitz für meinen Geschmack zu sehr, baut die Antagonisten, die Freunde und Feinde unserer Heldin nicht wirklich umfassend auf. Die Orts- und Landschaftsbeschreibungen sind Heitz-typisch recht spartanisch ausgefallen, alles ordnet sich der vordergründigen Handlung unter.
Insgesamt rasante Lektüre, die den Leser an die Seiten bannt, und den Vergleich zu angloamerikanischen Konkurrenten wahrlich nicht zu scheuen braucht, wenngleich ich immer das Gefühl habe, dass Heitz locker noch eine Schaufel drauflegen könnte.