Marvel Paperback 4
House of M
(House of M 1- 8, 2005)
Titelillustration von Olivier Coipel
Aus dem Amerikanischen von Michael Strittmatter
Panini, 2007, 204 Seiten, 19,95 EUR, ISBN 978-3-86607-406-4
Von Irene Salzmann
Nachdem die unkontrollierten Aktionen der Scarlett Witch den Tod vieler Avengers zur Folge hatten, löste sich der Rest des Teams auf. Die Mutantin wurde der Obhut von Charles Xavier übergeben. Die mächtigen Kräfte, über die die junge Frau verfügt, übersteigen jedoch sowohl seine als auch de Möglichkeiten von Dr. Strange. Ihnen beiden ist klar, falls die Scarlet Witch ihre Macht erneut entfesselt, die Konsequenzen würden verheerend sein!
Notgedrungen bittet Xavier die X-Men, die ehemaligen Avengers und andere Helden, die mit der Scarlet Witch befreundet sind, zu einem Treffen. Der Grund ist eine Abstimmung: Muss Wanda Maximoff sterben, damit die Welt vor ihr sicher ist?
Die Anwesenden können sich auf keine Lösung einigen und beschließen, die Scarlet Witch aufzusuchen. Als sie in Genosha eintreffen, verändert sich plötzlich alles…
… und Wolverine erwacht mit verwirrenden Erinnerungen - mit dem ganzen Wissen, das er seit Jahrzehnten vergeblich zurück zu erlangen versucht hatte. Er weiß auch, was gerade geschehen ist. Allerdings ist er der Einzige, der diese Welt, in der die Mutanten die Macht ergriffen und den Homo Sapiens zum Außenseiter gemacht haben, als falsch erkennt. Sogleich wird er zum Gejagten, denn seine Gefolgsleute von Shield sind ebenso hinter ihm her wie auch eine Gruppe Rebellen, die sich um Luke Cage geschart hat.
Doch erst die junge Layla mit ihren ungewöhnlichen Kräften überzeugt Wolverines neue Verbündete restlos vom Wahrheitsgehalt seiner Geschichte. Es gelingt ihnen, nahezu alle Personen, die an jenem Meeting beteiligt waren, und einige andere Helfer zu rekrutieren, um gemeinsam das „House of M“ – Magneto, Quicksilver, Scarlet Witch und Polaris – anzugreifen. Nur wenn es ihnen gelingt, den verschollenen Professor Xavier zu finden, kann vielleicht die alte Realität wieder hergestellt werden.
Umso schockierender ist die Entdeckung, dass der einstige Leiter der X-Men tot ist. Ist damit alles vorüber?
Der Konkurrenzkampf um die Leser wird immer härter, so dass auch die Veränderungen im Marvel- oder DC-Universum entsprechend gravierender ausfallen, um langjährige Sammler weiter zu binden und potentielle Neueinsteiger zu locken. Radikale Eingriffe in die bekannte Kontinuität oder Neuanfänge („The Age of Apocalypse“, „Annihilation“ etc.) hat es schon immer gegeben, doch nach einer gewissen Zeit besann man sich doch weitgehend wieder der bewährten Zustände.
Wer nun dachte, das Ende der Avengers wäre bereits der Höhepunkt einer solchen tief greifenden Veränderung, der darf nun feststellen, dass „House of M“ all dem noch eins drauf setzt. Erst mussten viele Helden sterben, und nun ist gar ein neues Zeitalter angebrochen.
Der Traum von Magneto ist wahr geworden: Der Homo Superior hat die normalen Menschen überflügelt und eine Welt geschaffen, in der Mutanten nicht länger verfolgt werden. Allerdings hat auch dieses Utopia seine Schattenseiten, denn die alten Konflikte bestehen weiter, lediglich die Rollen wurden getauscht, und aus den Unterdrückern wurden die Unterdrückten.
Wolverine, der sein Leben lang manipuliert wurde, ist der Einzige, der das Wirken der Scarlet Witch durchschaut. An sich wollte die Mutantin Gutes tun, die Auseinandersetzungen beenden und jedem das geben, wovon er immer träumte, aber alles hat seinen Preis, und nicht jeder ist glücklich. Wolverine ist der anerkannte Chef von Shield, Cyclops und die White Queen sind ein Paar, Spider-Man genießt ein erfülltes Familienleben an der Seite von Gwen Stacy und seinem Onkel Ben, Hawkeye ist am Leben… Entsprechend schwer fällt es vielen der Betroffenen, ihr persönliches Glück für die grausame Realität zu opfern, zumal nicht einmal sicher ist, ob die alten Zustände wieder hergestellt werden können.
Der Kampf ist unvermeidlich und entbehrt auch nicht etlicher Überraschungen. So ist nicht etwa Magneto der Mastermind hinter den Geschehnissen, das Schicksal von Professor Xavier gibt viele Rätsel auf, und die Rolle von Hawkeye könnte der Schlüssel zu noch sehr viel mehr sein. Tatsächlich vermögen die Helden etwas zu erreichen, aber es ist wieder nicht das, was sie wollten – und erneut nur das Vorspiel zu einer weiteren Storyline.
„House of M“ erschien bei Panini bereits 2006 als Vierteiler. Nun hat man die komplette Story für jene Sammler, denen dieses Abenteuer vor gut eineinhalb Jahren entgangen ist, als Paperback ein weiteres Mal aufgelegt. Selbst wenn man bloß sporadisch die Superhelden-Abenteuer verfolgt und sich dabei abgeschlossene, viel versprechende Mini-Serien herauspickt, so ist dies einer der Meilensteine, die man im Regal stehen haben sollte. Zum einen ist die Geschichte spannend und voller überraschender Wendungen, so dass man bis zur letzten Seite mitfiebert – dann natürlich enttäuscht ist, weil man nach dem kleinen Ausblick auf das Weitere mit seinen Spekulationen allein gelassen wird -, zum anderen können auch die Illustrationen überzeugen.
Brian Michael Bendis, Autor von Serien wie „Ultimative Spider-Man“, „Daredevil“ usw., bietet seinen Lesern mehr als nur eine schockierende, actionreiche Story.
Er beleuchtet die Motive der Protagonisten und zeigt ein ‚What if’ auf, das äußerst reizvoll ist. Wovon träumen die Helden insgeheim? Was würden sie ändern oder besser machen, wenn sie die Chance hätten, einen schlimmen Fehler zu korrigieren? Die Antworten sind mitunter recht überraschend – und in einigen Fällen sicher selbst für den Autor nicht gerade einfach gewesen. Beispielsweise verblüfft es, Wolverine in der Rolle von Nick Fury und obendrein an der Seite von Mystique zu sehen. Die Liaison von Cyclops mit der White Queen kommt ebenfalls unerwartet, dachte doch jeder, dass Jean Grey seine und auch Wolverines große Liebe gewesen ist. Ebenso Spider-Man: Nicht Mary Jane Watson sondern Gwen Stacy schenkt ihm eine Familie.
Die Frage, weshalb die Scarlet Witch nicht auch Vision, ihren Mann und Vater der Zwillinge, zurück brachte, bleibt leider unbeantwortet. Man darf rätseln, ob dies gewollt ist oder man diese Figur versehentlich ausgelassen hat.
Darüber hinaus gibt es ein Wiedersehen mit Charakteren, die entweder tot sind – Hawkeye, Gwen Stacy – oder einst eine eigene Serie hatten, die eingestellt wurde, die ihr Kostüm anderen überließen oder aus anderen Gründen längere Zeit aus der Handlung verschwunden waren wie Spider-Woman, Black Cat, Iron Fist, Cloak etc. Zwar besetzen sie keine tragenden Rollen, aber allein ihr Auftauchen erfreut und lässt hoffen, dass sie nicht gänzlich in Vergessenheit gerieten und irgendwann wieder stärker eingebunden werden.
Der Story-Arc ist in sich abgeschlossen. Man muss die vorherigen Bände aus Serien wie „Avengers“, Spider-Man“ oder „X-Men“ nicht kennen, um der Handlung folgen zu können. Die Geschichte ist selbsterklärend, doch sollte man im Großen und Ganzen mit den zahlreichen Charakteren vertraut sein, um nicht den Überblick zu verlieren. Die Serie soll neugierig auf das machen, was nun kommt, doch bleibt es jedem Leser überlassen, ob er das Paperback als Einstiegslektüre nutzt oder weiterhin nur interessante Einzeltitel aus dem umfangreichen Programm für sich heraus zieht.
Wer Superhelden-Comics, insbesondere die von Marvel, schätzt, wird seine Freude an diesem schönen Band haben, sind doch nahezu alle aktuellen Leserlieblinge vertreten, und man darf sie in mitunter recht ungewohnten Rollen sehen. Die Story ist spannend, tragisch und actionreich, vernachlässigt aber auch nicht die Charaktere und ihre Weiterentwicklung. Ansprechende Zeichnungen runden gelungen ab. Der Preis von knapp EUR 20.- für über 200 Seiten kommt überdies günstiger als der Kauf der vier Einzelhefte oder der Erwerb der US-Ausgaben.