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Feige, Marcel: Wut (Buch)

Marcel Feige
Wut
Goldmann Verlag, 2007, Taschenbuch, 474 Seiten, 8,95 EUR, ISBN 978-3-442-46461-6

Von Carsten Kuhr

Die deutsche Hauptstadt im Ausnahmezustand. Ein internationaler Umweltgipfel kündigt sich an, Präsident Bush hat sein Erscheinen zugesagt, da heißt es für die Polizei Überstunden schieben, und Routinefälle schnell und möglichst unauffällig abzuarbeiten.
Der internationalen Presse soll das Bild eines heilen Berlins voller Harmonie und Frieden offeriert werden, die Wirklichkeit aber ist eine andere.
Illegale Prostituierte, Zuhälter aber auch Polizisten werden brutal mit Eisenstangen getötet. Verbindendes Indiz: all die Morde wurden tief unter der Erde in verlassenen Bunker- und U-Bahnsystemen verübt.

Kommissar Kalkbrenner macht sich gegen alle Widerstände auf, die offenen Fäden aufzunehmen und zu ermitteln. Dabei muss er sich nicht nur mit seinen allzu karrieregeilen Vorgesetzten anlegen, auch seine Familie, sein soziales Umfeld, bleibt auf der Strecke. Ein guter Bulle, ein erfolgreicher Cop. aber auch ein gescheiterter Familienvater und Ehemann.

Die Spur führt zu einem jungen Studenten, der gegenwärtig auf Anordnung eines Gerichts seine soziale Stunden für die Obdachlosenbetreuung ableistet. Hat dieser, wie allgemein vermutet, nachdem er in den vergessenen und baufälligen Katakomben der Hauptstadt seinen Dienst abgeleistet hat, wirklich die Opfer mit einer Eisenstange umgebracht, und wo ist das Motiv?

Nur die elenden Gestalten unterhalb der Hauptstadt wissen die Antwort, und wenn Kalkbrenner den Fall lösen will, dann muss er hinab zu den Parias, die schon längst durch das ständig grobmaschiger werdende soziale Netz unserer Wohlfahrtsgesellschaft gefallen sind ...


Marcel Feige hat mit seiner „Inferno“-Trilogie bei Festa für Aufsehen gesorgt. Neben seinen preisgekrönten Sachbüchern wusste er bereits in den drei „Inferno“-Titeln durch messerscharfe Beobachtungsgabe insbesondere in Bezug auf soziale Missstände und deren Auswirkungen auf Drogen- und Verbrechensproblematik zu überzeugen.

Was lag näher, als ihn erneut auf den urbanen Dschungel der Hauptstadt loszulassen, in der er arbeitet und lebt, die er kennt, wie keine andere.
Diesmal aber sollte der Roman in der Realität wurzeln, sollte eine packende Mischung aus Krimi und rasantem Thriller die Leser fesseln.

Mit Instinkt und dem nötigen Insiderwissen präsentiert uns Feige die Geschichte um die Ermittlungen im Fall eines Serienkillers. Dabei gelingt es ihm mit scheinbar leichter Hand, markanten Charakterköpfe zu zeichnen. Insbesondere die Darstellung Kommissar Kalkbrenners und dessen Tochter wissen hier zu überzeugen. In ein paar wenigen, scheinbar unmaßgebenden Passagen zeichnet er das Bild eines Generationskonflikts, wie er sich in Deutschland, ja der Welt, milliardenfach täglich abspielt. Der im Beruf aufgehende Vater, der mehr und mehr den Kontakt zur Familie verliert, der sich, gerade weil er ein schlechtes Gewissen hat, immer weiter zurückzieht und in seine Arbeit vergräbt, die aufbegehrenden Kinder, die nach Rebellion schreien, auf eigenen Füßen stehen wollen, die ein eigenes, selbstbestimmtes Leben zu führen trachten und doch nach Liebe und Akzeptanz, nach Anerkennung hungern, das sind Gestalten, die mich berühren, die ich verstehe, in deren Haut ich schlüpfen kann. Wie sagte der Autor so treffend: „Ich habe Verbrechen aufgeklärt, die aus Neid, Missgunst, Eifersucht und Rache geschahen. Aber das hier, das ist das schlimmste Verbrechen von allen: Gleichgültigkeit“ (S. 459). Da kann die nächste Party noch so bestimmt kommen, die geschundenen, vergessenen Gestalten über die wir alle so gerne hinwegblicken, damit sie uns in unserem Wohlstandsgefühl nicht stören, ihnen und ihrer Nöte kann man diesmal nicht ausweichen. Im Zusammenspiel mit den beklemmend gezeichneten Gängesystemen und Bunkern unter der pulsierenden Großtadt nimmt die Handlung so manches Mal surreale, dann wieder beklemmende Züge an.

Zwar wird Kommissar Zufall oft, fast ein wenig zu oft bemüht, doch gerade nach dem letztlich enttäuschenden, dritten „Inferno“-Band zeigt vorliegender Roman deutlich, mit welcher Intensität und Spannung Feige zu erzählen weiß. Dabei kommt es ihm zugute, dass er seine Handlung in sehr kurzen Kapiteln ablaufen lässt, dass er bewusst in einem Stakkato der Blitzlichtaufnahmen Tatorte, Begebenheiten und Handelnde portraitiert.

Zur Buchmesse war zu erfahren, dass Ende nächsten Jahres mit „Gier“ ein zweiter Thriller um und mit dem kantigen, grantigen Kalkbrenner auf den Leser warten wird. Bis dahin beweist vorliegendes Buch, dass deutsche Autoren mit der Hand am Puls der hektischen Zeit zu fabulieren wissen, dass Thriller der Extraklasse nicht nur im angloamerikanischen Sprachraum verfasst werden, und dass vieles in und unter der Hauptstadt des wiedervereinten Deutschlands nicht ganz so ist, wie es sich und uns die Politiker in beschönigenden Worten einzureden versuchen.

hinzugefügt: November 2nd 2007
Tester: Carsten Kuhr
Punkte:
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