Mein Freund Winnetou
BRD/F 1980, Regie: Marcel Camus, mit Pierre Brice, Siegfried Rauch, Eric Do Hieu, Ralf Wolter u.a.
Von Thomas Harbach
Nachdem die Karl May Kinowelle schon einige Jahre ausgelaufen gewesen war und „Kara Ben Nemsi“ im ZDF zwar ein künstlerischer, aber kein kommerzieller Erfolg gewesen wurde, versuchte es der WDR zusammen mit dem französischen Sender Antenne 2 und dem schweizerischen SRG mit der populärsten Figur Karl Mays: Winnetou. Für die 14teilige Serie – in Frankreich und der Schweiz sind daraus sieben Teile á sechzig Minuten geworden – gelang es dem Sender, Pierre Briece zu gewinnen. Drehbuchautor Jean Claude Deret lag aber nichts ferner, als die urdeutschen Krautwestern wiederzubeleben. Obwohl die Filme in Europa populär genug gewesen waren, fürchtete der französische Partner bei einer kostspieligen Neuauflage der skurrilen Filme finanzielle Verluste. Mit Ralf Wolter in der bekannten Rolle des Sam Hawkins und Siegfried Rauch in der Nebenrolle des Old Shatterhands wurden nur zwei weitere Figuren Karl Mays in die sich in erster Linie auf die Situation der Indianer konzentrierende Fernsehserie übernommen. Siegfried Rauch kam zu den Old Shatterhand Ehren, da Lex Barker verarmt und vom Alkohol gezeichnet früh starb. Der in „Kara Ben Nemsi“ überzeugende Karl-Michael Vogler hätte selbst für die Nebenrolle eine interessante Wahl dargestellt. Ihm fehlte allerdings die vom Regisseur erwünschte lockere, humorvolle Art.
Der Stoff ist klassischer Karl May, die Weißen sind die rücksichtslosen opportunistischen Schurken und gleichzeitig die aufrichtigen, menschenfreundlichen Helfer in einem Volk, wenn natürlich auch nicht in einer Person. Wie in den ersten drei „Winnetou“-Filmen gehört der Häuptling der Apatschen unter Mordverdacht und muss von einem Weißen – in diesem Fall mittels moderner Photographietechnik – gerettet werden.
Gleich zu Beginn des Films wird Winnetou am Grab seines Vaters und seiner Schwester informiert, dass weiße Banditen – in diesem Fall auch expliziert als weiße Schurken von den Indianern bezeichnet – die Indianersiedlung überfallen, viele Männer getötet und den Kleinen Bären entführt haben. Bei der Verfolgung von weißen Banditen kommen Winnetous Begleiter Alter Bär und Kleiner Bär ums Leben, Winnetou selbst wird schwer verletzt. Der zufällig vorbeikommende Fotograf Napoleon Charbonneau will dem Verletzten helfen, wird aber von den ebenfalls auftauchenden Pajute-Indianern verdächtig, den Häuptling selbst verwundet zu haben . Erst die Ankunft Old Shatterhands kann ihn befreien. Winnetou wird zu den Pajutes gebracht und gepflegt. Nach seiner Genesung macht er sich mit dem Komantschen Tashunko ihm einige Apatschenfähigkeiten zu lehren, als sie unversehens auf die Überlebenden eines Überfalls von Banditen auf die Postkutsche stoßen, den Agenten des Amtes für indianische Angelegenheiten Vincent, seiner indianischen Frau Nalin und deren Sohn Peter. Auf dem Weg zu einem nahe gelegenen Fort werden sie von Chiricahua-Apachen unter der Führung von Yaqui, einem Bruder von Cochise angegriffen.
Bei dem Fort angekommen, fällt Winnetou sofort der die Verwahrlosung unter den um das Fort herumlungernden Indianern auf. Es scheint so, als wäre sein alter Freund Sam Hawkins indirekt Schuld an deren Alkoholabhängigkeit, denn er brennt Schnaps für die Arbeiter der Eisenbahngesellschaft und die verscherbeln den Alkohol an die Indianer weiter. Sam Hawkins verspricht, diesen Zweithandel zu unterbinden. Als Winnetou und Tashunko weiter reiten wollen, sind ihre Pferde verschwunden, offensichtlich gestohlen von einigen Banditen, die auch noch zwei Indianerfrauen entführt haben. Diese Frauen gehören zum Stamm der Cheyenne unter der Führung von Häuptling Wolfszahn. Durch sein Land wollen die Weißen unter der Leitung von Colonel Stevens die Eisenbahn bauen und sie versuchen, mit billigen Geschenken und Alkohol Land von den Indianern zu erschleichen. Der Konflikt zwischen den Weißen und den Indianern spitzt sich zu.
Es ist sicherlich nicht leicht, „Mein Freund Winnetou“ chronologisch in die Karl May Serie zu integrieren. Old Shatterhand und Winnetou sind schon Freunde. So befreit Old Shatterhand den weißen Photographen aus den Händen der Indianer, verbleibt allerdings nicht – im Gegensatz zu den Kinofilmen – am Krankenlager seines Blutbruders. Diese Szene wirkt nicht zuletzt aufgrund der schwerfälligen Inszenierung nicht überzeugend und negiert vor allem viele Elemente der Kinofilme. Auf der anderen Seite ist Winnetou zumindest in der Auftaktepisode voller Selbstzweifel. War es richtig, mit einem Bleichgesicht Blutsbrüderschaft einzugehen? Das weist darauf hin, dass die entsprechenden Ereignisse noch nicht lange zurückliegen.
Der Konflikt um die Eisenbahn hat vor allem den ersten Band von „Winnetou“ bestimmt und die Fernsehserie zeigt die indianische Haltung mit ihrer Mischung aus Arroganz gegenüber den schwachen Weißen, Ignoranz der Technik gegenüber und schließlich Melancholie über den Verlust des Friedens sehr deutlich. Immer wieder wird betont, wie schlecht die Weißen für die Indianer sind und das man trotz deren Unbillen mit ihnen in Frieden leben muss. Während die Indianer naturverbunden dargestellt werden, ist die Naivität, mit der die Eisenbahnpioniere an die Aufgabe herangehen, nicht nur unglaubwürdig, sondern insbesondere für einen Film der späten siebziger und frühen achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts verwerflich naiv. Die teilweise nicht korrekten historischen Bezüge und die unfreiwillig kitschige Hintergrundhandlung werden vor allem durch eine stellenweise herablassende Darstellung der indianischen Rituale noch verstärkt. Es ist bedauerlich, dass insbesondere Winnetou als Vermittler zwischen der indianischen und weißen Kultur sich in diesem Punkt nicht mit Ruhm bekleckert. Es wäre allerdings für die Fernsehserie an sich sinnvoller gewesen, ganz konsequent den Schritt zu einem Indianerfilm zu machen und den Konflikt mit den Weißen nur an den Anfang der Serie zu stellen und sich dann auf eine Indianerfreundschaft zu konzentrieren. Mit Pierre Brice verfügt der Film über einen nicht immer in Würde gealterten, aber charismatischen Schauspieler, welcher die Rolle des Winnetous natürlich in allen Facetten und Nuancen beherrscht. Warum dem Drehbuchautoren der Mut fehlte, vor allem in einer französischen Fernsehserie nicht gänzlich auf die oft zu Klischees reduzierten Schurken beiderlei Hautfarben zu verzichten und die in New Mexiko in der Nähe der Apatschen Pueblos gedrehte Serie zu einem echten Indianerfilm zu machen, wird sich niemals ganz aufklären lassen. Die Idee, eine Freundschaft zwischen zwei Mitgliedern unterschiedlicher Stämme zu zeigen, die sich über das anfängliche Misstrauen schließlich festigt, ist für den Western originell. Das Drehbuch nimmt sich nach dem rasanten, aber teilweise stark unter dem eingeschränkten Budget leidenden Auftakt sehr viel Zeit, insbesondere die Indianercharaktere weiterzuentwickeln. Nach einigen anfänglichen und nicht ganz glücklichen Klischees steht insbesondere Tashunko im Mittelpunkt der Handlung. Die Freundschaft lässt sich nicht mit der zwischen Weißen vergleichen, ganz bewusst bemüht man sich, die Unterschiede zwischen den Indianerstämmen nicht gänzlich zu glätten. Dabei wirken die Apatschen in Person des Winnetous teilweise ein wenig zu überzeichnet gut und weise, teilweise zu arrogant. Das die Kommantschen auch für ein Leben in der Wildnis geschaffen sind, macht Tashunko in einigen wenigen Szenen dem überraschten Apatschenhäuptling deutlich. Die Weißen dagegen bleiben Chiffren. Insbesondere mit Old Shatterhand und vor allem Sam Hawkins kann das Drehbuch wenig anfangen. Dass Hawkins nicht merkt, wie seine roten Brüder im Schatten des Forts immer mehr von seinem Alkohol abhängig werden und er erst nach Aufforderung Winnetous Abhilfe verspricht, gehört zu den unglaubwürdigsten und schwächsten Passagen des Films. Da wäre es sinnvoller gewesen, aus Hawkins den Begleiter der überfallenen Postkutsche zu machen und später im Fort einen Konflikt mit einem frühkapitalistischen Jungunternehmer zu provozieren. Old Shatterhand hat zumindest einen gelungenen Auftritt, bevor er wieder in der Unendlichkeit der Prärie verschwindet. Die Konzentration liegt auf Winnetou und den Indianern. Sicherlich nicht die schlechteste Prämisse, um dem am Boden liegenden Western neue Impulse zu verleihen und vor allem mit Winnetous noch populären Namen zu werben. May litt allerdings unter deutlich schwindenden Verkaufszahlen im Zuge der „Star Wars“Welle. Das klassische Enstiegspublikum brach dem sächsischen Autor für einige Jahre weg, bevor sich die Verlage aufmachten, die teilweise arg verstümmelten und für ein jugendliches Publikum gekürzten Bücher ungekürzt aufzulegen. Der Fernsehfilm per se ist für ein deutliches älteres Publikum als die meist jugendlichen Leser gestaltet worden. Die Erzählstruktur ist wie bei „Kara Ben Nemi“ sehr uneinheitlich, auf schnelle, gut inszenierte Actionsequenzen, von denen keine in sich eine Neuerung beinhaltet, folgen sehr lange, ruhige Passagen, in denen die teilweise extrem hölzernen Dialoge die Geduld der Zuchauer strapazieren. Die Landschaftsaufnahmen sind teilweise atemberaubend schön. Das einzige Manko ist der Vorspann, der in Espe nachgedreht werden musste. So reitet Winnetou aus grünen, deutschen Wiesen in die mexikanische Wüste. In wie weit der Versuch, die Geschichte an Originalschauplätzen zu drehen, bei dem teilweise überaus klischeehaften Plot wirklich den Durchbruch gebracht hat, soll hier in Frage gestellt werden. Insbesondere die jugoslawische Bergwelt und vor allem die spanischen Wüsten - sie dienten unzähligen Italo-Western als Hintergrund – hätten auch ausgereicht. Dazu nutzt der Film bis auf einige wenige, dann allerdings eindrucksvolle Panoramenaufnahmen, den Hintergrund zu wenig aus und bleibt dem Fernsehfilm der siebziger und achtziger Jahre treu in der Halbtotalen. Die Schauspielerleistungen sind adäquat, Pierre Brice fühlt sich nicht immer ganz wohl in seiner teilweise unglücklich angelegten Rolle. Nach dem inneren Monolog am Grab seiner Verwandten und dem unfreiwillig komischen, aber nicht furchterregenden Minenspiel, als ihm die Botschaft von der Entführung des Kleinen Bärs überbracht wird, hat er die Rolle gut im Griff. Wie in den Kinofilmen leidet sein Spiel erst, wenn er ohne Worte bestimmte Emotionen nur mit seiner Mimik ausdrücken soll. Die anderen Schauspieler spielen ihre nicht immer anspruchsvollen und teilweise zu klischeehaft geschriebenen Rollen mit sehr viel Routine. Insbesondere die weißen Charaktere hätten dreidimensionaler und vor allem nuancierter geschrieben werden müssen, um den Kontrast zwischen den edlen Wilden – erst am Ende gibt es eine Gruppe von Abtrünnigen, die dann alle Vorurteile den Wilden Bestien gegenüber bei ihren Raubzügen in sich vereinen – und den schurkischen Landräubern nicht zu groß werden zu lassen.
Es ist schön, dass „Mein Freund Winnetou“ jetzt in einer edlen Aufmachung von Koch Media wieder aufgelegt worden ist. Im Vergleich zu den Karl May „Winnetou“-Filmen ist der Stoff deutlich besser gealtert und wirkt teilweise im Zuge des Neo-Western sogar wieder modern. Andere Passagen sind dagegen wieder unglaubwürdig und teilweise arrogant herablassend gegenüber den Indianern inszeniert, die eigentlich im Mittelpunkt der Handlung stehen sollten. Trotzdem ist der Kompromiss, dem Karl May Western eine neue Facette zu geben und gleichzeitig eine neue Generation von potentiellen Lesern anzusprechen, nicht nur für Karl May Fans interessant, sondern vor allem für Menschen, die sich ansatzweise für eine indianerfreundliche und vor allem fairere Aufarbeitung der Eroberung des Westens der USA interessieren. Der Kampf der Indianer um die Freiheit, das eigene Land und später nur noch das Überleben wird in kleinere, durchaus spannend inszenierte Nebenhandlungen eingebettet.
Der Zuschauer muss sich allerdings im Klaren sein, dass er hier nicht eine Neuverfilmung der klassischen Karl May Stoffe vor sich hat, sondern den nicht immer gelungenen Versuch, das Leben der Indianer aus ihrer eigenen Perspektive – ein wenig naiv mit dem Blickwinkel des weißen Mannes unterlegt – zu zeigen und ihre eigene Geschichte zu erzählen. Mit allen Stärken und Schwächen. Es ist der Versuch der Abkehr von Karl Mays teilweise überspannten und auf humorvoll getrimmten Dialogen und Figuren zu deutlich realistischeren Charaktere, die ihren Stammesvater ab niemals gänzlich verleugnen können.
Bei der vorliegenden Kopie Koch Media scheint es sich um eine Secam-Vorlage zu handeln. Besonders in der Anfangsphase ist das Bild körnig und das Rauschen sehr stark. Es sind viele Schmutzpartikel im Film zu sehen und auch die Abnutzungsspuren an den Rändern erinnern an die alten VHS Zeiten. Die Farben sind nach anfänglichen Schwierigkeiten sehr kräftig, erinnern aber an die eigenwillige französische Farbgestaltung der Secam-Filme. Die Bildschärfe ist für eine Fernsehserie dieses Alters erträglich. Wahrscheinlich lag für die Digitalisierung nur eine Negativkopie vor. Ähnliche Schwächen zeichnet übrigens auch die „Mathias Sandorf“ von Concorde aus. Auch dieser Film ist in erster Linie in Frankreich produziert worden. Die Serie liegt in Mono vor, aber die Dialoge sind klar und sehr gut verständlich. Auch die Hintergrundmusik – auch wenn sich viele Kritiker über den zu modernen Rhythmus negativ geäußert haben - und vor allem die Hintergrundgeräusche harmonieren sehr gut mit den Dialogen. Aus dem Jahre 2007 stammt das etwa 24minütige Interview mit Pierre Brice. Plaudernd streift er durch seine schauspielerischen Anfänge und geht dann zu Winnetou über. Darin äußert sich Brice über die Bedeutung der „Winnetou“-Rolle für seinen weiteren Werdegang und geht natürlich auch auf die vorliegende Serie ein. Neben der kurzen Begrüßungseinleitung von Pierre Brice stellt das Interview eine sehr solide und vor allem informative Arbeit dar.
Das etwa 48minütige Interview mit dem Old Shatterhand der Serie, Siegfried Rauch, arbeitet dessen Karriere in wichtigen Meilensteinen ab. Rauch erinnert sich an viele Filme, Weggenossen und Kollegen, über die er gerne positiv plaudert. Ein paar Anekdoten hat er auch parat. Darüber hinaus erzählt er auch, wie er die Rolle des Old Shatterhand in der vorliegenden Serie bekam. Das Interview ist intimer und weniger sachlich als das Gespräch mit Pierre Brice, bringt dem Zuschauer aber den Menschen Rauch deutlich näher als zum Beispiel Pierre Brice, der trotz aller französischen Herzlichkeit eine gewisse Distanz zum Interviewer und damit dem Publikum behält. Das 24seitige Booklet mit Episodenführer, vielen schönen Fotos und vor allem wichtigen Informationen über die Entstehung der Serie und das Team hinter den Kulissen ist gut zu lesen.
DVD-Facts:
Bild: 1,33:1 (Vollbild)
Ton: deutsche Dolby Digital 2.0 Mono
DVD-Extras:
Interviews, Booklet