The Boys 1
Spielverderber
Garth Ennis, Darick Robertson u. a.
(The Boys 1-6, 2006)
Aus dem Irischen/Amerikanischen von Bernd Kronsbein
Panini, 2007, Paperback, 144 Seiten,16,95 EUR
Von Irene Salzmann
Die reale Welt, wie jeder sie kennt, aber mit einem gravierenden Unterschied - es gibt Superwesen -, dient als Kulisse für die makabere Satire „The Boys“, erschaffen von dem irischen Autor Garth Ennis, der auch für Serien wie „The Authority“, „The Simpsons“, „Batman“, „The Darkness“, „Ghost Rider“, „Judge Dredd“ und „Preacher“ schrieb, um nur einige wenige Beispiele zu nennen. Zeichnerisch umgesetzt wurden die vorliegenden Episoden von „The Boys“ von Darick Robertson, der u. a. einige Bände „Wolverine“, „Spider-Man“, „New Warriors“ illustrierte.
Die meisten Superhelden sind Amateure, die ihre Kräfte nicht wirklich beherrschen und unfähig sind, die schwerwiegenden Folgen, die ihr Eingreifen haben könnte, abzuschätzen. Prompt bleiben Personen- und Materialschäden nicht aus. Kaum einer der so genannten Hüter der Menschheit bereut etwaige Fehler und trauert um die unschuldigen Opfer; wichtig ist nur, dass es keinen Ärger gibt und alle einen Superspaß haben. Um die Betroffenen zu beschwichtigen und das Image der Männer und Frauen mit überlegenen Kräften sauber zu halten, werden Schweigegelder gezahlt gegen eine Verzichtserklärung, den Vorfall an die Öffentlichkeit zu bringen und gar rechtliche Schritte einzuleiten.
Genau das passiert auch dem Schotten Wee Hughie, der seine Freundin verliert, die zufällig in die Bahn zweier kämpfender Superwesen gerät. Er hat das tragische Geschehen immer noch nicht verarbeitet, als ein Unbekannter an ihn heran tritt, der sich Billy Butcher nennt. Er lädt Hughie ein, für The Boys zu arbeiten, einer Abteilung des CIA, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Superhelden zu kontrollieren und notfalls auch zu eliminieren.
Von diesem Moment an geht alles sehr schnell. Hughie hat plötzlich einen amerikanischen Pass inklusive Staatsbürgerschaft, er zeigt großes Talent bei der Überwachung der zweitklassigen Superhelden, an denen ein Exempel statuiert werden soll, und man verleiht ihm besondere Kräfte, denn ohne kann er es nicht mit diesen Gegnern aufnehmen. Allerdings ist sich Hughie nicht sicher, ob dieser zwielichtige, brutale Job wirklich das ist, was er will.
Seine Kollegen sind mehr oder weniger paranoid, kaum besser als jene, gegen die sie vorgehen sollen, und es wird auch von ihm erwartet, dass er notfalls jemanden tötet. Schließlich entscheidet sich Hughie dafür, der Sache zumindest eine Chance zu geben – und schon wird er vom Opfer zum Täter…
„The Boys“ ist nicht der erste Titel, der das in Comic-Heften stets vernachlässigte Thema aufgreift, wer eigentlich für die Schäden aufkommen muss, die von kämpfenden Superhelden und –schurken verursacht werden. Marvels „Damage Controle“ befasste sich allerdings eher auf humorige Weise in drei Miniserien und gelegentlichen Gastauftritten damit.
Die vorliegende Reihe, die bei Wildstorm erschien, ist wie die meisten Superhelden-Serien, die von Studios konzipiert wurden, die ursprünglich dem Verbund Image angehörten oder noch immer angehören, etwas anders aufgebaut als die konventionellen Titel des Genres: realistischer, drastischer, düsterer - Underground.
Bei den Protagonisten handelt es sich um dubiose Anti-Helden, die nicht wirklich gut und sympathisch sind, aber nachvollziehbare Motive haben für ihr Handeln, das nicht minder skrupellos ist als das jener, die sie im Visier haben. In diesen ersten Episoden ist der Fokus auf Hughie und Billy gerichtet – was ihre Kameraden bewegt, dürfte Stoff für spätere Folgen sein.
Die sonst so strahlenden Superhelden sind hier die Feinde und werden als Psychopathen dargestellt, die machen, was sie wollen, weil sie es können, d. h. sie missbrauchen ihre Gaben ohne Rücksicht auf andere. Nach Außen hin spielen sie die großartigen Beschützer der Menschen, doch bricht die schöne Fassade zusammen, erweisen sie sich als verantwortungslose Raufbolde und Perverse, die Freude daran haben, andere zu quälen.
Dies wird auch deutlich gezeigt in Bildern, die vor der hässlichen Wahrheit nicht zurückschrecken, selbst wenn ab einem bestimmten Punkt (männliche Geschlechtsteile) immer Schluss ist. So ist der Held A-Train nach dem Tod von Hughies Freundin nur um seinen Ruf besorgt, er und seine Kameraden schikanieren die neue Kandidatin für die berühmte Gruppe The Seven, indem Starlight erst gewisse Dienste leisten muss, bevor sie aufgenommen wird, die Teenage Kix verbringen ihre Freizeit mit Gruppensex und misshandeln nicht selten ihre Gespielinnen usw.
Allerdings verwischen sich die Grenzen zwischen Gut und Böse gleich zu Beginn der Serie: Billy hat Spaß daran, seine Vorgesetzte durch Sex zu demütigen. Das Weibchen schlachtet ihre Opfer regelrecht ab. Frenchie rastet regelmäßig aus und scheint dann unberechenbar. Allein Mother’s Milk hat seine dunkle Seite noch nicht enthüllt, und Hughie tötet versehentlich, als er angegriffen wird, weil er seine neuen Kräfte noch nicht kennt. Das macht ihn zwangsläufig zu einem Mitglied der Gruppe und zu einem Täter. Er scheint der Einzige zu sein, der die Aktionen immer mal hinterfragt und Skepsis zeigt. Rechtfertigt der Zweck wirklich die Mittel?
Natürlich wird nicht versäumt, die Weichen für die weitere Handlung zu stellen. Hughie lernt Starlight kennen, und die beiden finden einander sympathisch, ohne zu ahnen, wer der andere ist. Beide sind in ihren Gruppen die Opfer, die auf die eine oder andere Weise gezwungen werden, Dinge zu tun, die sie im Grunde verabscheuen, und das nur, weil Starlight ihren Idolen nahe sein möchte, deren wahres Wesen sie zu spät erkennt, und weil Hughie Rache üben und verhindern möchte, dass andere sein Schicksal teilen. Ein neuer Konflikt ist somit vorprogrammiert, denn werden Butch und die anderen Starlight verschonen, wenn sie zum Schlag gegen The Seven ausholen?
Und noch eine Frage stellt sich: Wenn The Boys die Superhelden im Zaum halten sollen – wer kümmert sich dann um diese CIA-Abteilung, wenn ihre Mitglieder über die Stränge schlagen?
Unschwer lassen sich die Vorbilder der hier agierenden Superhelden erkennen: Homelander verkörpert den allmächtigen Superman, nach dessen Pfeife nahezu alle anderen Helden tanzen. Black Noir ähnelt am meisten Batman, Queen Maeve entspricht Wonder Woman, A-Train ist der Flash, The Deep repräsentiert Aquaman und Jack From Jupiter den Martian Manhunter – bösartiger kann man die Justice League of America nicht parodieren. Doch auch die jugendlichen Ableger bekommen ihr Fett weg. Für die Young Americans und Teenage Kix liefern Young Justice und die Teen Titans die Vorbilder, allerdings geht es hier mehr um die Rollenverteilung als um konkrete Charaktere, d. h., man wartet mit dem arroganten Anführer auf, der am Unfehlbarkeitsyndrom leidet, es gibt die Quotenfrau, den Vorzeige-Farbigen, den Tiermenschen usw. Dabei lautet die Devise: Nomen est omen.
Die in den Original-Reihen angedeuteten Schwächen der namhaften Protagonisten werden bis ins Extrem ausgereizt, und das ist noch nicht genug. Die DC-Ikonen werden nach Strich und Faden demontiert und auf ihre schlechten Eigenschaften reduziert. Sie wirken wie junge Pop-Stars, die zu früh und ohne Anstrengung Erfolge feiern durften, mit dem plötzlichen Ruhm nicht zurechtkommen und sich einbilden, dass für sie die juristischen und gesellschaftlichen Regeln außer Kraft gesetzt wurden. Lebende Beispiele gibt es zur genüge.
Natürlich mag nicht jeder Comic-Fan seine Lieblingshelden als bizarre Karikaturen ihrer selbst sehen. Allerdings dürfte diese Klientel auch nur bedingt zu Heften der dunklen DC-Label greifen. Diese wenden sich an ein älteres Publikum, das den Superhelden-Kinderschuhen schon entwachsen ist und etwas anderes als die gängigen Motive wünscht. Die drastische Sprache und die recht harten Abbildungen sprechen überdies eher männliche als weibliche Leser an.
Vordergründig mag die Serie die sattsam bekannten Klischees parodieren, doch wer hinter diese unterhaltsam-böse Fassade blickt, der bemerkt die unverhohlene Kritik am Tod des American Dreams und dem Rechtsruck der USA, die seit den letzten Jahren bereit sind, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben und Mittel anzuwenden, die sie bei anderen Nationen scharf verurteilen.
„The Boys“ ist kein Comic für junge Leser und solche, die eine heile Welt bevorzugen. Was gezeigt wird und auch der makabre Humor gefallen nicht jedem. Die Seiten strotzen nur so vor Gewalt und Ausdrücken aus dem Fäkalienbereich, thematisiert werden Diskriminierung, Homosexualität, Demütigung, Vergewaltigung, Mord usw. Die Warnung auf dem Backcover ‚Achtung: nur für harte Jungs!’ mag übertrieben anmuten, doch beim Kauf dieses Bandes sollte man darauf gefasst sein, dass es Szenen mit Ekel-Faktor gibt.