Das Kovak Labyrinth
Spanien/Großbritannien 2006, Regie: Daniel Monzon, mit Timothy Hutton, Lucía Jiménez, David Kelly u.a.
Von Thomas Harbach
Spanien hat sich in den letzten Jahren mehr und mehr zu einem Mekka interessanter phantastischer Filme entwickelt, die technisch auf einem sehr guten Niveau stehen und in Bezug auf die Handlungen und bzw. die zugrunde liegenden Plots experimentierfreudig sind. Werke wie „Fragile“ haben das Geistergenre wiederbelebt und an die Tradition von „The Others“ angeknüpft. Mit „Open your Eyes“ und „Sie sind unter uns“ haben die Spanier mit wenigen tricktechnischen Mitteln zwei überdurchschnittliche Science Fiction-Genrefilme geschaffen. „Das Kovak Labyrinth“ gehört irgendwo in die Mitte zwischen Science Fiction-Thriller und den Paranoia-Filmen der Agentenwelt. Der Klappentext spricht von einem düsteren Mysterythriller im Stile David Cronenbergs und wird mit dieser Klassifizierung der Arbeit im Grunde nur in der ersten Szene gerecht.
David Norton ist Autor von phantastischen Romanen. Er fliegt zusammen mit seiner Freundin nach Mallorca zu einer Schriftstellerkonferenz. Während seine Freundin schläft, arbeitet er an seinem neuen Buch. Wenige Reihen vor ihm sieht er einen Mann, aus dessen Bauch ein lebender Saugrüssel mit einem Laptop verbunden ist. Anscheinend füttern dessen Gedanken den Computer, der unverständliche, fremdartige Zeichen niederschreibt. David Norton wacht plötzlich auf, er hat alles nur geträumt und im Manuskript seines neuen Buches niedergeschrieben. Angeekelt von der eigenen Phantasie löscht er den Text. Auf der Insel verläuft alles zu Beginn harmonisch. Die Menschen hören seinem Vortrag zu und ein alter Mann bittet ihn, seinen ersten Roman ein zweites Mal zu signieren. Der alte Mann hält den Thriller für seine bislang beste Arbeit, während David Norton eher verächtlich auf die Ansprüche seiner Fans herunterschaut. Es stellt sich kurze Zeit später heraus, dass Norton mit seinen Bemerkungen den Gastgeber beleidigt hat. Niemand anders als der alte Mann. Norton macht seiner Freundin einen Heiratsantrag. Auf ihrem Hotelzimmer finden sie eine Diskette. Norton schiebt diese in den Computer und sieht entsetzt zu, wie sich ein kleiner Affe in einem Glaskäfig selbst den Schädel einrennt. Plötzlich merkt Norton, dass seine Freundin nicht mehr im Zimmer ist. Sie hat sich aus unerklärlichen Gründen vom Balkon gestürzt, während sie einen Augenblick früher noch nach dem Handy gegriffen hat. Sie liegt mit schweren Verletzungen im Krankenhaus. Im gleichen Zimmer liegt eine andere junge Frau, die sich ebenfalls aus dem Fenster des Zimmers einer Zufallsbekanntschaft gestürzt hat. Eine Markise hat ihren Todessturz aufgehalten. Sie kann sich an nichts mehr erinnern. Nachdem Nortons Freundin gestorben ist und die junge Frau sich selbst aus dem Krankenhaus entlassen hat, wird sie von einem Fremden in ihrem Zimmer überfallen und mit einer Spritze gelähmt. Anscheinend will der Mann etwas von ihr. In letzter Sekunde kann sie entfliehen. Sie sucht David Norton auf, um ihn zu überzeugen, dass seine Freundin keinen Selbstmord gemacht hat. Irgendetwas Geheimnisvolles geht auf der Insel zu und auf der Suche nach Antworten verbindet sich die schreckliche Realität immer mehr mit der Fiktion in David Nortons erstem Roman.
„Das Kovak Labyrinth“ ist einer der im Grunde nostalgisch altmodischen Thriller, welche den Zuschauer mit einer Idee zu schockieren suchen, die inzwischen von der Wirklichkeit überholt worden ist. Insbesondere John Frankenheimers „Botschafter der Angst“ und Jonathan Demmes Remake „The Manchurian Candidate“ haben bewiesen, dass erstens die Manipulation des Individuums eine Idee ist, welche das Militär ohne Rücksicht auf ethische Fragen bis über die Grenze des Erträglichen hinaus ausprobiert und zweitens, dass es unwahrscheinlich ist, einen der besten Forscher auf diesem Gebiet aus den eigenen Klauen freizugeben, damit er seine Ideen auf einer einsamen Insel in die Tat umsetzen kann. Schon der spektakuläre Aufbau – der Zusammenhang zwischen den Auftaktszenen und der eigentlichen Prämisse zeigt sich erst am Ende des überhastet inszenierten Showdowns - erfordert die Koordination einer militärischen Organisation. Darum wäre es auch effektiver gewesen, eine Geheimdienstorganisation als Schattengegner mit in die geradlinige Handlung zu integrieren und den alternden Wissenschaftler als Zweifler an seinem eigenen Werk zu etablieren, der auf einem komplizierten Weg den Kontakt mit der einzigen Person sucht, die ihm in seiner persönlich ausweglosen Situation helfen kann. Den Schriftsteller Norton, der vor vielen Jahren schon einmal über diese Idee geschrieben hat. Die nächste Frage, welche sich dem Zuschauer stellt, ist, ob es nicht effektiver gewesen wäre, alle potentiellen Opfer auf einen Schlag zu erledigen und damit die Öffentlichkeit zu schockieren. In routinierter Thrillertradition wird der Zuschauer zusammen mit den beiden Protagonisten – dem Schriftsteller und der jungen Frau, dargestellt von Lucia Jimenez – auf den spektakulären Plot vorbereitet. Auf dem Weg dahin laufen sie verschiedenen falschen Spuren hinterher und ihr Leben wird an zwei Stellen – rückblickend unnötigerweise – bedroht. Löst sich der Zuschauer von dieser auf der oberflächlichen Ebene nicht immer befriedigenden Handlungsebene und betrachtet die Erfahrungen des David Norton als Hauptbestandteil eines menschlichen Experiments, wirkt der Film stringenter und überzeugender. Von der Landung auf der Insel bis zu seinem Abflug wird er beobachtet und wie eine Ratte mit Impulsen in eine bestimmte Richtung gejagt. Er selbst ist sich dieser Manipulation nicht bewusst. Alle Versuche, die Kontrolle über das eigene Schicksal wiederzugewinnen, sind Bestandteile eines größeren Plans. Selbst der Mord am Schöpfer scheint – da er zumindest dialogtechnisch gegen Nortons Willen erfolgt – Bestandteil des Masterplans, des zukünftigen Meisterwerks zu sein. Als wolle das Schicksal ihm zeigen, dass selbst sein literarisches Vorgehen im Grunde sinnlos ist und die Menschen per se zu Laborratten skrupelloser Geheimdienst degradiert worden sind. Insbesondere aus der zweiten Perspektive macht der gut inszenierte Thriller deutlich mehr Sinn. In einer Welt mit der militärischen Präsenz der Geheimdienste, der Jagd nach neuen, unbekannten Waffen und vor allem den Gehirnwäschen, denen sich potentielle Selbstmordattentäter auf dem Weg ins Paradies unterwerfen, wirkt Kovaks Idee wie auch seine Bühne erstaunlich altbacken. Der Film hätte auch deutlich mehr aus der Prämisse eines Fremden in einem fremden Land machen können. Immerhin kommt der Amerikaner Norton scheinbar das erste Mal nach Mallorca. Nach sehr kurzer Zeit findet er sich erstaunlich schnell auf der Insel zurecht und einiges an potentiellem Konfliktmaterial wird durch diese Anglisierung der Insel verschenkt. Viele sehr gute Filme – siehe auch Nicolas Roegs „Don´t look Now“ beziehen einen großen Teil ihrer inneren Spannung aus der Isolation der Figuren in einem fremden Land und fragwürdigen Helfern. In „Das Kovak Labyrinth“ weiß der Zuschauer sehr schnell, dass Huttons Begleitung die gleichen Absichten hat wie der Schriftsteller und sie zu einer Notgemeinschaft zusammengeschweißt sind. Einige Aspekte des modernen Paranoia-Kinos zusammen mit einer kraftvolleren, entschlossen- warnenden Botschaft hätten aus dem soliden Film „Das Kovak Labyrinth“ einen Geheimtipp werden lassen.
Der Film lebt aber, sehr positiv gesprochen, von seinen sehr soliden Schauspielern. Timothy Hutton agiert auf einer soliden Ebene zuverlässig. Zu Beginn des Films wirkt er ein wenig arrogant, in erster Linie wegen seines zurückliegenden Erfolgs. Er liebt seine neue Freundin und das schöne Leben. Ist sich aber auch seiner Schwächen als Schriftsteller bewusst. Impliziert fühlt er immer noch den einen großen Roman in sich, den er bislang nicht schreiben konnte oder durfte. Dass ihm ausgerechnet Kovak die Möglichkeit gibt, ein solches Buch voller persönlicher Erfahrungen zu verfassen, ist eine der überzeugenden ironischen Wendungen des Films. Mit Lucia Jimenez in der Rolle der einen unbewussten Selbstmord überlebenden jungen Frau hat Hutton eine ausdrucksstarke, charismatische, aber nicht modellhaft schöne Spanierin an seiner Seite. Auch wenn sie zumindest in einer Situation von Hutton vor einem weiteren Selbstmord gerettet werden kann – trotz der Effektivität der Inszenierung wirkt die Szene wie eine Hommage an die Hitchock-Thriller, in denen die auch nicht immer charismatischen Helden zumindest einmal die Dame in Bedrängnis retten müssen – ist sie eine eigenständige Persönlichkeit. Während Norton mehr und mehr an seinen eigenen Roman erinnert wird, behält sie das Gesamtszenario mit einer erstaunlich einfachen, aber nicht simplen Logik im Auge. Gleich zu Beginn des Films wird sie als erlebnislustige junge Frau gezeigt, die in der Lage ist, auf ihren eigenen Beinen zu stehen. Am Ende rettet sie sich aufgrund einer Last Minute Idee selbst. David Kelly als Kovak geht in seiner Rolle am ehesten auf. Gleich zu Beginn des Films liefert er sich verschmitzt devot ein verbales Duell mit dem arroganten Norton, wiegt ihn in Sicherheit, um dann systematisch seine Welt und im Grunde seine Existenz zu zerstören. Wenn er schließlich aus ihm ein Wrack gemacht hat, beginnt er ihn auf eine perfide Art und Weise wieder aufzubauen, in dem er sein Leben als potentielles Meisterwerk anbietet. In der Mitte des Films kommt es zu einer zweiten Unterhaltung zwischen Kovak und Norton. In dieser versucht der Schriftsteller seinen Antagonisten lächerlich zu machen, in dem er ihn als überdrehten Schurken in der Tradition eines „James Bond“-Bösewicht in sein neues Buch einarbeiten möchte. Kovak ist seine Rolle in diesem Thriller im Grunde egal. Er hat Krebs und nur noch wenige Monate zu leben. Am Ende des Films kommt es zur letzten Begegnung der beiden sehr ungleichen Menschen, die aber mehr verbindet, als es auf den ersten Blick den Anschein hat. Kovak weiß, dass es gewonnen und gleichzeitig verloren hat. Er fordert von Norton einen schnellen Tod, dieser wird zum anfänglich verwehrt. In einer der enttäuschenden Szenen des Films folgt Norton schließlich aus einem Impuls heraus Kovaks Wunsch und zeigt damit deutlich, dass er in diesem psychologischen Duell verloren hat. ER bleibt die Ratte in Kovaks unsichtbaren Labyrinth und trotz seines vom Krebs geschwächten Körpers wirkt Kovak souveräner und unnahbarer. Es ist erstaunlich, wie David Kelly mit kleinen Gesten, mit seiner brüchigen Stimme und seinem ausgezehrten Körper die Leinwand beherrscht. Obwohl er von den drei Hauptdarstellern die wenigsten Szenen hat, ist er immer präsent. Insbesondere wenn man sich den Film ein zweites Mal mit der Kenntnis des Plots ansieht, erkennt man das Netz, das der brillante, skrupellose Wissenschaftler gesponnen hat. Neben den drei Hauptdarstellern sind insbesondere die Nebenrollen mit unterschiedlichen Charakteren zufrieden stellen besetzt worden.
Daniel Monzon hat zusammen mit Jorge Guerricaechevarria das Drehbuch des gelungenen Thrillers mit Science Fiction-Elementen geschrieben. Monzon führt auch Regie. Im Vergleich zu den modernen actionorientierten Quasi Science Fiction Filme hat sich Monzon zuerst auf die Inszenierung eines im Grunde nostalgisch anmutenden klassischen Krimithrillers konzentriert. Dabei wechselt die Kamera zwischen einigen wenigen schönen Landschaften Mallorcas und den oft futuristischen modernen Gebäuden mit ihrer Sterilität wie dem Flughafen. An einigen Stellen gelingt es Monzon allerdings nicht, seine Spielfreude im Zaum zu halten. So wäre der Selbstmordversuch Lucia Jimenez deutlich effektiver, wenn er die Szenerie nicht wie in einem Setzkasten konstruiert hätte. In der zweiten Hälfte des Films nutzt er eine der Attraktionen der Insel – ein Höhlenlabyrinth – hervorragend aus, um seinen Showdown zu inszenieren. Die Musik von Roque Banos unterstützt gut die laufende Handlung und erinnert an die vielen italienischen Giallos, der in ihrer Spätphase in den siebziger Jahren auch Horror- und Science Fiction-Elemente in ihre vielschichtigen, manchmal unnötig komplizierten Handlungen integrierten.
Alles in allem betrachtet ist „Das Kovak Labyrinth“ ein unterhaltsamer Thriller, der zum Nachdenken über das Forschungsobjekt Mensch anregt. Der aber – um es treffend zusammenzufassen – angesichts der gegenwärtigen Realität noch zu sehr an der Oberfläche bleibt und handlungstechnisch an einigen Stellen deutlicher tiefer hätte gehen können und müssen. Stellenweise hat der Zuschauer das Gefühl, als scheue sich der Drehbuchautor Daniel Monzon, dem Regisseur Daniel Monzon eine wirklich gruselige Geschichte in die Kamera zu schreiben. Obwohl in dem Film fast einhundert Menschen ums Leben kommen, ist der Streifen nicht sonderlich blutig. Einige Szenen sind sehr unheimlich und in ihnen spielt Monzon sehr gut mit den Ängsten der Zuschauer. Insbesondere im Vergleich zu „Botschafter der Angst“, der immerhin vierzig Jahre vor „Das Kovak Labyrinth“ gedreht worden ist, wirkt der Film mit einer sehr ähnlichen Prämisse zu sehr kommerziell getrimmt.
E-M-S hat „Das Kovak Labyrinth“ in einer Einzel-DVD-Fassung mit einigen sehr interessanten Extras versehen auf den Markt gebracht. Neben dem Originaltrailer und dem eher wenig aussagekräftigen Musikvideo findet sich ein Making Of und ein kurzes Feature „Bei den Dreharbeiten“, die sich beide sehr gut ergänzen und einen Eindruck von der Arbeit an dieser im mittleren Segment budgetierten Produktion geben. Der Film selbst wird erfreulicherweise im Format 2.35:1 präsentiert. Die Farben sind satt und kräftig, das Bild ohne Störungen und der Dolby Digital-Ton auf beiden Tonspuren – es gibt eine deutsche und eine englische Spur - sehr kräftig. Die Mischung aus den Dialogen und Hintergrundgeräuschen sowie der Musik ist gut abgestimmt.
DVD-Facts:
Bild: 2,35:1 (anamorph / 16:9)
Ton: deutsche Dolby Digital 5.1, deutsch dts, englisch Dolby Digital 5.1
Untertitel: deutsch
DVD-Extras:
Making of, Behind the Scenes, Musikvideo, Trailer, Bildergalerie