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Hoffmann, Oskar: Unter Marsmenschen (Buch)
Oskar Hoffmann
Unter Marsmenschen
Verlag Dieter von Reeken, Paperback, 274 Seiten, 27,50 EUR, ISBN 978-3-940679-10-9
Von Thomas Harbach
Mit Oskar Hoffmanns direkter Fortsetzung zu „Mac Milfords Reisen im Universum“ schließt der Kleinverlag seine Reihe mit den phantastischen Veröffentlichungen Oskar Hoffmanns ab. Insgesamt umfasst sein bislang verifiziertes Werk neben einigen sekundärliterarischen Titeln insgesamt acht phantastische Kurzgeschichten und Romane. Der vorliegende Text sollte nicht mit der ersten gleichnamigen Geschichte aus Oskar Hoffmanns Feder verwechselt werden. Diese durchschnittliche Arbeit hat Dieter von Reeken in seiner Sammlung „Phantastische Novellen“ nachgedruckt. In seinem ausführlichen Vorwort geht der Herausgeber neben biographischen Anmerkungen auch auf die von Heinz Galle in dem von ihm zusammengestellten ersten Sammelband mit den Abenteuern des Luftpiraten ein. Die Ähnlichkeiten technischer Natur – in Bezug auf die Raumfahrzeuge – und fiktiver astronomischer Thesen – der so genannte tote Punkt zwischen Erde und Mond – sind zu frappierend, als das man sie ignorieren kann. Zumindest hat zumindest einer der bislang unbekannten Autoren der populären Serie Oskar Hoffmanns Romane gekannt. Ob Hoffmann selbst an der Serie mitgeschrieben hat, wird sich nicht mehr beweisen lassen. Die ersten Luftpirat Abenteuer fallen allerdings in eine Zeit, in welcher Hoffmann selbst noch an seinem kleinen phantastischen Werk geschrieben hat. Auch wenn der Schwerpunkt der beiden Mac Milford Romane nicht zuletzt aufgrund der Anlage der teilweise satirisch überzeichneten Charakteren auf einer deutschen Hommage an Jules Verne und seine Mondromane liegt, verfolgen sie handlungstechnisch das bekannte Muster der Lieferungsromane mit mehr oder minder kurzen Episoden, in denen eine Gefahr heraufbeschworen und schließlich erfolgreich beseitigt wird. Mit diesem Schema folgt Hoffmann fast sklavisch seinem Vorbild Jules Verne, auch die Vorbereitung des ersten Flugs zum Mars ist ausgesprochen detailliert und teilweise weltfremd. Nur der exzentrische Mac Milford – ein Westentaschengenie, das im Grunde auf jede Frage schon im Vorwege die richtige Erfindung ausgearbeitet hat – führt die Mitreisenden mit seiner nassforschen, teilweise allerdings auch Besserwissenden Art auf den Pfad der Tugend zurück.
Zu Beginn des Buches nähert sich Oskar Hoffmann allerdings sehr phantasievoll dem „Star Trek“-Universum. Er will sich zusammen mit seinem Diener zum Mars beamen lassen. Das Experiment wird aller Welt angekündigt, am Ende wird aber nur sein Diener in die Weite des Universums geschickt. Bei MacMilford versagt „Atomistikum“, ein Materietransmitter. Der Professor fällt in ein Koma und eine Handvoll entschlossener Männer will ohne weitere Vorkenntnisse Mac Milfords Raumschiff ausrüsten und den armen Diener vom roten Planeten abholen. Rechtzeitig wacht der Professor wieder auf, führt die Expedition zum Mars, in der Hoffnung seiner Königin Viktoria und seine britischen Heimat – obwohl MacMilford Schotte ist – eine neue Kolonie hinzuzufügen. Beim Mond und den Seleniten hat es im ersten Band sehr gut geklappt. Wieder erweisen sich allerdings die Amerikaner als die eigentlichen Schurken. Sie stellen nicht nur MacMilfords Erfindung auf der Erde und verhindern, dass man den Flug seines Raumschiffs weiter beobachten kann, sie machen dem britischen Imperium auch die mögliche neue Kolonie zwischen den Sternen inklusiv deren Bewohner streitig.
Bei einer näheren Betrachtung von „Unter Marsmenschen“ zerfällt der Roman – wie für den Lieferungsroman typisch – im Grunde in drei große Teile. Der Katalysator für die Reise zum Mars und der mit zahlreichen Gefahren verbundene Flug bilden den ersten Teil des Buches. Die Landung auf dem Nachbarplaneten und die schwierige Kontaktaufnahme mit den Marsianern bilden den Mittelteil des Buches. Im letzten Drittel erreichen die irdischen Kolonialstreitigkeiten auch den Mars und die Menschen versuchen in ihrer Arroganz und ihrem Egoismus ohne Rücksicht auf die Gastgeber ihre Macht zu demonstrieren und ihre pathetische Kleinstaatlerei auf die eher naiven Marsianer zu übertragen. Auch wenn Mac Milford im vorliegenden Band von den aggressiven Amerikaner provoziert wird – die allerdings von den Marsianern im Gegensatz zu den Briten mit Wunderwaffen á lá H.G. Wells vernichtet werden - zeigen seine Eingangsäußerungen, dass er trotz seiner Darstellung als weltfremder Forscher und Wissenschaftler das britische Imperium über die Kolonien stellt und deren Ausbeutung durchaus gutheißt. Oskar Hoffmann verzichtet allerdings mit der frühen Vernichtung des amerikanischen Raumschiffs auf ein spannendes und interessantes Plotelement. Wahrscheinlich fühlte er sich als Schriftsteller überfordert und wollten den Pathos seiner Geschichte nicht zerstören, indem er zwei politische Systeme – Monarchie und Demokratie – vor der auf griechischen Idealen, die es in dieser Form nur in der Heldendichtung gegeben hat, basierenden Marsgesellschaft aufeinander treffen ließ. Im ersten Drittel des Bandes sind die Amerikaner schon als eigentliche Schurken, Diebe und Feinde der mit ihrer Geschichte wachsenden europäischen Nationen entlarvt worden.
Im Vergleich zum Gesamtroman widmet der Autor der Reise zum roten Planeten mit gut einem Drittel des Buchumfangs erheblichen Handlungsraum. Auch in Jules Vernes Roman „Von der Erde zum Mond“ lässt sich dieses Ungleichgewicht feststellen - wie Verne verpackt Oskar Hoffmann für die reife Jugend wissenschaftlich fundierte Informationen, im Gegensatz zum Franzosen unterbricht Hoffmann sogar den Handlungsbogen und fügt ein gesondertes Kapitel ein. Wie in Vernes Romans gehören die Reisen alle der Oberschicht an. Vom Ingenieur über den Offizier bis zum hochdekorierten MacMilford. Dadurch hat Oskar Hoffmann ein wenig Raum, zu Beginn der Geschichte die gesellschaftliche Etikette und die teilweise ein wenig überzeichnete Arroganz der oberen Klasse aufs Korn zu nehmen. In vielen Jules Verne Romanen dient als Mittler zum Leser ein einfacher Arbeiter und bodenständiger Charakter, nicht selten sogar ein Jugendlicher. Die beiden Mondromane Vernes zeichnen sich durch die protzig proletarische Art der Mitglieder des Baltimore Kanonenclubs aus, die zwar inzwischen zu einem erheblichen Wohlstand gekommen sind, aber nicht alle können ihre Wurzeln in der Arbeiterschicht gänzlich ablegen. Die Figuren Hoffmanns wirken insbesondere zu Beginn des Buches – bis auf den Hans-Dampf-in-allen-Gassen Mac Milford – steif und eindimensionale gezeichnet. Ihre emotionalen Ausbrüche sind übertrieben dargestellt und teilweise wirken ihre Monologe lehrbuchartig und nicht natürlich. Diese Schwäche gleicht Oskar Hoffmann durch eine Reihe von Einfällen während der Reise aus, die sich nicht sonderlich groß von Vernes „Von der Erde zum Mond“ unterscheiden. Der größte Unterschied liegt im Fahrzeug selbst und der daraus notwendig gewordenen aktiven Steuerung des Marsflugs im Vergleich zum von einer riesigen Kanone abgeschossenen Projektils in Vernes Werk.
Auf dem Mars selbst werden die Reisenden von der Erde höflich, aber distanziert empfangen. Wie so oft insbesondere in der phantastischen Literatur vor dem Ersten Weltkrieg handelt es sich bei den Bewohnern des roten Planeten in diesem Fall um menschliche Wesen, deren Kultur deutlich älter und damit automatisch deutlicher weiser ist, als die der Bewohner der Erde. Wie viele Science Fiction Schriftsteller geht auch Oskar Hoffmann aufgrund der staubigen Oberfläche davon aus, dass der Mars viel länger intelligentes Leben getragen hat, das sich aber im Gegensatz zu einigen anderen Romanen wieder auf die profane Ebene der Menschen zurückbewegt. Zu den fragwürdigsten Passagen des Romans gehören zum einen die Vernichtung des amerikanischen Raumschiffs durch die Marsianer, dem Mac Milford und seine Freunde zu sehen und später der Selbstmord einer Marsianerin, weil sie sich in den Menschen getäuscht hat. Es ist schon erstaunlich, wie kühl und emotionslos Oskar Hoffmann diese Passagen beschreibt und das Verhalten der kleinen Reisegruppe um den ergrauten Professor Mac Milford niemals in Frage stellt. In diesem Punkt unterscheidet sich insbesondere „Unter Marsmenschen“ auch am meisten von Jules Vernes Geschichten. Mac Milford ist nicht nur der greise Forscher, sondern im Grunde ein Opportunist, welcher im Vergleich zu Vernes kritischer Haltung allem Machtmissbrauch und grenzenloser Technikgläubigkeit gegenüber genau weiß, auf welcher Seite sein Brot gebuttert ist. Seine Reisen dienen nicht nur reinen Forschungsidealen, sondern vor allem dem Königreich und damit expliziert seiner Person neue Reichtümer zuzuführen. Diese benötigt Mac Milford in erster Linie für seine privaten Forschungen. Mit diesen negativen Zügen nähert sich der vorliegende Roman auch am ehesten Hoffmanns Geschichten wie „Der Goldtrust“ , „Die Eroberung der Luft“ oder „Die Bezwinger der Natur“, in denen er skrupellosere Wissenschaftler beschreibt als zum Beispiel Daiber - dessen gesetzte Herrschaften wirken immer wie lustige Großväter auf großer Fahrt - oder den schon angesprochenen Verne. Seine Protagonisten scheitern nicht selten an den ihnen gestellten Aufgaben - auch Mac Milford erringt im Grunde einen Pyrrhussieg, denn erstens funktioniert seine Atomistikum nicht und zweitens kehrt er im Vergleich zum ersten Buch mit leeren Händen zurück. Zumindest in diesen Punkten ist Oskar Hoffmann einen Zug nihilistischer, wenn auch nicht realistischer geworden.
Auf dem Mars selbst werden die Menschen in Isolationshaft gehalten, die sie gleichzeitig dazu nutzen, mehr über den Planeten und seine Bevölkerung zu erfahren. In einem fast wissenschaftlichen Exkurs listet Oskar Hoffmann schließlich die kulturellen, sozilogischen und religiösen Unterschiede zwischen Menschen und Marsianern auf. Dabei sind seine Ideen der künstlichen Befruchtung genauso interessant wie seine Hypothese, die Marsianer entsprächen in etwa den Kommunisten mit ihrem Allgemeingutgedanken und vor allem dem fehlenden Geld. Alle wichtigen Materialen werden gegebenenfalls getauscht und die Bevölkerung aus einem Pool auf einem erstaunlichen hohen Niveau versorgt. In diese Richtung geht auch seine These, dass der Staat die Jungen und Mädchen besser als die eigenen Eltern erziehen kann. Nur sind seine Schule anscheinend Internate und die Kinder werden den Eltern fast gänzlich entzogen. Politisch verfügt der Mars über einen Präsidenten, mit der Monarchie ist laut eigenem Bekunden aufgeräumt worden. Ein erstaunlicher Widerspruch zu der Tatsache, dass insbesondere Mac Milford ein glühender Anhänger der konstitutionellen Monarchie ist und seine Erschließungen seiner Königin widmet. Energie wird in erster Linie dank dem Pseudoelement „Pan“ gewonnen und zwar in unbegrenzter und kostenloser Menge. Die klassischen Energieträger wie Kohle und Erdöl sind schon verbraucht worden. Erstaunlicherweise verfügen die Marsianer nicht über die Möglichkeiten der Raumfahrt, können sich aber gegen „Invasoren“ wehren. Es sind diese kleinen Widersprüche, die eine genaue Lektüre von Oskar Hoffmanns zum Teil der pedantisch vorgetragenen Thesen, welche die Ebene des Unterhaltungsromans verlassen und zu sehr an sekundärliterarische Belehrung erinnern. Zumindest handelt es sich aber bei den Bewohnern des vierten Planeten um Genussmenschen, welche den Sport genauso schätzen wie die Musik.
Das am meisten überraschende Element der zweiten Hälfte des Buches ist die Art des fast subversiven Gedankenaustauschs zwischen den Menschen und den Marsianern. Immerhin gelingt es ihnen aus einer Position der Schwäche heraus die Landung des amerikanischen Raumschiffs zu verhindern. Hoffmann nutzt diese Idee nicht, um das egoistische Verhalten der Menschen mittels der Satire zu entblößen, es scheint ihm darum zu gehen, vor der aggressiven amerikanischen Politik zu warnen und zumindest impliziert das Bündnis mit England zu suchen.
Betrachtet man Hoffmanns Gesamtwerk, so spielen viele seiner Geschichten nicht in Deutschland und haben keine deutschen Protagonisten in ihrem Mittelpunkt, aber die Unterschiede zwischen seinen preußischen Figuren und insbesondere den Engländern sind vernachlässigbar. Der vorliegende Text lässt sich relativ schnell umschreiben und schon hat man einen preußischen Offizier, einen sächsischen Reporter und schließlich einen ergrauten Berliner Wissenschaftler vor sich, die mit naiven Sendungsbewusstsein die Untertanen-Mentalität zu den Sternen tragen. Aus heutiger Sicht ist insbesondere die politische Prämisse des Romans von beeindruckender Naivität, zwischen den Zeilen zeigt sie allerdings, wie wenig Oskar Hoffmann zumindest literarisch von anderen Völkern gehalten hat. Dass seine Helden schließlich aus dem kollektiven Arbeiterparadies Mars fliehen müssen, ohne ihre Erschließungsfahne für Königin Viktoria dazulassen, widerspricht zwar den bis dahin aufgestellten Prämissen, ist aber zumindest übertrieben kurzweilig geschrieben worden. Mit dem Tod Mac Milfords - überraschend nebensächlich geschrieben - endet die Geschichte um dessen Weltraumfahrten.
Beide Roman gehören sicherlich in seinem kleinen Werk zu den farbenprächtigsten und auch heute noch lesenswertesten Arbeiten. Auch wenn er seine Mitmenschen aus der vordergründigen Perspektive des Engländers kritisiert, entspricht diese mehr einem Piesacken als den naiven Versuchen á lá „Der Goldtrust“ den verschiedensten Nationen einen Eulenspiegel vor das Gesicht zu halten. Die beiden Mac Milfords Romane wirken auch deutlich mehr für die reifere Jugend geschrieben als seine wirtschaftlich-politischen Werke wie den schon erwähnten „Goldtrust“ . Seine Charaktere erleben richtige, handfeste Abenteuer, aus denen sie sich mit unterschiedlichen Geschick und nicht immer gänzlich der Eigeninitiative retten können. Sein Verlag hat Oskar Hoffmann den Ehrentitel eines Deutschen Jules Vernes verliehen, wahrscheinlich zu große Vorschußlorbeeren, aber mit dem vorliegenden Buch kommt er diesem Titel ein ganzes Stück näher.
Nach mehr als einhundert Jahren wirken einige Passagen des Romans herrlich naiv, insbesondere aber Oskar Hoffmanns technische Vorhersagen - sehr geschickt aufgespalten in die hier beschriebenen Errungenschaften der Marsianer und das eher technische Wissen Mac Milfords - sind erstaunlich akkurat, wenn er auch nicht in die Verlegenheit kommt, sie weiter auszuführen. „Unter Marsmenschen“ gehört zu den besseren Mars-Erzählungen dieser Zeit, lässt sich eher mit Alfred Daibers Geschichten um den Weltensegler vergleichen als Kurd Lasswitz Epos „Auf zwei Planeten“.
Herausragend ist allerdings wieder die Mühe, die sich Dieter von Reeken mit seiner Neuauflage gemacht hat. Neben dem Abdruck der Titelbilder und einigen wenigen Zeichnungen findet der Leser ein informatives, kurzweiliges Vorwort des Herausgebers, das ihn in die Zeit und das Werk Oskar Hoffmanns einführt. Ein krönender Abschluss dieser sehr guten und mit dem vorliegenden Band sehr wahrscheinlich abgeschlossenen „Kollektion Hoffmann“.
hinzugefügt: November 25th 2007 Tester: Thomas Harbach Punkte: zugehöriger Link: Dieter von Reeken Verlag Hits: 4036 Sprache:
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