Alison Croggon
Die Gabe
(The Gift)
Aus dem australischen Englisch übersetzt von Michael Krug
Titelbild: F. Fiedler
Bastei-Lübbe, Dezember, Paperback, 492 Seiten, 12,95 EUR, ISBN 978-3-404-28514-3
Von Carsten Kuhr
Jahrzehnte ist es her, da wurde die Barden-Festung von Pellinor überfallen und geschleift. Die Zirkelmitglieder wurden von Untoten und Werwölfen getötet, nur eine Bardin und ihre Tochter überlebten das Gemetzel. In einer dunklen Feste wurden sie eingekerkert und versklavt.
Nach dem frühen Tod der Mutter ist Maerads Leben von Leid und Grausamkeit geprägt. Nur ihrer Gabe, gut mit Tieren umgehen zu können und ihrem Ruf, allen die ihr weh tun Böses anhexen zu können, verhindert das Schlimmste.
Während andere Sklavinnen nach ihrem Tageswerk müde ins Bett sinken, allenfalls noch kurz und brutal missbraucht werden, darf Maerad die Nacht über die versoffene Gesellschaft ihres Fürsten mit ihrer Laute und Liedern unterhalten.
Verfolgt, ausgegrenzt und gedemütigt ist sie am Ende ihrer Kräfte, als sie einem Mann im Kuhstall begegnet, den außer ihr anscheinend niemand zu sehen vermag. Cadvan, einer der berühmtesten Barden der sieben Königreiche, ist es gelungen aus den Kerkern der Diener des Namenlosen zu fliehen. In Maerad glaubt er, die Verheißene gefunden zu haben, nicht nur die Erbin Pellinors sondern auch die einzige Kraft, die es mit dem wiedererstarkten Namenlosen aufnehmen kann. Doch zunächst heißt es, die Sklavin zu befreien und ihre magischen Barden-Kräfte zu wecken und auszubilden. Auf ihrem Weg zu den Lehranstalten der langlebigen Barden werden sie von Werwesen, Untoten und Grabunholden verfolgt, stoßen auf Verbündete und Geheimnisse ebenso, wie auf erbarmungslose Gegner und Verrat. Entsetzt müssen sie erkennen, dass selbst einige der hehren Barden vom Namenlosen korrumpiert wurden und als schwarze Barden ihre Überlieferung, den Menschen zu dienen, abgeschworen haben.
Ihr Weg führt sie über dunkle Wälder in vergessene Reiche, sie begegnen Elementaren ebenso wie verlorenen Völkern und treffen auf einen weiteren Überlebenden aus Pellinor ...
Tolkienesque Fantasy-Epen gibt es mittlerweile wie Sand am Meer. Jeder Verlag versucht, mit seinen Werken die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich zu ziehen. Entsprechend lesen sich die Verlagsanpreisungen überschwänglich und reißerisch. Kaum mit der Lektüre begonnen aber, trennt sich die Spreu nur zu bald vom Weizen. Nur wenige der so überschwänglich gelobten Trilogien können den Ansprüchen, etwas wirklich Eigenständiges, etwas auf irgendeine Weise Herausragendes zu präsentieren. gerecht werden.
Alison Croggons Auftaktband ist ein solch rares Juwel.
Die Grundidee ist dabei nicht eben neu - vor Jahrhunderten wurde das Böse, ein gefallener Zauberer (hier Barde genannt ) unter großen Verlusten bezwungen. Nach Generationen, in denen die Menschen in Frieden und Wohlstand leben konnten, hat sich die Situation nun zum Schlechteren gewandt. Die in Aussicht gestellte Macht, ja, das vom Bösen verheißene ewige Leben korrumpiert die Reihen der Wächter, das ultimativ Böse regt sich erneut und nur eine geweissagte Retterin, die sich weder ihrer Rolle noch ihren unentwickelten Kräfte bewusst ist, kann das Verhängnis aufhalten.
Das kennen wir aus unzähligen Romanen, das liest sich in aller Regel nett, aber eben auch mit einem hohen Wiedererkennungswert.
Was Coggons Auftaktband, der für zwei Aurealis-Awards nominiert wurde, aus der Masse der entsprechenden Werke hervorhebt, das ist die Ausgestaltung ihrer Welt. In liebevollen Details und einem sehr bewusst und feinsinnig eingesetzten Stil berichtet uns die Autorin in der sehr gelungenen Übersetzung von Michael Krug von ihrem Weltengefüge. Der dem Buch beigegebene Anhang zeigt auf, wie viel Planung und Hintergrund in die Schöpfung ihrer Welt eingeflossen ist.
Dazu kommt, dass die Lyrikerin und Verfasserin von Opernlibretti es versteht ,uns ihre Welt begreifbar und anschaulich zu machen. Sei es, dass sie uns von den Problemen ihrer Protagonistin berichtet, die diese hat, als sie als Junge verkleidet im Stehen ihr Geschäft verrichten will, oder die monatlich wiederkehrenden Blutungen sie auf der Queste plagen, sei es, dass sie uns überzeugend erläutert, welche Pflanzen zum Heilen oder für die Küche dienlich sind, das wirkt realitätsnah.
Die Darstellung der Natur in all ihrer Vielfältigkeit und Pracht, aber auch deren unangenehmen Seiten, ist eines der Pfunde, mit den Croggon wuchert.
In fast schon lyrisch zu nennender Ausgestaltung beschreibt sie Wälder und Auen, Sümpfe und Gebirge und schafft auf diese Weise eine sehr intensiv empfundene Atmosphäre, die den Leser in ihre Welt zieht. Dazu gesellen sich interessant gezeichnete Personen, die an sich und ihrer Mission zweifeln, die sich weiterentwickeln und nachvollziehbare Gefühle offenbaren. Es geht um Verrat und Vertrauen, Liebe und Angst, Neid und Freundschaft und nicht zuletzt um Verlust und Trauer – tiefe Gefühle in einer Welt, in der Gefühle einen hohen Stellenwert einnehmen.
Bei all der gebotenen Dramatik aber bleibt das Werk in seiner Ausgestaltung wohltuend unspektakulär. Große Schlachtengemälde, ausufernde Beschreibungen von blutigen Kämpfen sucht man glücklicherweise vergebens. Coggon pflegt die leisen, manches Mal melancholischen, aber immer erstaunlich neugierigen Töne, nimmt uns mit und durch ihre detailreiche Welt und ihre sympathischen Personen gefangen und macht neugierig darauf, wie es weitergehen wird.