Marvel Exklusiv 70: Civil War – Der Tod eines Traums
Paul Jenkins, Brian M. Bendis, Ramon Bachs, Marc Silvestri u. a.
(Civil War: Front Line 11 – Embedded, Part 11, Captain America 25 – The Death of the Dream, Civil War: The Initiative 1 – The Initiative, Civil War: The Confession 1 – The Confession 1 2, Civil War: Front Line 7 – 9 – Untitled, 2006/07)
Aus dem Amerikanischen von Michael Strittmatter
Titelillustration von Alex Maleev
Panini Comics, 2007, Paperback, 132 Seiten, 14,95 EUR (als als HC erhältlich, 20,00 EUR)
Von Irene Salzmann
Die Storyline „Civil War“ strebt nach vielen schockierenden Ereignissen ihrem Ende und einem wahren Knaller als Höhepunkt entgegen. Regelmäßige Leser kennen die Geschichte:
Ein Einsatz der New Warriors endete mit einem Desaster. Um Ähnliches in Zukunft zu vermeiden, hält die Regierung es für die beste Lösung, dass sich alle Superwesen registrieren lassen und ausschließlich dem Staat dienen. Zu denjenigen, die das neue Gesetz befürworten, gehört Iron Man - und bei seinem Gegenspieler handelt es sich um niemand geringeren als Captain America, der in dieser Maßnahme einen Angriff auf die Menschenrechte und die Freiheit sieht.
Jeder muss sich entscheiden. Die Folge ist ein Krieg zwischen beiden Fraktionen, der viele tragische Opfer fordert. Schließlich ist es Captain America, der alle dadurch überrascht, dass er aufgibt, denn ein Kampf gegen Freunde, gegen unbeteiligte Menschen, gegen sein Land hatte er nie im Sinn gehabt. Nur wenn alle zusammen halten, können sie gegen die wahren Feinde bestehen. Gemeinsam mit seinen Mitstreitern wird die lebende Legende inhaftiert und soll vor Gericht geführt werden.
Unterdessen haben die Journalisten Ben Urich und Sally Floyd im Trüben gefischt und Erstaunliches herausgefunden. Sie konfrontieren Iron Man alias Tonys Stark mit einer Wahrheit, die das Geschehen in einem Unheil schwangeren Licht erscheinen lässt. Wie lange wird Tony Stark mit dieser Last auf seinem Gewissen leben können, vor allem, nachdem sein langjähriger Freund Captain America alias Steve Rogers einem Attentat zum Opfer fiel?
Vordergründig bietet der Story-Arc „Civil War“, der sich durch nahezu alle Marvel-Serien zog, eine actionreiche, dramatische Handlung, die jeden Leser in ihren Bann schlug. Mussten in den ‚Prequels’ schon etliche Helden ihr Leben lassen, so sind nun weitere Sympathieträger gefallen – nicht mehr von der erste Garde, denn übertreiben dürfen es die Autoren nun auch wieder nicht, aber nach Hawkeye und anderen Avengers kamen die New Warriors und einige bekannte Namen mehr auf die Abschussliste. Man wagte es sogar, sich an einer Ikone zu vergreifen: Captain America ist tot.
Diese Figur, die vor allem in den USA beliebt ist, während das Publikum in anderen Ländern eher wenig mit den überaus patriotischen Geschichten, die sich um sie ranken, anfangen kann, gilt als ein Symbol, das immer wieder Nachahmer fand. Nicht nur Marvel sondern auch DC, die Image-Studios usw. schufen vergleichbare Charaktere, die in den jeweiligen Serien den ‚American Dream’ repräsentierten, für das Gute, Gesetz, Ordnung und die Freiheit standen.
Der ‚American Dream’ jedoch ist ausgeträumt seit jenem furchtbaren Anschlag auf das World Trade Center, das in der amerikanischen Politik zu einem deutlichen Rechtsruck führte, der viele Veränderungen brachte. Die Individualität des Einzelnen wird zunehmend beschnitten; die Menschenrechte und die Freiheit stehen bloß noch auf dem Papier. Wer sich den USA nicht vorbehaltlos anschließt, ist automatisch gegen die USA und wird als Quasi-Feind betrachtet.
Genau diese Entwicklung findet sich eingebettet in „Civil War“. Zwischen den Zeilen üben die Künstler unmissverständlich Kritik an dieser aggressiven Politik, die nicht mehr zwischen Freund und Feind unterscheidet, die mit Präventivmaßnahmen und Gewalt ihre Ziele durchsetzen will, die für sich Rechte beansprucht, die sie anderen Staaten nicht zugesteht, die die Meinung und Belange der Bevölkerung und des Einzelnen ignoriert – kurz: die die eigenen Gesetze und Ideale mit Füßen tritt.
So muss schließlich auch Captain America sterben. Sein Traum ist tot. Das Land, das er liebte und für das er immer wieder sein Leben riskierte, existiert nicht mehr. Und das ist zweifellos erst der Beginn, denn noch schlimmere Konsequenzen sind zu erwarten. Sind Tür und Tor für Unrecht und Willkür erst einmal geöffnet worden, ist der Weg zum totalitären System nicht mehr weit, und auch andere Nationen werden von diesem Sog zwangsläufig erfasst. Diese Zukunftsvision erschreckt die Künstler, viele Leser und die übrige Welt.
Marvel greift ein sehr kompliziertes Thema auf und spricht Dinge an, die so mancher nicht hören will. Damit wirkt der Verlag meinungsbildend auf ein Publikum, das die realen Hintergründe, Zusammenhänge und Entwicklungen oft nicht durchschauen kann. Mangelhafte Bildung und blinder Patriotismus seitens der Bevölkerung sind ein fruchtbarer Boden für die Saat manipulierende Propaganda, was der Regierung sehr entgegen kommt – die Aufklärung der breiten Masse ist darum ein wichtiges Anliegen. Ob die Maschinerie, die in Gang gesetzt wurde, noch gestoppt werden und die Vernunft sich letztlich durchsetzen kann, zeigen vermutlich erst die nächsten Wahlen.
Trotz aller Kritik wird sich die Comic-Welt schon bald neuen Themen zuwenden. Ob Captain America wirklich tot ist oder auf wundersame Weise zurückkehren wird, bleibt abzuwarten. Es wäre jedenfalls nicht das erste Mal, dass eine populäre Figur nach einer Weile wiederaufersteht, eventuell mit neuem Namen und Kostüm. Gerade diese Figur hat das auch schon einige Male erlebt. Die Fans dürfen also hoffen.
Das Paperback bezieht seinen Inhalt aus vielen verschiedenen Serien, die einander mehr oder minder ergänzen. In Folge findet man einen Stil-Mix, und die Reihenfolge gemäß den Erscheinungsdaten von den Original-Ausgaben ist nicht linear (die letzten Episoden sind von 2006, die Hefte zu Beginn des Bandes wurden 2007 veröffentlicht). Das bereitet allerdings keinerlei Probleme beim Lesen, denn „Front Line“ bezieht sich nicht unmittelbar auf die übrigen Ereignisse.
Der vorliegende Comic wendet sich an Sammler, an die Fans von Captain America und jene, die zumindest den einen oder anderen Meilenstein lesen wollen. Auch wenn die Vorgeschichte eingangs zusammengefasst wird, so sind zum besseren Verständnis doch einige Vorkenntnisse notwendig, und man sollte mit den Charakteren des Marvel-Universums weitgehend vertraut sein.