Der scharlachrote Pirat
USA 1976, Regie: James Goldstone, mit Robert Shaw, James Earl Jones, Peter Boyle, Geneviève Bujold u.a.
Von Thomas Harbach
Es wird durch die Erfolge der „Fluch der Karibik“-Filme oft vergessen, wie sehr jahrzehntelang das Piratenfilmgenre als totes Geld gegolten hat. In den neunziger Jahren versuchte sich Renny Harlin mit „Die Piratenbraut“ – um in erster Linie seiner damaligen Freundin Geena Davies eine Rolle auf den hübschen Leib zu schneidern -, in den achtziger Jahren Roman Polanski mit „Piraten“. In den siebziger Jahren gab es mit „Der scharlachrote Pirat“ aus Hollywood nur einen nennenswerten Film, obwohl streng genommen die Freischärler unter dem Kommando Robert Shaws weniger klassische Räuber, als karibische Robin Hoods sind. 1976 folgte noch Sergio Sollima mit „Der schwarze Korsar“, basierend auf den populären Romanen des italienischen Karl Mays. Koch Media hat nach „Der schwarze Korsar“ jetzt auch „Der scharlachrote Pirat“ neu aufgelegt. Mit seinem leicht ironischen Tonfall erinnert allerdings „Der scharlachrote Pirat“ mehr als zufällig an Burt Lancasters „Der rote Korsar“.
Die Handlung spielt Anfang des 18. Jahrhunderts: Ned Lynch ist ein geächteter Freibeuter, der in der Tradition Robin Hoods mehr für die arme Bevölkerung tut, als für die eigene Tasche. Denn die Menschen der Südseeinsel Kingston werden von ihrem Gouverneur bis aufs Blut ausgenommen und gequält. Als ihm die Piraten wieder einen Streich spielen, eliminiert der Gouverneur seine widerborstigen Amtsträger. So wird auch Janes Vater wurde vom geldgierigen Gouverneur an den Rand des Ruins getrieben. Ned Lynch erklärt sich bereit, sowohl der Inselbevölkerung als auch Jane zu helfen. Letzteres, weil er sich in die junge Frau verliebt hat und das Interesse seiner Mannschaft zurückstellt. Er stellt dem Gouverneur eine Falle. Doch sein Plan misslingt: der Tyrann nimmt einen Teil seiner Mannschaft und Jane gefangen. Ned braucht die Hilfe der unterdrückten Bevölkerung, um Jane wieder aus den Klauen des Tyrannen zu befreien und ihn in die Hölle zu schicken.
Der Film folgt den beiden Richard Lester-Abenteuerstreifen „Die drei Musketiere“ und „Die vier Musketiere“, in denen eine sehr geradlinige, fast simple Geschichte durch Action- und Humoreinlagen auf der einen Seite aufgemotzt wird und auf der anderen Seite bekannte Schauspieler – bis in kleine Nebenrollen hinein - sehr viel Spaß mit ihren nicht unbedingt anspruchsvollen Rollen haben. Mit Robert Shaw hat man einen der großen Stars Hollywoods in den siebziger Jahren verpflichtet. Shaw gehörte zu den vielseitig einsetzbaren Mimen. Er fühlte sich sowohl in ironischen Gangsterfilmen wie „Der Clou“ wohl, als auch als der Haijäger in „Der weiße Hai“. Insbesondere in dem letzten Streifen konnte er mit seinem intensiven Minenspiel überzeugen. „Der scharlachrote Pirat“ lehnt sich eindeutig an seine Rolle in „Der Clou“ an. Insbesondere die Originaltonspur ist hier zu bevorzugen, Shaw spricht mit einem dicken, manchmal unverständlichen irischen Akzent. Auch wenn er in seinen Aktionen nicht immer souverän und wie ein verantwortlicher Piratenkapitän handelt, bewältigt er vor allem die ausgedehnte Fechtszene am Ende des Streifens souverän und überzeugend. An seiner Seite spielt ein junger, unverbrauchter James Earl Jones. Gleich zu Beginn wird dieser vom Galgen gerettet. Er entpuppt sich als Shaws Gewissen, denn er folgt seinem Instinkt und tatsächlich manchmal seinem Verstand und nicht wie Shaw seinem Herzen. Beau Bridges als dandyhafter britischer Offizier auf verlorenem Posten gelingt es sehr überzeugend, den Trottel in Uniform zu verkörpern. Leider überzieht er in einigen Szenen – am Ende, wenn er sich gegen den ehrenhaften Tod und für ein Überleben als Sekundenfeigling entscheidet – sein Minenspiel. Peter Boyle als sadistischer, aber nicht unbedingt charismatischer Schurke geht in seiner Rolle auf. Seine verschlagene Art, die Untergebenden zu tyrannisieren, ist derartig überzogen, das man diesen Bösewicht auf der einen Seite fürchten kann und sollte, aber auf der anderen Seite nicht immer wirklich ernst nehmen kann. Eine Karikatur eines diabolischen Charakters. Angelica Huston ist in einer ihrer frühesten Rollen zu sehen. Sie spielt die Schwester und wahrscheinlich den Blicken nach heimliche Geliebte des Gouverneurs, während die junge Kanadierin Bujold insbesondere zu Beginn des Films Schwierigkeiten mit ihrer Rolle hat. Erst als sie sich ein ausgezeichnetes Fechtduell mit Shaw liefert, taut ihre Figur auf. Vergleicht man vor allem den Altersunterschied zu ihrem Filmvater – auch Shaw könnte ohne Probleme ihr Vater sein -, gewinnt ihre allzu deutliche Beziehung zu Shaw an Tiefe und vor allem Überzeugung. Das sich dieser Pirat all zu schnell und vor allem all zu tief in die hübsche Frau verliebt und darüber seinen Verstand verliert, ist eine der größten Schwächen des Drehbuchs. Geoffrey Holder spielt den schräg und exzentrisch angelegten Messerwerfer Cudjo, eine Figur, die gleich zu Beginn des Films geheimnisvoll eingeführt worden ist, um dann plötzlich vergessen zu werden. Erst am Ende des Streifens ist er ohne weitergehende Erklärungen der Mittler zwischen der armen Bevölkerung, welche endlich gegen den Tyrannen rebellieren soll, und den Piraten. Diese oberflächliche Handlungsanlage macht den dünnen Plots des „Scharlachroten Piraten“ genauso angreifbar wie die unnötige Nacktszene der jungen Bujold, die erotischperverse Folterszene Bridges und schließlich die Badeszene zwischen dem Gouverneur und seinem jungen Lustsklaven. Diese dunklen Stellen des Drehbuches werden – für eine Komödie – zu sehr betont, für einen Actionstreifen zu oberflächlich behandelt. Insbesondere, da Teile des Scripts wie für ein jugendliches Publikum geschrieben wirken, während die Bilder selbst dunkler wirken und teilweise eine eindeutig sadistische Tendenz beinhalten.
Was für den Film spricht, sind sie vielen und rasanten Actionszenen. Insbesondere der Sprung von der hohen Klippe, die vorangehende Verfolgungsjagd über die Dächer der armseligen Siedlungen und die Degenduelle zwischen Bujold/Shaw und in dem langen Endkampf. Boshaft ließe sich argumentieren, dass immer wenn geschwiegen wird, der Film an Leben gewinnt. Insbesondere der Kontrast zwischen den teilweise unlustigen Dialogen – zu Beginn des Streifens versuchen sich Jones und Shaw an Limericks, bevor sie die Kutsche des Gouverneurs überfallen – und den dann folgenden, von Goldstone sehr routiniert inszenierten Szenen ist teilweise haarsträubend. „Der scharlachrote Pirat“ gehörte sicherlich nicht zu den Low Budget-Produktionen Hollywoods. Das Piratenschiff – da es keine Seeschlachten gibt, das einzige Schiff des ganzen Films – ist der Nachbau des Segelschiffes, mit dem Sir Francis Drake einige Jahrhunderte vorher auf den Weltmeeren unterwegs gewesen ist. Die Explosion der Festung am Ende des Films ist eindrucksvoll und vor allem überzeugend gedreht worden. Dass nur ein gezielter Schuss mit einer Bombe ins Waffenarsenal für die Vernichtung
ausreicht ist dagegen Wunschgedanke des Drehbuchs.
Neben der guten Optik und den schönen Sets fällt noch der Soundtrack von John Addison positiv auf. Insbesondere in den Actionszenen belebt er das Geschehen ungemein und treibt die Handlung voran. Alles in allem ist „Der scharlachrote Pirat“ nicht so schlecht, wie ihn vor allem die damalige Kritik hingestellt hat. Es ist ein typischer Feelgood-Hollywoodstreifen mit der Betonung auf den romantischen, wenn auch nicht unbedingt glaubwürdigen Elementen. Der größte Teil der Schauspieler fühlt sich pudelwohl und sie können wie die Kinder nach Herzenslust agieren und mehr als einmal überagieren. Die eigentliche Handlung ist sehr einfach gestrickt und basiert mehr als einmal auf dem Prinzip Zufall. Diese Schwäche wird vor allem durch eine schnelle Abfolge rasanter und gut inszenierte Actionszenen ausgeglichen. Insbesondere im Vergleich zu Roman Polanski „Piraten“ überzeugt der Streifen.
Koch Media hat dem Film allerdings eine wunderbare Digitalisierung und Restaurierung angedeihen lassen. Das ist vor allem erkennbar, wenn man sich die beiden Trailer – deutscher und englischer – auf der DVD ansieht. Die Farben sind kräftig und das 2.35: 1 Format zeigt, wie sorgfältig der Kameramann gearbeitet hat. Die Schärfe und der Kontrast sind für einen Film dieses Alters sehr gut und auch die zahlreichen Nachtszenen überzeugen. Die beiden Tonspuren sind etwas weniger überzeugend. Insbesondere bei der deutschen Spur sind die Dialoge klar verständlich, während die Musik ein wenig dumpf – eine Schande bei diesem schönen Soundtrack – daherkommt. Der englische Soundtrack leidet nicht nur in Shaws irischem Akzent, sondern die Dialoge sind deutlich dumpfer, als die Hintergrundkulisse. Zu den Extras gehört neben den schon erwähnten Trailer die sechzehneinhalbminütige Super 8-Fassung des Films. Heute nur noch aus nostalgischen Gründen ansehenswert, insbesondere allerdings nicht untertitelt worden ist. Es hat mehr den Charakter eines Werbefilms, gibt aber einige kurze Einblicke hinter die Kulissen. Die Bildergalerie besteht wieder aus seltenem Werbematerial durch das unmögliche Format. Weiterhin wird ein kurzes Making of hinzugefügt, das, während das Booklet sich ein wenig zu neutral liest. Hier wären hintergründigere Informationen zu dieser für Hollywood ja ungewöhnliche Produktion lesenswert gewesen. Koch Media hat sich wieder bemüht, trotz des für einen Film der siebziger Jahre spärlichen Hintergrundmaterials das Optimale dem „Scharlachroten Piraten“ auf seiner Reise durch die karibischen Gewässer mitzugeben.
DVD-Facts:
Bild: 2,35:1 (anamorph / 16:9)
Ton: deutsch Dolby Digital 2.0 Mono, englisch Dolby Digital 2.0 Mono
DVD-Extras:
Making of, Booklet, Super 8-Fassung