Tödlicher Segen
USA 1981, Regie: Wes Craven, mit Sharon Stone, Susan Bruckner, Ernest Borgnine u.a.
Von Thomas Harbach
Mit „Deadly Blessing” legt Koch Media Wes Cravens dritten Kinofilm zum ersten Mal in einer restaurierten und ungekürzten Fassung - eine weltweite Premiere - auf DVD auf. Wer angesichts von Cravens brutalen und berüchtigten frühen Filmen („Last House on the Left” (1972) und „The Hills have Eyes”(1977)) an ein ähnliches Blutbad denkt, wird enttäuscht. In späteren Jahren wird sich Craven von seinen zornigen Exploitationfilmen distanzieren. In „Deadly Blessing” versuchte er sich das erste Mal in leiseren Zwischentönen, indem er den Kampf einer Frau gegen einen religiösen Kult beschreibt. Rückblickend auf seine über dreißig Jahre lange Karriere mit sehr vielen Höhepunkten - aber auch Abgründen - zeigen sich seine Stärken wie auch Schwächen in diesem Streifen.
Der Anfang gehört wie immer zu den Stärken Wes Cravens. Möglichst schnell ein Ausrufezeichen setzen und sich dann entsprechend Zeit nehmen, die Geschichte weiter zu extrapolieren. Im Vorspann werden zunächst Zeichnungen gezeigt, dann kommen schwarzweiß Fotos und schließlich Farbbilder. Sie zeigen Menschen, die sich – auf diese simple wie effektive Methode widerspruchslos ausgedrückt – selbst in der Zeit eingefroren haben. Mit der Besiedelung der neuen Welt und der Gründung ihres Glaubens haben sie aus ihrer Sicht das maximale Ziel erreicht und weigern sich impliziert, oder im Falle ihres Sprechers Ernest Borgnine expliziert, sich den Herausforderungen der modernen Welt zu stellen. Die Bilder zeigen die Menschen ausschließlich bei der Arbeit auf den Feldern. Ihre Technik hat sich nur rudimentär, fast zögerlich, weiterentwickelt. Greifbar ist ihre Angst vor dem Fortschritt und vor allem dem Verlust ihres Glaubens. Untermalt von James Horners sehr schöner Filmmusik ein stimmungsvoller Auftakt, sehr souverän geschnitten. Wenn anschließend Jim Schmidt auf seinen Traktor steigt, um auf dem Feld zu arbeiten, weiß der Zuschauer, dass etwas Furchtbares passieren wird. Eine alltägliche Arbeit wird insbesondere zu Beginn eines Wes Craven-Films zum Signal für eine schreckliche Katastrophe. Dass Schmidts Nachbarn – alle Hittites, eine Sekte, welche noch strenger orientiert ist als die Amish – ihn und seine fluchbeladenen gottlosen Maschinen verachten, macht Craven mit einigen schnellen Schnitten überdeutlich. In fast allen Wes Craven-Filmen ist der erste Charakter, welcher der Zuschauer kennen lernt, das erste Opfer des Films. Zumal Craven mehr und mehr Informationen über Jim Schmidt und seine Frau Martha offenbart. Sie haben sich früher auch den Regeln der Hittites unterworfen, schließlich aber dem Glauben entsagt und einen modernen Lebensstil angenommen. Dafür hat sie der Hittite Eltermann Isaiah verflucht. Dass Jim ausgerechnet sein Sohn ist, hat den alten charismatischen Führer – eine sehr überzeugende Darstellung des verlässlichen Ernest Borgnine – doppelt verletzt. Jim Schmidt wird von seinem Traktor überrollt und getötet. Die von den Hittite verabscheute Technik hat anscheinend wieder zugeschlagen. Nur für den Zuschauer ist es auf den ersten Blick ersichtlich, dass es sich um keinen Unfall handeln kann.
Die wahren Hintergründe bleiben aber bis zum Showdown im Verborgenen. So hecheln Cravens Charaktere dem außenstehenden Betrachter auf den ersten Metern wissenstechnisch hinterher. Um dieses Manko auszugleichen, führt das Drehbuch eine Reihe von weiteren Charakteren ein, die mehr Ähnlichkeit mit Cravens früheren Arbeiten haben, als es ihm vielleicht selbst lieb ist. In seinen späteren Filmen wird Craven das übernatürliche Element sehr viel früher und überzeugender in seine Plots einführen, in diesem Film geht es ihm in erster Linie wieder darum, eine Außenseiterfamilie zu zeigen und den Wahnsinn unter ihrer biederen gottgläubigen Hülle zu entlarven. Auch „The Hills have Eyes“ und mit der Gruppe der brutalen Folterer und Mörder auch „Last House on the Left“ verfügten über postatomare familienähnliche Verbündete. Konsequenterweise mit der religiösen Sekte tritt Craven einen Schritt von seinen absurden, teilweise überzeichnet grotesken Figuren zurück, verweist aber gleich nach dem Mord auf eine Reihe möglicher Verdächtiger. Dass in der Nähe der Schmidts nicht nur die alleinerziehende Mutter mit ihrer verschlossenen Tochter wohnt, sondern vor allem Michael Berryman als geistig behinderter Hittite sein Unwesen treibt, ist sicherlich kein Zufall. Um Spannung zu erzeugen, versucht Craven gleich zu Beginn seines psychologischen Thrillers möglichst viele, natürlich falsche Spuren auszulegen. Die Witwe Martha wird von ihren Freundinnen Vicky und Lana – eine sehr junge und noch unerfahrene Sharon Stone – besucht. In den wenigen Szenen, welche Craven der Außenseiterin und Witwe Martha gönnt, wird sie zu deutlich als Eindringling und Außenseiter charakterisiert. Es wäre sinnvoller gewesen, die beiden Freundinnen alleine als Versuchung und Test des Glaubens darzustellen. So ist es für den Zuschauer schwer verständlich, dass der göttliche Zorn erst jetzt zuschlägt und dann den Abtrünnigen mit dem Tod bestraft, während die Versuchung in Form den subtil gezeichneten „Inkubus“ verschont. Zumal schnell erkennbar wird, dass die Idee eines Rächers des richtigen Glaubens eine weitere falsche Fährte in diesem thematisch oft sehr differenziert, aber unentschlossen angelegten Film ist.
Denn augenscheinlich hat etwas Böses es nicht nur auf die jungen, modernen Frauen abgesehen, diese unheimliche Kraft macht auch vor den Hittite nicht halt. Leider tötet Craven insbesondere die Berryman-Figur viel zu schnell und schneidet sich von einer potentiellen Spur ab. Lana wird in der Scheune mit Spinnen eingesperrt. Die Szene stellt eine unnötige Bedrohung dar. Sie nimmt der später folgenden berühmten Sequenz mit der kurze Zeit gelähmten Lana die Effektivität. Wes Craven hat diese Szene allerdings so gut gefallen, dass er sie in„A Nightmare on Elm Street“ noch einmal verwandte und später in „Scream“ parodierte. Trotzdem zeigt sich in diesem Kapitel Cravens Fähigkeit, aus dem Nichts heraus eine bedrohliche Atmosphäre zu erschaffen. Der Zuschauer weiß, dass in dieser Scheune schon einige Menschen auf unheimliche Weise ums Leben gekommen sind. Schon alleine die subjektive Kamera und Horners schrille Musik erzeugen eine unheimliche Spannung und eine Gänsehaut beim Betrachter. Dass Spinnen allgemein und in diesem Fall besonders zu den unheimliche Bedrohungen gehören, wird weidlich von Craven ausgenutzt. Mit einer interessanten und packenden Kameraführung agiert er gegen den bisher eher betulichen Aufbau des Films. Die ländliche Idylle – sie wirkt wie eine Hommage insbesondere an Terrence Malicks „Day of Heaven“ – wird absichtlich für einen Augenblick zerstört. Dass hinter dem ambivalenten Verhalten der Gläubigen auch eine Art von erzkonservativem Kapitalismus steht, wird deutlich, als Isaiah die Farm zurückkaufen möchte. Das Grundstück hat der Religionsgemeinschaft gehört. Die Witwe will aus zwei Gründen nicht zurückverkaufen: einmal aus Trauer um Jim und dann aus Trotz, weil sie die Gläubigen niemals als Menschen akzeptiert haben. In diesen Szenen zeigt in erster Linie Ernest Borgnine eine Klasse als Schauspieler. Er agiert absolut glaubwürdig und furchteinflößend. Der Zuschauer akzeptiert, dass er selbst in der technisch fortgeschrittenen Zeit seine Schäfchen unter Kontrolle und isoliert halten kann. Er betrachtet seine Gemeinde als Überlebende, als letzter Hort des Glaubens in einer verruchten Zeit. Dabei kennt er auf dem Weg ins Paradies keine Gnade und opfert selbst seine Söhne, um dieses Ziel zu erreichen.
Dem Film fehlt aber ein Gegengewicht. Sharon Stone leidet unter einer eher eindimensional geschriebenen Rolle. Sie wirkt teilweise trotz ihres Aussehens überfordert und liefert insbesondere in der Originalfassung des Films ihre Dialoge statisch ab. Der Rest der Schauspieler agiert solide in ihren Rollen, hier funktioniert in erster Linie das Team und weniger das Individuum. So erkennt der Zuschauer gleich zu Beginn Douglas Barr in der Rolle des Jim Schmidt, ein inzwischen aus vielen B- Filmen vertrautes markantes Gesicht.
Das Drehbuch selbst ist genauso unentschlossen wie seine Hauptdarstellerin.
Verschiedene Ideen – nicht alle originell, aber teilweise insbesondere in „Der einzige Zeuge“ wieder aufgegriffen – und Plots werden bunt zusammengemischt. Das reicht vom dem klassischen Gruselanfang über Ansätze eines Slasherfilms bis zum Religionsdrama. Dieses greift immer wieder, wenn Schafe aus Isaiahs Herde auf den Weg der Versuchung geführt und dafür bestraft werden. Da sich dieses Subplotelement ein wenig zu oft wiederholt und vor allem die übergeordneten Handlungsbögen in den Hintergrund gedrängt werden, wirkt „Tödlicher Segen“ insbesondere im Mittelteil nach dem spannenden und effektiven Auftakt schwerfällig und spröde. Damit wird die Jagd nach dem Mörder in den Hintergrund gedrängt.
Schaut man sich den Film nach vielen Jahren wie zur DVD Veröffentlichung ein weiteres Mal mit der Kenntnis des Killers und seines Motivs ein weiteres Mal an, fällt auf, wie impliziert und geschickt Wes Craven zwar Hinweise auf den Täter, aber nicht sein Motiv im Verlauf der Handlung versteckt hat. In dieser Hinsicht ein solide inszenierter Psycho-Thriller und keines seiner vorhergehenden brutalen Exploitationwerke. Leider macht der Regisseur den Fehler, dem eigentlichen Plot noch einen unverständlichen Epilog hinzuzufügen, welcher das Gesehene nicht nur konterkariert, sondern teilweise negiert.
Trotz dieses schwachen Ende ist „Tödlicher Segen“ insbesondere für Wes Cravens Fans eine Fundgrube. Neben den schon erwähnten ersten Fingerübungen verwendet er eine weitere Idee - ein Mädchen schläft in der Badewanne und eine Schlange bedroht sie – , welche Craven nicht nur abgewandelt in „A Nightmare on Elm Street“ benutzt, sondern auch in seinem unterdurchschnittlichen Fernsehfilm „Summer of Fear“.
Technisch gehört „Tödlicher Segen“ zu den ersten wirklich überzeugenden Arbeiten Wes Cravens, inhaltlich natürlich deutlicher am Mainstream orientiert und nicht so provozierend. Der Film hält allerdings noch keinen Vergleich zu seinen späteren Werken wie „A Nightmare on Elm Street“ und „Scream“ sowie teilweise „Das Haus der Vergessenen“ stand. Wes Cravens Versuche, den perfekten Horrorthriller zu drehen, sind deutlich zu erkennen. Er hat – wie es sich für einen guten Filmemacher gehört – die guten effektiven Szenen später wieder aufgenommen und verfeinert, die Handlungsstrukturen seiner zukünftigen Filme deutlicher komprimiert und die Ideen positiv für den Filmplot reduziert. Das Gerüst ist allerdings schon gut zu erkennen.
Koch Media präsentiert den Film in einer ungeschnitten restaurierten Fassung. Wer jetzt viel Blut und Gore erwartet, wird enttäuscht. In erster Linie sind fehlende Dialogpassagen wieder hinzugefügt worden. Die Bildqualität dieser Low Budget-Produktion aus dem Jahre 1981 ist überraschend gut. Die Schärfe und die Farben sind überzeugend, nur an einigen Stellen wirken einige Passagen ein wenig zu weich. Die Tonspuren sind klar, insbesondere die Originalspur ist empfehlenswert. Außer der restaurierten Fassung weist die DVD keine weiteren Extras auf.
DVD-Facts:
Bild: 1,85:1 (anamorph / 16:9)
Ton: deutsch Dolby Digital 2.0 Stereo, englisch Dolby Digital 2.0 Stereo