Personal Paradise
Melanie Schober
Carlsen, 2008, Taschenbuch, 180 Seiten, 6,00 EUR, ISBN 978-3-551-78744-6
Von Irene Salzmann
In der nahen Zukunft ist die Kluft zwischen Arm und Reich noch größer geworden. Arbeitslosigkeit, Verzweiflung und Gewalt prägen das Leben der breiten Masse, die kein angenehmes Dasein in abgeschotteten Bezirken führen kann. Die Jugendlichen haben sich zu Banden zusammengerottet, die von den Söhnen und Töchtern der Reichen geleitet werden. Nur wer sich unterordnet, tätowieren lässt und seinen Teil dazu beiträgt, dass Schwache und Außenseiter ausgemerzt werden, hat später eine Chance, für eine Arbeit empfohlen zu werden.
Die Schülerin Anna will bloß in Ruhe gelassen werden, aber da keine starke Gruppe hinter ihr steht, wird sie regelmäßig von Bianca und deren Freundinnen schikaniert. Unerwartet greift Julian ein und rettet Anna. Wenig später bewahrt er sie ein weiteres Mal vor zudringlichen und Gewalt bereiten Jungen. Ihre Dankbarkeit und ihr Mitleid will Julian nicht, doch Anna bleibt hartnäckig und bewegt ihn schließlich dazu, ihr seine traurige Geschichte zu erzählen.
Julians Aktion und seine Freundschaft zu Anna erregen prompt den Unwillen der Gangs. Die West Side würde diesen beeindruckenden Kämpfer gern in ihren Reihen haben, und Nico von der North Side wird von seiner rachsüchtigen Freundin Bianca bedrängt, Julian zu einem Duell herauszufordern. Obwohl Nico nicht gegen seinen alten Freund vorgehen will, muss er auf sein Image achten. Er entführt Anna, um Julian zu zwingen, sein Versteck zu verlassen. Diese Gelegenheit will die West Side Gang nutzen, um Nico zu erledigen…
„Personal Paradise“ wirkt wie ein Mix aus „Shadowrun“ (Megaplexe, die von Konzernen beherrscht und von diversen Gangs terrorisiert werden), „West Side Story“ (Rivalitäten zwischen der West Side und North Side Gang inklusive einer Romanze), „Bishop“ (SF-Miniserie von Marvel, in der tätowierte Mutanten um ihre Rechte kämpfen) und typische Manga-Themen (wie man sie z. B. aus „Vitamin X“, „Galism“ oder „Peach Girl“ kennt: Schule, First Love, Mobbing, Depressionen).
Unter Benutzung eines Endzeit-Szenarios, das durch humorige Einlagen, Romantik, Sex, ein wenig Action und Intrigenspiele aufgelockert wird, übt die Künstlerin Kritik an bestehenden Verhältnissen: Wer Geld und Macht hat, sorgt für sein eigenes Wohlergehen ohne Rücksicht auf andere. Die breite Masse wird manipuliert, gewaltsam unterdrückt und ausgebeutet. Nur wer sich dem skrupellosen System unterwirft, hat – vielleicht – eine Zukunft. The survival of the strongest schafft eine fragwürdige Elite, die diese Methode weiter nutzen und noch mehr pervertieren wird.
Reale Beispiele findet man zur Genüge: Die Politik wird von der Wirtschaft kontrolliert. Gesetze werden von den Reichen und Mächtigen erlassen, die auf diese Weise legitimieren, dass sie sich selber regelmäßig ihre Bezüge und Diäten erhöhen und steuerliche Schlupflöcher nutzen können, während der Bevölkerung Nullrunden bei den Löhnen, zusätzliche Abgaben und Belastungen aufgebürdet werden. Vor allem BAFÖG-Empfänger, Rentner und Arbeitslose sind die Leidtragenden, da sie keine Lobby haben. Lehrer – nicht die Eltern - entscheiden darüber, welches Kind eine weiterführende Schule besuchen darf. Hohe Studiengebühren und Auswahlverfahren lassen immer weniger Hochschulabsolventen zu, so dass die Reichen und Mächtigen die Elite stellen. Der breiten Masse wird zunehmend der Zugang zur Bildung erschwert, wodurch sie leichter zu manipulieren ist.
Diese Aussagen stehen natürlich nicht im Vordergrund, denn der Oneshot wendet sich an junge Leser und Leserinnen ab 13 Jahren, die sich für gängige Konflikte und vage SF-Elemente interessieren und in erster Linie unterhalten werden wollen. Die kindlichen Seitenhiebe gegen das Boys Love-Genre erfreuen all jene, die diesem Angebot an Titeln für ältere Leserinnen keine Toleranz entgegenbringen.
Weiterführende Interpretationen sind einem reiferen Publikum vorbehalten. Es wird auch kein Allheilmittel angeboten, wie der geschilderten Misere beizukommen ist. Letztlich ist jeder für sich selber verantwortlich, für die Wahl seiner Freunde und ob er wie ein Lemming den anderen in den Abgrund folgt oder den harten Weg wählt, gegen den Strom zu schwimmen, sobald er das System durchschaut hat.
Auf den ersten Blick hin wirkt „Personal Paradise“ schon aufgrund der niedlichen Protagonisten, die hippe Klamotten tragen und mit viel Liebe zum Detail in Szene gesetzt werden, wie ein typischer Manga für Teenies, bei dem sich alles um Schule, die erste große Liebe, Mode usw. dreht. Wer nicht zu der augenscheinlichen Zielgruppe gehört und dem Band dennoch eine Chance gibt, wird angenehm überrascht, dass trotz der vordergründigen, schon sattsam bekannten Motive eine zweite Ebene existiert, die Gesellschaftskritik übt.