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Higgins, F. E.: Das schwarze Buch der Geheimnisse (Buch)
F. E. Higgins
Das schwarze Buch der Geheimnisse
(The Black Book of Secrets)
Aus dem irischen Englisch übersetzt von Herbert und Ulli Günther
Oetinger, 2008, Hardcover, 288 Seiten, 16,90 EUR, ISBN 978-3-7891-3709-9
Von Carsten Kuhr
Ludlow Fitch ist ein armer Tropf. Seine Eltern haben ihren Kummer und die Sorgen schon seit Jahren im Rum ertränkt, ihr Sohn schafft durch seine Diebstähle das nötige Kleingeld für den hochprozentigen Trank des Vergessens heran. Doch die Sucht hat seine Eltern fest in den Krallen. Nie bringt er genug Schillinge mit nach Hause, nur Schläge und Hunger erwarten ihn.
Dann versuchen seine Eltern, ihn selbst zu Geld zu machen. Ein Zahnarzt bezahlt gutes Geld für frische, gesunde Zähne. Fast bewusstlos gelingt es dem Jungen, seinen Eltern zu entfliehen. Vor einer heruntergekommenen Spelunke hängt er sich an eine abfahrende Kutsche, die ihn ins nahe gelegene Dorf Pagus Parvus mitnimmt.
Doch er ist nicht der Einzige, der mitten in der Nacht im Dorf eintrifft. Joe Zabbidou, ein Pfandleiher der besonderen Art, richtet sich dem alten Hutladen ein und nimmt sich des Jungen an.
Schon bald bemerkt Ludlow, dass sein Wohltäter eine ganz besondere Pfandleihe betreibt. Für wertlosen Plunder bezahlt er Phantasiepreise, um Mitternacht empfängt er die Bewohner des Dorfes und erwirbt ihre finstersten Geheimnisse. Ludlow, der von seinem ehemaligen Hehler schreiben und lesen gelernt hat, muss die Geständnisse im schwarzen Buch der Geheimnisse niederschreiben. Das in dickes Leder gebundene Werk ziert der in goldenen Lettern geprägter Satz „Verba Volant Scripta“ - Gesprochenes vergeht, Geschriebenes besteht.
Im Verlauf der nächsten Wochen und Monate lernt er die bislang sorgsam gehüteten Geheimnisse der Bewohner des Dorfes kennen. Sei es, dass der Leichengräber im Auftrag des habgierigen Grundbesitzers sich der Leichenschänderei schuldig gemacht hat, dass der Fleischer seinen despotischen Vater vergiftet hat, der Arzt sich als Quacksalber entpuppt, der Sargmacher beim Gattenmord mithilft oder die Buchhändlerin ein seltenes Werk nur durch Gewalt an sich bringen kann, nichts bleibt dem Pfandleiher verborgen.
Immer dringender werden die Hilferufe der geschundenen Bewohner an Zabbidou, ihnen gegen den das Dorf auspressenden Jeremiah Ratchett beizustehen. Als Eigner der Häuser treibt dieser die Mietpreise in nicht mehr bezahlbare Höhen, Wucher, Erpressung, kaum eine Untat, der sich Ratchett nicht schuldig macht. Wie heißt es so treffend, Jeremiah Ratchett weiß von Allem auf der Welt den Preis, aber nicht den Wert.
Sosehr ihn die Bewohner auch drängen, Zabbidou vertröstet sie ein ums andere Mal, wenn sie ihn bitten, dem Treiben Ratchetts ein Ende zu bereiten. Er wartet so lange, bis sich die öffentliche Stimmung gegen ihn und seinen Schützling richtet und die verzweifelte Meute auf der Suche nach einem Schuldigen den Pfandleiher angreift ...
Als Schwerpunkttitel bei Oetinger in diesem Buchfrühjahr wird dem Debütroman der irischen Autorin F. E. Higgins besondere Aufmerksamkeit zuteil.
Was ist dies aber für ein Werk, das mit großem Werbeaufwand an die Leser gebracht werden soll?
Selbigen erwartet eine Handlung, die von seiner Ausstrahlung her ein ganz klein wenig an Dickens „Oliver Twist“ erinnert.
Ein junger, von seinen Eltern grausam missbrauchter Junge steht im Zentrum unseres Interesses. Ohne zunächst ins Detail zu gehen - erst im Verlauf des Buches erfahren wir in kleinen Einschüben mehr von unserem Erzähler - berichtet die Autorin uns von dem zunächst gänzlich undurchsichtigen Vorgehen des Pfandleihers. Warum dieser sich als Wohltäter der verarmten Dörfler aufspielt, warum er an den kleinen und großen Geheimnissen der Bewohner überhaupt interessiert ist, bleibt zunächst verborgen. Durch seine unlogisch hohen Preise für wertlose Pfänder gelingt es den Schuldnern, sich Luft zu verschaffen. Ist das Ziel also, den gnadenlosen Kredithai zu strafen? Man könnte es annehmen, wenn Zabbidou nicht passiv bliebe. Und was will er mit den dunkelsten Geheimnissen der Menschen?
Diese ungelösten Fragen machen das Buch unheimlich spannend. Welche Motive lauern hinter den Taten, diese Frage beschäftigt uns bis zum Finale.
Daneben sind es die lebensecht gezeichneten Menschen, die das Buch aus der Masse der Veröffentlichungen herausheben. Durch die nächtlichen Beichten lernen wir die Menschen hinter ihrer Fassade kennen, die sie sonst nicht der Welt zeigen. Hier offenbaren sich Schicksale, Träume und Ängste. Das berührt den Leser innerlich, das zeigt uns, welche Abgründe sich hinter den oft nur mühsam aufrechterhaltenen Fassaden auftun. Dabei haben wir oft Mitleid mit den Geständigen, verzeihen den reuigen Sündern, nehmen Partei und verstehen eben darum umso weniger, warum Zabbidou selbst nicht aktiv ins Geschehen ergreift. Bis zum überraschenden Schluss bleibt das Mysterium erhalten, faszinieren die vielschichtigen Charakterstudien.
Auch das gediegene Äußere des Buches mit Spotlackierung, und einem tollen geprägten Titelbild heben das Werk aus dem Novitäten-Allerlei heraus, so dass ein Bestseller vorprogrammiert zu sein scheint.
hinzugefügt: March 18th 2008 Tester: Carsten Kuhr Punkte: zugehöriger Link: Verlag Friedrich Oetinger Hits: 2777 Sprache:
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