Im Banne des Dr. Monserrat
GB 1967, Regie: Michael Reeves, mit Boris Karloff, Elizabeth Ercy, Catherine Lacey u.a.
Von Thomas Harbach
Mit „The Sorceres” legt e-m-s im Rahmen seiner Edition „Der Phantastische Film”, die sich bislang vornehmlich auf das britische Horrorkino konzentriert, den mittleren von den nur drei im Kino gezeigten Filmen vor, welche Michael Reeves in den sechziger Jahren drehte. Reeves starb mit nur 25 Jahren an einer Überdosis Medikamente, bis heute ist nicht abschließend geklärt, ob es sich um eine irrtümliche Überdosis oder einen Selbstmordversuch handelt. Während Michael Reeves erster - mit einem kaum vorhandenen und aus eigener Tasche finanzierten Budget - in Italien gedrehter Film als kruder Horrorschocker mit einer allerdings betörenden Barbara Steele charakterisiert worden ist, gilt sein dritter und letzter Film „The Witchfinder General” mit Vincent Price in der Hauptrolle auch heute noch als verstörender, schockierender Streifen voller Sex und Gewalt. Dazwischen ist „The Sorceres” ein Streifen, welcher trotz seines bescheidenen Budgets viele Ideen des „Witchfinder Generals” vorwegnimmt. Während Reeves mit seinem letzten Streifen das Publikum zu Voyeuren einer auf historischen Fakten basierenden grausamen Jagd auf potentielle Hexen machte, die schließlich in Wahnsinn und Tod endet, sind im vorliegenden Streifen Boris Karloff als Dr Monserrat und dessen Frau Estelle die eigentlichen Voyeure.
Michael Reeves arbeitete zur gleichen Zeit an seinem Streifen, als Roman Polanski für die gleichen Produzenten und das gleiche Studio seinen ersten im Westen gedrehten Film in Angriff nahm: „Repulsion” („Ekel“). Während sich Roman Polanski nicht zuletzt aufgrund des Drehbuchs in die Isolation von Catherine Deneuves Wohnung flüchtete, um ihren inneren geistigen und späteren äußerlichen Zerfall darzustellen, ging Michael Reeves in der psychedelischen Eröffnungssequenz auf die nächtlichen Straßen Londons. Nicht nur um die Laufzeit des Films zu strecken, sondern vor allem um einen Eindruck von dem Leben in den Nachtclubs und Kneipen einzufangen. Diese Szenen sollten einen starken Kontrast zu der Isolation Monserrats und seiner Frau darstellen, die nur mittels ihrer Erfindung - erst Hypnose, dann später die Übernahme des willenlosen Geistes durch die von Monserrats erfundene Telepathiemaschine - an diesem Leben teilnehmen können.
Das Drehbuch erklärt diese Wundermaschine nicht weiter, aber die Idee, Menschen wie Puppen zu manipulieren kombiniert Reeves mit einigen verstörenden Einblicken in seine eigene Seelenlandschaft. Nicht umsonst besetzt der junge Brite die Hauptrolle des Opfers mit Ian Ogilvy, seinem Stammschauspieler, der in allen Reeves-Filmen, von den Schulprojekten bis zu seinem letzten Film, mitgespielt hat.
Im übergeordneten Kontext ist „The Sorceres“ ein Film über das Zuschauen bis zum Spannen. Während Karloff und seine Frau später erst ihrem willenlosen Opfer in dessen Innerstes schauen und ihn manipulieren, wird der Kinozuschauer von Beginn an zu einem Voyeur. Wie Reeves selbst in seinem kurzen Leben nimmt er allerdings nicht an dieser Entwicklung teil und der Regisseur bemüht sich, diese neu entstehende Subkultur vor allem in Soho nicht in ein euphorisches Licht zu stellen. Es ist erstaunlich, wie gut es Reeves gelingt, das Swinging London mit seiner Handkamera einzufangen. Während Barbet Schroeder in seinen beiden ersten Filmen Pink Floyd überreden konnte, die Musik zu schreiben, hat Reeves die Gruppe bei ihren ersten Auftritten in den kleinen Clubs London kennen gelernt. Dieser Touch fehlt dem Streifen.
Nach diesem Auftakt verbindet er die aus unzähligen Horrorstreifen bekannte Hypnose und die Nutzung von Seancen mit der betäubenden Wirkung der Drogen und der neuen Rock Musik. Reeves impliziert ein wenig, dass seine Generation aufgrund dieser neuen Einflüsse empfänglicher für Manipulationen ist, während die moralischen Schranken bei der älteren Generation leichter fallen. Dabei behält der Regisseur eine erstaunliche kritische Note bei. Mehr und mehr zeigt er seine Abscheu vor diesen oberflächlichen Fluchtszenarien - Drogen und Rockmusik - , für ihn stellt das Jahr 1968 nicht den Sommer der Liebe dar, sondern das Jahr der politischen Unruhen, des zivilen Ungehorsams.
Für den Zuschauer ist es aus heutiger Sicht verstörend, zu Beginn des Streifens in diese fast surrealistische Welt gezogen und verführt zu werden, um dann von einem Moment zum anderen einen zeitkritischen Spiegel vors Gesicht gehalten zu bekommen.
Im Verlaufe des Streifens wird Reeves mehr und mehr den Fokus auf die ältere, rücksichtslosere Generation richten, die angeblichen Autoritätspersonen, denen er vom Grunde seines Herzens an misstraut.
Er zeigt einige Ausschnitte aus Zeitungen, welche die Vertreibung Monserrats aus seinem Paradies, von seiner Universität, beschreiben. Die Telepathiemaschine ermöglicht es den beiden alten Menschen, wieder am Leben teilzunehmen und sie nutzen diese Chance mit beiden Händen. Zu Beginn beginnt Ogilvy als harmloses Vergnügen, einzukaufen, während Monserrats Frau ihn im Geiste begleitet. Später folgen Sex und Gewalt. Mit interessanten Zwischenschnitten zeigt Reeves mehr und mehr, wie die Grenzen verschwimmen. Während das Drehbuch die Monserrats noch mit einer Geschichte, einer Vergangenheit, charakterisiert, bleibt ihr Opfer eine Ziffer. Reeves gibt sich wenig Mühe, der Figur eine Historie zu geben. In seiner Naivität - beispielhaft für das ziellose Treiben der Jugendlichen, welche der vom Ehrgeiz des Filmemachens fast zerfressene nicht ertragen konnte - geht er in die Falle und erst in letzter Sekunde wacht er aus einem Alptraum auf. Der Film stellt schnell die Frage, ob Ogilvy auch eine die telepathische Manipulation mit der gleichen Emotionslosigkeit die Taten hätte begehen können.
Diese Frage beantwortet Reeves nicht offen, aber an einigen Stellen hat der aufmerksame Zuchauer das Gefühl, als vereinigen sich Ogilvys Lustempfinden und das der beiden Voyeure zu einer unheilvollen Kraft. Die Telepathiemaschine gibt Monserrat und seiner Frau eine gewaltige Macht, welche sie schamlos ausnutzen.
In seinem nächsten Film wird Reeves mit Vincent Price als Hexenjäger im Auftrag der Kirche eine ähnliche, aber noch erschreckendere Figur erschaffen, welche nach und nach seine Macht zum eigenen Vorteil ausnutzt. Im Vergleich zum „Witchfinder General” ist das Vorgehen der Monserrats trotz der blutigen Morde noch „harmlos” zu nennen.
Weiterhin stellen in allen drei Filmen Frauen eine Gefahr dar. Im ersten Streifen das geheimnisvolle She-Beast von Barbara Steele dargestellt, im letzten Film sind es die vermeintlichen Hexen und schließlich die junge Frau eines Offiziers, die von Price vergewaltigt wird und dessen Untergang hervorruft und im vorliegenden Films Monserrats Frau, welche die Grenzen der Telepathiemaschine mehr und mehr erweitert und mit ihrem Opfer Ogilvy einen willigen Sklaven - das Spektrum reicht von billigen Vergnügen wie Shopping bis im Grunde Prostitution und Mord - zur Verfügung hat. Erst als Monserrat selbst das sadistische Spiel beenden und seiner Frau Einhalt gebieten will, bricht der Bann. Anscheinend stellt für Reeves die moderne Frau - auch die Frauen des im 17. Jahrhundert spielenden „The Witchfinder General” agieren erstaunlich freizügig und aus Reeves konservativer Sicht zügellos - eine Gefahr für die alten Werte wie Familie und Glauben dar.
Im vorliegenden Film sind seine Argumente teilweise sehr schwammig und werden mit dem Druck, einen rasanten Horrorthriller zu drehen, nur andiskutiert. Trotzdem ist es interessant, festzustellen, dass Reeves Wissenschaftler und ihren Erfindungen misstraut. Nicht umsonst bezeichnet er Monserrat und seine Frau nicht nur als Verführer, sondern im Original als Zauberer. Aber Reeves stellt sich als Filmregisseur auf die gleiche Stufe wie die Monserrats. Auch er offeriert seinem Publikum Einblicke in zutiefst verstörende Seelenlandschaften. Dieses Thema zieht sich wie ein blutiger roter Faden durch alle drei seiner Filme und auch seine Arbeiten noch während der Schulzeit. Vielleicht macht das seine Streifen unabhängig von der Eröffnungssequenz so zeitlos. Dass er seine Gefühle und Ängste aufgrund des beschränkten Budgets nicht immer ausdrücken konnte, liegt auf der Hand. Aber auf einer emotionalen Ebene gehört „The Sorceres“ trotz seiner technischen Beschränkungen zu den intensivsten britischen Horrorfilmen der sechziger Jahre. Mit drastischeren und teilweise einem zu sehr im Vordergrund stehenden Exploitationansatz wird Peter Walker diese Flamme in die siebziger Jahre und eine Handvoll brutalster Filme mitnehmen.
Michael Reeves kannte sich im Kino der sechziger Jahre sehr gut aus. Die Faszination, dank des Films seiner nicht immer angenehmen Umgebung zu entfliehen, zeigt sich in allen drei Streifen. Aber im Verlaufe seiner sehr kurzen Karriere begann er, seinem Publikum den Spiegel ins Gesicht zu halten und seine voyeuristischen Tendenzen auf sie zu übertragen. Nicht umsonst entlarvt er die morbide Faszination, bei einem Unfall zu gaffen mit der letzten Szene des Streifens. In seinem folgenden Film wird er aufzeigen, dass - egal wie schrecklich die gezeigte Gewalt ist - das Zusehen zu einer Sucht werden kann.
Es ist aus heutiger Sicht erstaunlich, wie routiniert und zielstrebig der damals 23jährige Reeves diese verschiedenen Punkte miteinander kombiniert und wie er versucht, aus einem einfachen Science Fiction-Horror-Filmscript eine tief schürfende Auseinandersetzung mit dem eigenen Ich zu machen. Im Mittelteil leidet der Film teilweise unter dem ungenügenden Budget. Einige Szenen hätten eine bessere Ausstattung verdient und der zu Beginn rasante Schnitt wird auf eine Abfolge von teilweise fast gelangweilt gedrehten Szenen reduziert. Erst im letzten Drittel nimmt der Streifen wieder Fahrt auf. Für Reeves sind Gewalt und Sex alltägliche Dinge, die er ungeniert zeigt. In diesen Augenblick vereint sich der Zuschauer mit Boris Karloff und seiner Frau, um zu schauen.
Diese Idee wird fast dreißig Jahre später von Kathryn Bigelow und James Cameron in „Strange Days” wieder aufgenommen. Mit Boris Karloff stand Reeves natürlich ein charismatischer Schauspieler zur Verfügung. Karloff litt schon vor den Dreharbeiten an einer schweren Lungenentzündung. Er konnte nur im Rollstuhl sitzen. Mit intelligenten Kameraperspektiven zerstört Reeves ganz bewusst das Image des Monsters, des überdimensionalen Frankensteins. Im Gegensatz zu seinem letzten Streifen scheute sich Reeves in „The Sorceres” noch, den Schauspielern Regieanweisungen zu geben. Ihn interessierten mehr Bildkompositionen und der Schnitt. Boris Karloff spielt seine Rolle sehr überzeugend, seine körperliche Schwäche ergänzt seine Rolle als „passiver” Voyeur ausgezeichnet. Erst beim abschließenden Kampf zeigt sich, wie krank der großartige Schauspieler wirklich gewesen ist.
Catherine Lacey als seine Frau übertreibt ihre Rolle als in Versuchung geführte ansonsten eher devote geduldige Ehefrau Karloffs zu Beginn des Films ein wenig. Im Verlauf der Handlung wird sie schließlich zur Schurkin und hier gelingen ihr einige sehr schöne Szenen.
Ogilvy als Verfechter der falschen Experimente für diejenigen, welche nach seinem Ausbruch aus ihren langweiligen Leben lechzen, hat es nicht leicht, den Willenlosen zu mimen. Dank der teilweise subjektiven Kamera und den guten Zwischenschnitten unterstützt Reeves dank seiner technischen Expertise sein stoisches Minenspiel. In den ersten Szenen, als er noch mit seinem eigenen Willen durch die Nacht streift, wirkt er in der Szene wie ein Fremdkörper.
Insgesamt ist „The Sorceres” für einen Film seines kleinen Budgets gut besetzt und die Motivation der Schauspieler mit ihrem nicht immer wirklich dreidimensional geschrieben Rollen ist deutlich zu erkennen. Zusammen mit Peter Bogdanovichs „Target”, in welchem Karloff sich selbst spielte, gehört „The Sorceres” zu den sehenswertesten Filmen seiner späten Karriere. Michael Reeves mehr und mehr depressiv werdende Einstellung und die Furcht, nach einer Pause von mehreren Jahren wieder einen Film drehen zu können, entlädt sich in einer Reihe von eindrucksvollen Bildern. Ganz bewusst hat der junge Brite Regisseure wie Don Siegel oder Michelangelo Antonioni imitiert. Aber sein Film ist keine Kopie, sondern der Versuch, diese cineastischen Meister zu würdigen und gleichzeitig seine eigene Stimme zu finden. Als Stilübung für sein späteres und leider einziges Meisterwerk ist „The Sorceres” auch heute noch sehenswert. Man muss sich nur vor Augen halten, dass Reeves den Film für ein Budget von unter 100.000 britischen Pfund gedreht hat. Die Nutzung von originären Schauplätzen wie den britischen Clubs und einer originelle Farbgestaltung in den Sequenzen, welche die Darsteller unter dem Einfluss von Drogen oder Hypnose zeigen, gleichen einige aus heutiger Sicht antiquierte Szenen aus.
e-m-s hat allerdings die 82 Minuten lange Fassung veröffentlich. Ursprünglich lieferte Michael Reeves eine fünf Minuten längere Fassung mit deutlich sadistischeren und gewalttätigeren Szenen ab. Vor der Uraufführung ist der Film dann gekürzt worden. Anscheinend ist dieses Bildmaterial nicht mehr aufzutreiben. Das Widescreen Format 1.85:1 ist passend und die Farbqualität akzeptabel. Insbesondere die nachts spielenden Szenen sind gut wiedergegeben worden. Die Kontraste sind zufrieden stellend abgestimmt und die Konturen sind scharf. Es gibt in Dolby Digital 1.0 sowohl eine deutsche als auch eine englische Tonspur mit deutschen Untertiteln. Die Mischung von Dialogen und Hintergrundgeräuschen ist überzeugend. Zu den Extras gehört der Originaltrailer und eine kleine Bildergalerie. Alleine aufgrund seiner Seltenheit - der Film lief nur wenige Male im Nachtprogramm - und seinem Einfluss auf eine Reihe späterer britischer Science Fiction-Filme wie „Privileg” ist die Veröffentlichung auf DVD zu begrüßen. Es bleibt zu hoffen, dass sich e-m-s entschließt, sowohl Michael Reeves ersten Film „The She-Beast”, welcher niemals in Deutschland gelaufen ist, als auch „The Witchfinder General” in einer ungekürzten Fassung zu veröffentlichen. Auch wenn Michael Reeves nur drei Kinofilme gedreht hat, ist es ihm gelungen, die essentiellen Elemente seiner cineastischen Visionen in ihnen auszudrücken. Unter „The Sorcerers” ist der Schlüssel, um die Brutalität und Gewalt und den Nihilismus in „The Witchfinder General” in Ansätzen zu erfassen.
DVD-Facts:
Bild: 1,85:1 (anamorph / 16:9)
Ton: deutsch Dolby Digital 1.0 Mono, englisch Dolby Digital 1.0 Mono
Untertitel: deutsch
Extras:
Trailer, Bildergalerien