Mark Z. Danielewski
Das Haus – House of Leaves
(House of Leaves, 2000)
Aus dem Amerikanischen von Christa Schuenke unter Mitarbeit von Olaf Schenk
Klett-Cotta, 2007, Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen, 800 Seiten, 29,90 EUR, ISBN 978-3-608-93777-0
Von Irene Salzmann
Der Tätowierer Johnny Truant ist auf Wohnungssuche. Sein Freund Lude gibt ihm einen Tipp, und so zieht Johnny in die Räume eines blinden Alten, den man als Zampanò kannte und der kürzlich verstarb. Zufällig entdeckt Johnny in den Hinterlassenschaften seines Vormieters ein umfangreiches Manuskript, das den so genannten „Navidson-Record“ kommentiert, einen Dokumentarfilm, der nie gefunden wurde. Immer mehr verliert sich Johnny in Zampanòs Aufzeichnungen, die er, mit Anmerkungen versehen, publizieren will – und das Gesamtwerk erscheint am Ende mit weiteren Ergänzungen seitens der Herausgeber.
„Der Navidson-Record“ beschreibt die Vorgänge in einem Haus, das von Will Navidson und seiner Familie bezogen wurde. Der Kriegsfotograf hielt nicht nur alltägliche Geschehnisse mit der Kamera fest sondern auch die unerklärlichen Veränderungen, die er im Haus ständig bemerkte: Er stieß auf Räume, die gar nicht vorhanden sein dürften, die entstehen und wieder verschwinden. Die Erforschung dieser Zimmer eskaliert zu einem Horror-Trip.
Wer eine unterhaltsame Lektüre sucht, die sich auf einen Rutsch hinunter lesen lässt, wird mit „Das Haus“ nicht glücklich. Mark Z. Danielewski wendet sich mit seinem Debütwerk, an dem er sieben Jahre gearbeitet hat, an ein ganz spezielles Publikum, das weit abseits des Mainstreams experimentelle Romane sucht, die in keine Kategorie so richtig passen wollen.
Auf den ersten Blick hin bedient sich „Das Haus“ eines gängigen Motivs, das man aus dem phantastischen Film kennt: das unheimliche, lebendige Haus, das seine Bewohner vertreiben, sich einverleiben oder töten will. Vermittelt wird dies durch an Video-Clips erinnernde Szenen, wie man sie aus „Blair Witch Project“ kennt, ein Stilmittel, das die Wurzeln des Autors – er ist der Sohn eines polnischen Filmregisseurs – aufdeckt. Die Struktur des Buchs und die Erzählweise sind als Mix aus Dokumentation und Stream of Consciousness aufgebaut und lassen Anleihen aus James Joyces „Ulysses“ erahnen.
Man muss sich selbst einen Weg bahnen durch mehrere Erzählebenen – Johnny Truant, seine Mutter, Zampanò, Will Navidson, die Herausgeber -, die durch unterschiedliche Schrifttypen gekennzeichnet sind, wenn auch nicht einheitlich. Fußnoten, Zitate, Aufzählungen, Briefe, auf dem Kopf stehende oder Spiegel verkehrte Textpassagen, Auszüge aus anderen Werken in verschiedenen Sprachen, zwei Schriftfarben (Schwarz und Blau), Schwarz-Weiß-Fotos usw. versuchen, den Leser ebenso zu verwirren wie die Geschichte selbst.
Daraus ergibt sich ein gelungenes Zusammenspiel von Handlung/Inhalt und Darstellung, die selbst dann einen Blick wert ist, wenn man sich weder aus dem Thema noch aus avantgardistischer Literatur etwas macht. Was die Übersetzung ins Deutsche und die Gestaltung des Buchs betrifft, hat Klett-Cotta wirklich ein Meisterwerk geliefert.
Jeder verliert sich aus seine Weise an „Das Haus“. Es ist ein monströses Gebilde, und das Buch ist genauso, ist gewissermaßen sein Abbild. Der Leser kämpft sich durch seine Seiten („House of Leaves“ – Haus der Blätter – Blatt = Seite), die unübersichtliche Struktur, Wortspiele, abschweifenden Nebensächlichkeiten, die dann doch zum runden Bild gehören, und fragt sich irgendwann, was er glauben soll und was nicht. Ist man inzwischen völlig abhängig geworden von einem Erzähler, der einen durch die Geschichten führt, oder ist man noch fähig, sich selbst seinen Pfad zu suchen und zu entscheiden, was Sinn ergibt und was nicht, welche Informationen vertrauenswürdig sind und welche nicht?
Man sollte sich auf jeden Fall für experimentelle Literatur interessieren und viel Aufmerksamkeit für „Das Haus“ mitbringen. Wer gefälligere Lektüren vorzieht, die eine Handlung mit Hand und Fuß und sympathischen Protagonisten bieten, ist hier an der falschen Adresse.