Angela McAllister
Kinder der Gezeiten
(The Tide-Turner, 2006)
Aus dem Englischen von Petra Koob-Pavis
Titelillustration von Laura Brett
Innenillustrationen von Peter Bailey
Arena, 2008, Taschenbuch, 230 Seiten, 6,50 EUR, ISBN 978-401-50007-2
Von Christel Scheja
Zu den Wesen, mit denen schon die Kleinsten aufwachsen, gehören auch Meerjungfrauen. Wie aus dem Märchen bekannt, führen diese meistens ein harmonisches und fast gefahrenloses Leben voller Harmonie und Glück, das nur dann und wann von ein paar dunklen Wolken getrübt wird.
Es gibt aber auch Autorinnen, die mit den alten Klischees aufräumen und frische Fluten in die Welt unter dem Meer bringen. Dazu gehört auch Angela McAllister mit ihrem Roman um die „Kinder der Gezeiten”.
Muriel lebt, seit sie denken kann, mit ihrem Vater alleine in einer versunkenen Stadt am Meeresgrund. Doch sie weiß, dass früher einmal mehr gewesen sein muss. Es ist für ihre Art nicht üblich, sich so zurückzuziehen, und ihr Vater verschließt sich immer, wenn sie entsprechende Fragen nach ihrer frühen Kindheit und ihrer Mutter stellt.
Aber nun hält sie sich für alt genug, um selbst herauszufinden, was vor einigen Jahren passiert ist. Sie will endlich Antworten auf ihre brennenden Fragen.
Nur mit ein paar Erinnerungsstücken ausgestattet, macht sie sich heimlich auf den Weg. In der Weite des Ozeans begegnet sie Jake, einen Menschenjungen, der dem Tode nahe ist. Dennoch ist irgendetwas an ihm, was sie dazu veranlasst, ihm das Leben zu retten und ihn auch später vor den Gefahren des Meeres zu schützen. Nicht nur, dass er unter Wasser atmen kann - sie spürt auch, dass sein Schicksal auf irgendeine Weise mit dem ihren verbunden ist.
Hat er mit den Wesen aus der Tiefe zu tun, die sie schon so lange verfolgen? Oder haben es die gefährlichen Räuber eher auf Muriel abgesehen? Mit Hilfe eines riesigen Rochens, der sie schneller durch die Fluten tragen kann, stoßen die beiden Kinder in Regionen des Meeres vor, die sie bisher nicht kannten und kommen so einem ebenso düsteren wie erstaunlichen Geheimnis auf die Spur.
Angela McAllister benutzt bekannte Versatzstücke, die man auch aus dem Mythen und Legenden kennt, fügt sie aber zu einem ungewohnten Bild zusammen, dem man so noch nicht begegnet ist. Zwar liegt auch hier eine Suche nach der Wahrheit zu Grunde, aber die Gefahren werden nicht verniedlicht, sondern sehr real dargestellt.
Nicht alle Meereswesen sind freundlich, zuvorkommend und nett, sondern haben durchaus ihre Vorurteile wie die Blutflossen, ein nordischer Meeresstamm, der Menschen hasst und verabscheut. Nach und nach entdeckt Muriel die Hintergründe einer Verschwörung, die bereits ihrer Mutter den Tod gebracht hat und versteht, warum sich ihr Vater zurückgezogen hat. In einer Mischung aus Realismus und Phantasie müssen sich Muriel und Jake der Gefahren, die sie erwarten, erwehren - was die Spannung und Atmosphäre noch mehr vertieft. Zudem gewinnt man durch die sympathischen Hauptcharaktere schnell eine enge Bindung zur Geschichte
Vielleicht ist manches in der Geschichte für erfahrene Leser vorhersehbar, das macht aber die stimmige, moderne Atmosphäre wett, die sich dennoch genug Märchenhaftigkeit bewahrt, um magisch zu bleiben. Vor allem Mädchen ab zehn Jahren werden sich in der Heldin wieder finden.