Polly & die Piraten 1
Das Erbe der Meg Malloy
Ted Naifeh (Text, Illustrationen) & Albertine Ralenti (Kolorierung)
(Polly et les Pirates 1 2, 2006)
Aus dem Amerikanischen von Stefan Pannor
comikat/eidalon verlag, 2008, Hardcover, 62 Seiten, 12,50 EUR, ISBN, 978-3-939585-82-4
Von Irene Salzmann
Die kleine Polly lebt zusammen mit anderen Schülerinnen in einem sehr strengen Internat. Während die anderen von Abenteuern und Abwechslung träumen, ist Polly ganz zufrieden mit ihrem ruhigen Alltag und beherzigt die Lehren von Frau Lovejoy. Eines Nachts jedoch wird Polly mitsamt ihrem Bett von Piraten entführt!
Die Freibeuter erklären dem verblüfften Mädchen, dass sie die Tochter der berühmte Meg Malloy sei und den Platz ihrer Mutter einnehmen müsse, denn ein Seeräuberschiff brauche einen Kapitän. Die rechtschaffene Polly möchte sich jedoch nicht mit diesen wilden Gesellen einlassen und ergreift die Flucht. Unerwartet erhält sie Hilfe von einem jungen Kapitän – aber es scheint, als wäre sie bloß vom Regen in die Traufe geraten…
Von Ted Naifeh, dem Autor und Zeichner von „Courtney Crumrin“, ist nun mit „Polly & die Piraten“ eine weitere Serie bei comikat erschienen, dem neuen Label des eidalon verlags, dessen Schwerpunkt auf anspruchsvollen Comics für junge Leser liegt.
„Polly & die Piraten“ greift dabei das seit den Kino-Filmen um den „Fluch der Karibik“ wieder sehr beliebte Freibeuter-Thema auf. Die Handlung ist im 19. Jahrhundert angesiedelt, wie Kleidung, Denkweise und vor allem der Anhang „Die Geschichte der Meg Malloy – Königin der Piraten“ verraten. So erscheint die Titelheldin vertraut, erinnert sie doch etwas an die Heldinnen aus diversen Kinderbuch-Klassikern aus dieser Zeit, wie z. B. „Alice im Wunderland“ oder „Der Trotzkopf“.
Im Gegensatz zu den meist rebellischen Protagonistinnen ist die sympathische Polly jedoch eher ein angepasstes Mädchen, das gut mit der Lehrerin auskommt und eher unter den spöttischen Bemerkungen ihrer Stubengenossinnen zu leiden hat. Als sie wider Willen in ein großes Abenteuer gerät, schlägt sie sich tapfer durch, denn sie ist mutig, gewitzt und beharrlich. Die Weisheiten von Frau Lovejoy helfen ihr oft aus so mancher Klemme.
Der Band, der vor allem die Figuren und die Problematik vorstellt, endet mit einem Cliffhanger, der es erforderlich macht, die weiteren Folgen zu kaufen, möchte man erfahren, was es mit dem Piratenprinz, dem Schatz und Pollys Herkunft auf sich hat. Gerade für junge Leser – die Zielgruppe – ist ein solcher Schluss leider recht unbefriedigend, denn gerade wenn man auf den Geschmack gekommen ist, ist die Story auch schon vorbei.
Geschmackssache ist sicher auch die Übersetzung, die den Piraten norddeutschen (?) Dialekt in den Mund legt. Einzelne Sätze und Worte nimmt man hin, aber in der hier vorliegenden Menge hemmt das den Lesefluss und ist vor allem für ein Publikum zwischen 6 und 12 Jahren anstrengend zu lesen. Zweifellos wurde auch im Original Slang und Dialekt verwendet, doch was im Angloamerikanischen für mehr Individualität und Atmosphäre sorgt (Rogue von den „X-Men“ spricht mit Südstaaten-Akzent, „Wolverine“, der Titelheld der gleichnamigen Serie, gibt sich durch seine Worte als Kanadier zu erkennen, und Knight Sabre von „Youngblood“ bedient sich australischer Slang-Ausdrücke – um einige Beispiele zu nennen), hat eingedeutscht nicht unbedingt denselben Effekt.
Die Zeichnungen sind cartoonhaft und reduzieren die Charaktere auf das Notwendige mit ausgeprägter Mimik. Die Liebe zum Detail entfaltet der Künstler mehr bei den schwungvollen und farbenfrohen Hintergründen.
Der ansonsten gute Eindruck von diesem kindgerechten Comic wird von einigen Druckfehlern getrübt (S. 25, S. 60), die sich in der Nachauflage gewiss vermeiden lassen.
„Polly & die Piraten“ ist ein vergnüglicher Comic, an dem ein reiferes Publikum, das märchenhafte Geschichten mag, sicher mehr Vergnügen hat als die eigentliche Zielgruppe, denn die altkluge Titelheldin bietet sich nicht wirklich zur Identifikation an, und der Dialekt ist unangenehm zu lesen. Auch die Gestaltung des Bandes – Hardcover, Hochglanzpapier, sauberer Druck – wissen nur die erwachsenen Sammler von ungewöhnlichen Comics wirklich zu schätzen.