Masters of Horror
The Washingtonians - Die Menschenfresser
USA 2007, Regie: Peter Medak, mit Johnathon Schaech, Venus Terzo u.a.
Von Thomas Harbach
Immer wieder wird die Frage gestellt, nach welchen Kriterien Produzent Mike Garris die entsprechenden „Masters of Horror” aussucht. Auch Peter Medak, verantwortlich für die vorliegende Folge „The Washingtonians - Die Menschenfresser“ dürfte sich aufgrund seiner Arbeiten nicht unbedingt diesen Titel erarbeitet haben. „The Changeling“ (1981) war eine deutlich effektivere Geistergeschichte, als die vorliegende Fernsehfolge, ebenso seine britische Komödie „The Ruling Class“ mit Peter O´Toole oder „Romeo is bleeding“ mit Gary Oldman. . „The Changeling“ endet auf einer der schönsten „Geisterszenen“ der Filmgeschichte, sentimental und anrührend, aber ungemein effektiv. Im phantastischen Bereich hat er noch „Der Glöckner von Notre Dame“ (1997) und „Species II“ inszeniert.
Was bei der Betrachtung außen vor gelassen wird, ist die Tatsache, dass alle Folgen auf Kurzgeschichten bekannter Horrorautoren basieren und hier sich mancher „Master of Horror“ versteckt.
„The Washingtonians - Die Menschenfresser“ ist von Bentley Little geschrieben worden. Der 1960 in Arizona geborene Autor hat sich zwar seit seinem ersten Roman „The Revelation“ - 1990 erschienen - noch keinen so bekannten und über die Genregrenzen hinausreichenden Ruf wie Clive Barker, Dean Koontz oder Stephen King erarbeiten können, im Genre selbst gehört rt allerdings zu den empfehlenswertesten Roman- und vor allem auch Kurzgeschichtenautoren. Mit „The Washingtonians“ greift Little Themen auf, die sich wie ein roter Faden insbesondere durch sein Romanwerk ziehen: Abartige Sexualität und Kannibalismus.
Mike ( Johnathan Schaech) kehrt mit seiner Frau Pam (Venus Terzo) und ihrer gemeinsamen Tochter (Julia Tortolano) ins Haus seiner Großmutter zurück. Diese ist vor kurzem verstorben. Neben der Beerdigung will Mike ihren Haushalt auflösen und das Haus verkaufen. Mike ist teilweise bei seinen Großeltern aufgewachsen, die einen kleinen Tabakwarenladen betrieben haben. Im Verkaufsraum hing ein riesiges Portrait George Washingtons, das ihm immer Angst machte. Dieses Portrait ist jetzt im Keller abgestellt. Ihre Tochter findet es natürlich. Das Bild fällt um und wird beschädigt. Zwischen Rückwand und Leinwand ist eine Gabel offensichtlich aus menschlichen Knochen und eine schaurige Nachricht mit den Initialen G. W. versteckt worden. In der Nachricht warnt der Verfasser, dass er die Kinder seiner Feinde fressen wird. Mike berichtet dem Anwalt seiner Großmutter von dem Fund, der sich plötzlich für die Nachricht zu interessieren scheint. Augenscheinlich vermutet er, wie Mike, dass es sich um ein Originalschriftstück von George Washington handeln könnte. Sollte der Gründer der modernen Vereinigten Staaten ein Kannibale gewesen sein? Allerdings will er diesen Brief nicht verkaufen. Seine Familie und er werden von Männern in Uniformen der amerikanischen Unabhängigkeitsarmee bedroht. Auch die Flucht in ihre Heimat nützt nicht. Mike kann noch Professor Harkinson, einen Freund, benachrichtigen, der ihm eine unglaubliche Geschichte über Washington und seine Anhänger erzählt. Dann entführen die fast geisterhaften Gestalten die Familie ins dunkle Herz Virginias.
Die Idee einer geheimen Geschichte der Vereinigten Staaten ist spätestens nach den Anschlägen vom 11. September populärer denn je. Verschwörungstheorien gibt es ungezählte. Bentleys fast perverser Dreh liegt in dem Ansatzpunkt, auch die Gründung der Vereinigten Staaten auf falschen Tatsachen beruhen zu lassen. Nicht zivilisierte Männer haben das Land gegründet, sondern in die Primitivität zurückgefallene Barbaren. Als Washington mit seiner Armee in den Bergen von Valley Forge ohne Nahrung eingeschlossen gewesen war, ist Washington auf den Gedanken verfallen, seine eigenen Soldaten zu verspeisen. Er hat Geschmack an diesem Fleisch gefunden und weiterhin auch Mitstreiter wie Thomas Jefferson geopfert. Eine brillante Idee, die als Grundlage für einen klassischen Verschwörungsthriller sicherlich effektiv ist.
Warum Peter Medak zusammen mit seinem Drehbuchautor diese offensive, fast skurril parodistische Variante gewählt hat, ist nicht erklärbar. Man stelle sich die Washingtonians als verschworene Gemeinschaft kleiner Hannibal Lectors vor. Intelligent, subversiv und verschlagen steuern sie nicht nur das politische Geschehen in Washington, sondern frönen heimlich ihren Leidenschaften. Und Mike stößt nur durch einen Zufall auf das Geheimnis und muss sich fortwährend mit den Mitgliedern dieses Bundes. als auch den Ordnungskräften – sei es Polizei oder Geheimdienst – auseinandersetzen.
Der erste Akt der „Masters of Horror“-Folge ist mechanisch, aber effektiv inszeniert. Mike und seine Familie kehren zwar nach Hause zurück, aber alles wirkt ein wenig verzerrt, fremdartig. Die Begegnung mit dem schmierigen Anwalt ist ganz bewusst oft aus der Froschperspektive gefilmt. Der Zuschauer erwartet im Gegensatz zu den eher unbedarft und leider sehr eindimensional gezeichneten Protagonisten einen Schockeffekt. Diesen spart sich Peter Medak erstaunlich lange auf und überrascht dann mit einem Schnitt auf das halbabgedeckte Bild Washingtons. Falscher Alarm.
Als dann die Gabel und die Nachricht hinter dem Bild entdeckt worden sind, beginnt das Drehbuch aus dem Ruder zu laufen.
Zu offensichtlich und im Grunde dummdreist sind die Bemühungen des Anwalts, die Gabel und vor allem den Text in die Hände zu bekommen. Die Argumentation, man müsse an einem Sammler verkaufen, um das Abbild Washingtons nicht zu beschädigen, gehört hier zu den auffälligsten Fehlgriffen. Warum nicht die ganze Botschaft gleich in Frage stellen? Immerhin spricht man hier über den ersten Präsidenten der Vereinigten Staaten und gleich nach der Lektüre der Zeilen und aufgrund des Kürzels auf einen Originalbrief Washingtons zu schließen, der hinter dem Bild unglaublich gut erhalten worden ist, entzieht sich der Logik der Zuschauer.
Auch die Angriffe der Washingtonians erscheinen unkoordiniert. Männer in historischen Uniformen mit schlechten Zähnen in verzerrten Perspektiven aufgenommen sind sicherlich eine originelle und durchaus auch bedrohliche Idee. Immerhin hat der Zuschauer zu Beginn des Films gesehen, wie diese Monster eine junge Frau zu Pferde jagten und dann köpften. Somit schlägt Medak ohne weitere sonderlich unwichtige Erläuterungen den Bogen zu einer offensichtlich realen Bedrohung. Mit den letzten zwanzig Minuten versucht der Regisseur den stimmungsvollen, aber langsamen Plotaufbau zu negieren und legt mit einer Reihe grotesker Bilder richtig los. Bei einem Restaurantbesuch in der kleinen Stadt haben Mike und seine Familie schon einen Eindruck von den kulinarischen Genüssen der Gegend bekommen. Nur Fleisch. Alle Tische sind besetzt und insbesondere die älteren Mitbürger haben in dieser unnötig überzeichneten Sequenz Tischmanieren, die auffälliger nicht hätten gezeigt werden können. Anstatt in diesen Passagen ein wenig subtiler und vor allem spannungstechnisch überzeugender vorzugehen, haut Peter Medak mit dem Holzhammer drauf. In der Hoffnung, auf jeden Fall den richtigen zu treffen.
Im Gegensatz zu den Charakteren hat der Zuschauer inzwischen die Zusammenhänge durchschaut und wartet nur auf das opulente Mahl mit Mike, seiner hübschen Frau und vor allem seiner jungfräulichen Tochter – einer besonderen Delikatesse – am Ende der Folge. Und prompt, nach einigen mechanischen Aktionen, werden sie entführt und in den riesigen Speisesaal der Washingtonians eingeladen.
Peter Medak versucht diese Sequenz als eine Art surrealistischer Wachtraum zu inszenieren. Die Kamera ist in ständiger Bewegung, die einzelnen Washingtonians wirken nicht nur in ihrem überdrehten Verhalten – Menschenfleischwahnsinn? – exzentrisch und grotesk, auch die Präsentation dieser Geheimgesellschaft ist eine Abfolge immer übertrieben werdender Bilder. Wie in einem Traum, den die junge Tochter nach ihren ersten Erlebnissen in diesem kleinen Dorf in Virginia durchaus träumen könnte.
Und hier liegt das größte Problem der Folge. Das Geschehen ist nicht mehr erschreckend, sondern wirkt nur noch seltsam und vor allem abstoßend. Warum sich Kannibalen zu Primitivlingen zurückentwickeln müssen, ist einer der vielen Fragen, auf welche das Drehbuch nicht eingeht. Die Schauspieler agieren so übertrieben vor der Kamera, als wollten sie wie bei einem Theaterstück ihre Anwesenheit aus dem Hintergrund des Bühnenbildes heraus signalisieren. Dieses Übertreiben negiert natürlich jegliche Horroratmosphäre und wirkt nach einiger Zeit nicht einmal mehr lustig. Während Mikes Tochter im Grunde nur eine Stichwortgeberin ist, verhält sich ihr Vater im Verlaufe der Handlung auch immer dümmer. Warum gibt er den Brief nicht ab, um seine Familie zu retten? Warum bleibt er in seinem Haus, anstatt nach der ersten Attacke sich wieder in Bewegung zu setzen? Die einzige wirklich sympathische Person verkörpert Venus Terzo, die neben ihrem guten Aussehen allerdings auch eine undankbare Rolle hat. Sie muss ihr Kind beruhigen und gleichzeitig ihren Mann immer wieder auf diese seltsame Gegend hinweisen.
Aber es gibt noch weitere Fragen, welche den Zuschauer insbesondere am Ende der Episode beschäftigen. Um die groteske Situation gänzlich auf den Kopf zu stellen, greift Peter Medak auf die Mittel eines B- oder C-Pictures zurück. In einem nihilistischen Drama wie „28 Days“ oder der Fortsetzung funktioniert diese Vorgehensweise, in einer derartig überzogenen Folge wird der kaum vorhandene Plot bei einer interessanten Ausgangsidee nur noch auf den Kopf gestellt. Außerdem… Woher hat der Geschichtsprofessor plötzlich die Elitesoldaten? Handelt es sich doch um ein größeres Geheimnis oder doch eine Verschwörung?
Im Vergleich zu Bentley Littles bösartiger satirischer Horrorgeschichte funktioniert die Adaption für die Fernsehserie nur mit sehr großen Einschränkungen. Einige wenige Szenen – das erste Erscheinen der Washingtonians vor Mikes Haus – sind effektiv und atmosphärisch stimmig inszeniert worden. Andere Ansätze, wie das Auftauchen der beiden ermittelnden Polizisten als eine Art Dick und Doof der Kleinstadt, schneidet das nicht überzeugend geschriebene Drehbuch schon von Beginn an ab. Der Funke zum Publikum springt nicht über, und wenn am Ende ein lahmer und unlogischer Bush-Witz die Handlung abschließt, stellt sich die Frage, ob die Subversivität der Vorlage überhaupt in Ansätzen verstanden worden ist.
Insgesamt eine technisch überzeugende Episode, deren Plotidee auch überzeugend ist, die aber unter einer schwachen Umsetzung leidet. Vor einigen Jahren hat sich „Ravenous“ dem Thema Kannibalismus im Wilden Westen sehr viel unheimlicher und vor allem unglaublich effektiv angenommen. Die Idee, dass George Washington ein Geheimnis gehabt hat, wird leider verschenkt.
Technisch ist die Präsentation durch Splendid in der Stahlboxedition wieder sehr gut gelungen. Ein interessantes Titelbild eröffnet den Blick auf die im richtigen Widescreen Format 1.78:1 wiedergegebene Folge. Die Farben sind naturalistisch und überzeugend, die Kontraste scharf und insbesondere die wenigen Nachtszenen sind sehr überzeugend. Als Tonspuren gibt es in Dolby Digital 5.1 sowohl den empfehlenswerteren Originalton als auch die angemessene deutsche Spur. Der Audiokommentar von Peter Medak und Hauptdarsteller Johnathan Schaech geht auf die Dreharbeiten sehr genau ein. Leider stehen die beiden ihrer Arbeit ein wenig zu unkritisch gegenüber. Der Zuschauer erhält aber zumindest einen Eindruck ihrer Absichten. Zu den Extras gehören neben den Outtakes zwei Featurettes, in denen auf die Spezialeffekt-Szenen beim abschließenden Dinner und die Make Up Effekte der Folgen wieder sehr ausführlich eingegangen wird.
Es ist nur schade, dass die Mühe nicht adäquat umgesetzt werden konnte.
DVD-Facts:
Bild: 1,78:1 (anamorph / 16:9)
Ton: deutsch Dolby Digital 5.1, englisch Dolby Digital 5.1, englisch Dolby Digital Stereo 2.0 (Kommentar)
Untertitel: deutsch (Audiokommentar)
DVD-Extras:
Audiokommentar, Making of, Outtakes, Featurettes