Michael Oliveri
Das tödliche Geschlecht
(Deadliest of the Species, 2000)
Aus dem Amerikanischen von Michael Krug
Titelillustration von Claudia Flor
Otherworld, 2008, Taschenbuch, 384 Seiten, 9,95 EUR, ISBN 978-3-902607-06-5
Von Irene Salzmann
Tim Wilder ist frisch geschieden und mittellos, denn seine Ex durfte alles behalten: Haus, Auto, Kinder und den gemeinsamen, sehr nützlichen Anwalt. Ihm selber blieben nur ein 78er Camaro, ein paar Kleidungsstücke und eine Handvoll Dollar. An der Westküste möchte er ein neues Leben beginnen – falls er sein Ziel erreicht.
Trotz eindringlicher Warnungen übernachtet Tim in dem abgelegenen Städtchen Rapture. In der Nacht hat er einen feuchten Traum, und am anderen Morgen sind all seine Sachen weg. Der Sheriff scheint wenig Interesse daran zu haben, sich um den Diebstahl zu kümmern, und in keinem der Läden will man Tim einen Job geben. Schließlich findet er Unterschlupf bei einem alten, demoralisierten Priester, der sich dem Alkohol ergeben hat. Von Vater Mike erfährt Tim eine unglaubliche Story: Die Frauen von Rapture sind Hexen, die ihre Augen und Ohren – Katzen und Krähen – überall haben, und die wenigen Männer, die noch am Leben sind, werden unterdrückt, schikaniert, gefoltert, ermordet. Auch Tim haben sie im Visier und längst Macht über ihn gewonnen.
Es kommt aber noch schlimmer. Zufällig wird Tim Zeuge eines Rituals, bei dem ein mächtiges Wesen, die Erdmutter, beschworen wird. Daran nimmt auch ein gehörnter, bocksbeiniger Mann teil, der Tims Fluchtversuch vereitelt und ihn nur am Leben lässt, weil Alexandra, die Anführerin der Hexen, ihn als Samenspender braucht. Ebenso wie sie ist Tim weitläufig mit dem mysteriösen Sebastian verwandt und verfügt über ein spezielles rezessives Gen. Alexandras Ziel ist es, einen Satyr oder eine Nymphe zu zeugen…
Eingefleischte Phantastik-Fans kennen das Thema aus verschiedenen Romanen und Filmen der diversen Sub-Genres („Die Mädchen der Medora“, „Planet der Frauen“ etc.): Die armen Männer werden von den bösen Frauen geknechtet und schlimmer. Die rechtschaffenen, tapferen Männer müssen sich vom Joch ihrer sadistischen Herrinnen befreien, um das Chaos zu beenden, die Gesellschaft vor dem Untergang zu bewahren und allen ein besseres, gleichberechtigtes Leben gemäß männlicher Definition zu ermöglichen.
Auch Michael Oliveris bedient sich in seinem Horror-Roman „Das tödliche Geschlecht“ dieses Motivs und sämtlicher Klischees. Tim Wilder, die Hauptfigur, wird erst von seiner Frau über den Tisch gezogen, dann gerät er in die Fänge eines Hexenzirkels. Schon seine erste Begegnung mit den Hexen von Rapture macht deutlich, was das für fiese Weiber sind, die ausnahmslos Spaß daran haben, ihre ohnehin schon eingeschüchterten Männer zu demütigen und auf bestialische Weise zu ermorden. Selbst Kinder – Knaben – haben kein Mitleid zu erwarten.
Die arrogante Alexandra, die lesbischen Zwillinge, die fette Marie und wie sie alle heißen sind die Albtraumzicken eines jeden echten Kerls. Leidenschaftlicher Sex mit den hübscheren von ihnen ist gar nicht so übel, darüber kann man das wahre Wesen dieser Frauen für einen Moment vergessen, doch nach dem Vergnügen will man(n) wieder ganz Macho sein. In Folge muss Tim eine Menge einstecken, bis er Unterstützung findet und den Widerstand erfolgreich organisiert, trotz überlegener Magie und vielen Verlusten in den Reihen seiner Freunde.
Natürlich hat man als Leser Mitleid mit den armen Männern. Dafür sorgt der Autor nachhaltig, da die Geschehnisse in erster Linie aus der Sicht Tims geschildert werden, der ahnungs- und schuldlos in etwas hinein gezogen wird, aus dem es kein Entrinnen zu geben scheint. Positive Werte auf Seiten der Männer stehen im scharfen Kontrast zu den nur negativ besetzten Frauen. Auf die Sadistinnen zu schießen, sie zu erschlagen und, und, und, um das eigene Leben zu retten, ist dann auch ganz in Ordnung. Aug’ um Aug’, Zahn um Zahn.
Interessanterweise sind die Frauen aber nur Handlangerinnen. Der wahre Mastermind ist Sebastian, ein Mann, der seine Anhängerinnen kontrolliert. Auch hinter Tims Ex steht ein Mann. Demnach sind es in Wirklichkeit die Männer, die ihre Territorien markieren, einander bekämpfen und die Frauen als Mittel zum Zweck missbrauchen. Gewinner ist für gewöhnlich das Alpha-Männchen, und dieses ist in den Augen der unterlegenen Rivalen genauso schlimm wie eine dominante Frau. Stellvertretend für alle frustrierten Männer rechnet Tim mit Sebastian und seinen Hexen ab und stellt das Selbstwertgefühl seiner Genossen wieder her.
Das Buch an sich ist flüssig und unterhaltsam geschrieben und bietet regelmäßige Höhepunkte, die neugierig auf das Weitere machen.
Der Inhalt ist eindeutig Geschmackssache. Männliche Leser kommen auf ihre Kosten, da es jede Menge Action, Sex, Gewalt und böse Frauen gibt, denen ein richtiger Kerl, mit dem man sich identifizieren kann, zeigt, wo der Hammer hängt. Leserinnen hingegen werden nur den Kopf schütteln über diese uralten, klischeehaften Männer-Phantasien und besonders die Schilderungen der Grausamkeiten, die an dem Jungen Jack verübt werden, verurteilen.