Neil Gaiman
Sandman 5
Über die See zum Himmel
(The Sandman: A Game of You 32 - 37, 1991/1995)
Aus dem Amerkanischen von Gerlinde Althoff
Titelillustration von Dave McKean, Zeichnungen von Shawn McManus, Coleen Doran, Bryan Talbot, George Pratt, Stan Woch und Dick Giordano
Panini, 2008, Paperback mit Klappenbroschur, 184 Seiten, 19,95 EUR, ISBN 978-3-86607-600-6
Von Christel Scheja
Neil Gaimans „Sandman”-Serie war ein Meilenstein in der amerikanischen Comic-Geschichte, lehrte die Serie doch auch die großen Verlage DC und Marvel, dass es durchaus nicht dumm ist, auch die Leser, die bisher immer auf Independent-Labels ausgewichen waren, weil ihnen die ewig gleichen Superhelden zu langweilig wurden, zurückgewinnen zu wollen.
„Sandman“ durchbrach sowohl in grafischer als auch in inhaltlicher Hinsicht klassische Traditionen und Tabus, die bei den Konzernen zu ehernen Gesetzen geworden waren, und präsentierte eigenwillige Geschichten mit Tiefgang und fast literarischer Qualität, die nun auch ein intellektuelleres Publikum anlockten. Auszeichnungen erhöhten den Wert der Serie und machten sie international bekannt.
Panini veröffentlicht die bereits in den 1990er Jahren in Deutschland erschienenen zehn Bände nun in einer Neuübersetzung und im originalen Comicformat, nicht mehr in Albengröße. Die Aufmachung ist durch Klappbroschur und schweres Kunstduckpapier sehr edel.
In der fünften Graphic-Novel ist Dream, der Sandman, nur eine Nebenfigur. Das Hauptaugenmerk liegt auf den eigenwilligen Bewohnern eines heruntergekommen Appartementhauses. Sie sind zwar völlig unterschiedlich, aber jeder von ihnen ist auf seine Weise ein Außenseiter, und das schweißt sie dann auch wieder zusammen. Die hübsche blonde Barbie ist eng befreundet mit ihrer Nachbarin Wanda. Die beiden leben gemeinsam in den Tag hinein und gehen oft miteinander shoppen. Jede nimmt die andere, wie sie ist. Wanda toleriert Barbies Eigenheit, ihr Gesicht auffällig zu schminken, und Barbie stört sich nicht daran, dass ihre Freundin eigentlich ein transsexueller Mann ist.
Lockere Bekanntschaft pflegen sie mit anderen im Haus, wie etwa mit dem Lesbenpärchen Foxglove und Hazel, der geheimnisvollen Thessaly oder dem sich etwas zurückhaltend benehmenden George.
Während alle anderen seit einer Weile unter Albträumen leiden, ist Barbies Schlaf weiterhin traumlos. Dass das einen Grund hat, erfährt sie erst viel später, als sie sieht, wie ein großes hundeartiges Wesen in die Enge gedrängt und erschossen wird. Es kommt ihr seltsam bekannt vor, und so nähert sie sich ihm trotz der Warnungen der Polizei.
Die sterbende Kreatur bittet sie um Hilfe für seine Heimat und übergibt ihr ein Amulett. Damit fangen Barbies Abenteuer erst an, denn als sie am Abend in den Schlaf sinkt, gelangt sie in ein fremdes Land voller sprechender Tiere, Märchen und Magie. Sie erfährt, dass der bösartige Kuckuck das Reich langsam aber sicher an sich reißt und beschließt, sich dem Feind zu stellen.
Derweil bemerken ihre Freundin und die anderen Frauen, dass Barbie in ein Koma gefallen ist und das Amulett merkwürdig glüht. Da zeigt sich, dass Thessaly mehr ist, als sie vorgegeben hat zu sein...
Wieder einmal beweist „Sandman“, wie abwechslungsreich die Reihe ist, denn der Herr der Träume spielt diesmal nicht die Haupt- sondern nur eine Nebenrolle. Im Vordergrund stehen die Frauen des Apartmenthauses, die auf ihre Art und Weise alle ein Geheimnis zu verbergen haben – die eine der Lesben hat dummerweise mit einem Mann geschlafen und erwartet ein Kind, Thessaly ist eine Hexe, die sich sehr gut in den magischen Künsten auskennt, und Barbie schließlich ist die Verbindung zwischen dem magischen Traumland und der Erde.
Die Graphic Novel stellt zunächst einmal die Figuren in ihrem Alltag vor, damit der Leser eine Bindung zu ihnen aufbaut, dann lässt sie nach und nach die magischen Einflüsse stärker werden. Die Reise Barbies durch das magische Land ist schließlich auch eine zu sich selbst – denn sie muss sich den Schatten ihrer eigenen Vergangenheit stellen und den Kuckuck in sich selbst entdecken, um ihre Freundinnen und sich zu retten.
Realität und Traumebene fließen immer wieder ineinander über, vermischen und verkehren sich in der Wahrnehmung der Protagonisten. Die Wirklichkeit verblasst wie ihre Farben, und die Fiktion nimmt durch leuchtende Nuancen Gestalt an – auch umgekehrt. Und jeder hat in dieser Geschichte zwei Gesichter. Der freundliche George ist ein Diener des Feindes, und Thessaly eine skrupellose Hexe, die kein Problem mit Blut und Tod hat. Und selbst Wanda muss sich dem stellen, was sie so sehr verleugnet.
Ohne viel Aufhebens darum zu machen, mit wenigen Details und Alltäglichkeiten fängt Gaiman den Leser ein und macht ihm die Hauptfiguren sympathisch, während Dream das bleibt, was er ist – der mächtige und doch zurückhaltende Herr der Träume. Am Ende hält er wieder die Fäden in der Hand, auch wenn man versucht, sie ihm zu entreißen. Und jeder der Helden findet auf seine Weise Glück und Zufriedenheit, nachdem er sich seinen inneren Dämonen gestellt hat. Zurück bleibt ein tief beeindruckter Leser, der die Nachwirkungen der intensiven Geschichte noch eine ganze Weile spürt. Denn das, was passiert, vergisst man nicht so leicht.
„Sandman – Über die See zum Himmel” weiß Unterhaltung und Anspruch wieder einmal gelungen miteinander zu verbinden. Das hintergründige Szenario bietet wieder mehr als nur ein seichtes Abenteuer und überzeugt vor allem durch ein intensives Leseerlebnis.