Sergej Lukianenko
Weltenträumer
Aus dem Russischen übersetzt von Christiane Pöhlmann
Heyne, 2008, Paperback, 494 Seiten, 14,00 EUR, ISBN 978-3-453-52460-6
Von Carsten Kuhr
Ein paar Wochen erst ist es her, dass Kirill Maximow, ein junger Moskowiter, von seiner Arbeit, neureichen Bonzen die neueste Grafikkarte für ihren Computer aufzuschwätzen, nach Hause kam und in seiner Wohnung eine fremde Frau vorfand. An der Tür stand ein anderer Name, seine Freunde, seine Eltern, selbst sein Hund kannten ihn nicht mehr. Sein Leben war ausgelöscht, seine Existenz vernichtet, sein Schicksal bestand darin ein Funktionaler zu werden. »Funktionale«, das sind Frauen und Männer, die in ihren jeweiligen Berufen nicht gut, nicht perfekt sondern schlicht der oder die Beste sind. »Funktionale«, das bedeutet, dass diese Menschen weit länger leben als ihre Freunde und Verwandten, aber auch, dass sie vom Geheimnis der Tore zu anderen Parallelwelten wissen. Kirill wird Zöllner-Funktional. In seinem Turm münden drei Türen, die zu anderen Welten führen. Doch Kirill will sich mit seinem Schicksal nicht abfinden, lässt sich von der Macht, der Gesundheit, dem guten,langem
Leben nicht korrumpieren. Und er muss feststellen, dass es in allen Welten Rebellen gegen die Funktionale und deren unbekannte Herren gibt, Widerständler die verfolgt und aufgebracht werden. Doch dann gerät er mit dem Kurator seiner Erde aneinander - seinem
Freund Kotja, und bringt diesen um.
Soweit grob die Handlung des ersten Bandes, »Weltengänger«, dem der Autor einen zweiten Teil hat folgen lassen.
Erstaunlicherweise ist Kotja nicht tot, und wir folgen Kirill weiterhin auf der Odyssee durch die vielen, durch Raum und Zeit getrennten Welten des Multiversums. Auf der Suche nach den Herrschern der Welten, nach Freiheit und Selbstbestimmung, begleiten wir unseren Antihelden so zum Beispiel auf eine Erde, in der der römische-katholische Klerus die alleinige Macht übernommen hat, auf eine Erde der Zukunft, in der die Kontinente nach deren Vernichtung noch glühen und die Funktionalen ihr von einem Engel bewachtes Museum errichtet haben.
Doch der Inhalt des Bandes ist so wichtig eigentlich nicht. Es passiert reichlich wenig in dem Roman, und wenn es zu Auseinandersetzungen kommt, wenn die Kugeln fliegen, unser Held verfolgt wird, dann ist dies lediglich die eigentlich unmaßgebliche Schaubühne für das, was uns der Autor wirklich mitteilen will. Lukianenko schüttet ein wahres Fass von philosophischen Ideen und Anmerkungen über uns aus. Er zieht pointiert und mit viel Selbstironie angereichert über alles her, was dem modernen Erfolgsmenschen ach so wichtig ist.
Sei es die Karriere, das Streben nach Geld, Macht und Einfluss, Hollywood oder Bestsellerautoren, Weltverbesserer oder religiöse Fundamentalisten, Kirche und Staat, der Kommunismus und der Kapitalismus, die neugierigen Nachbarn und die so selbstlosen Helfer,
sie alle bekommen ihr Fett ab.
Das ist vergnüglich zu lesen, das ist intelligent, stellenweise urkomisch - aber der Autor vergisst dabei leider seine Geschichte.
Noch deutlicher als im ersten Band driftet Lukianenko ins Dozierende ab, nutzt seine interessant angelegte Ausgangssituation kaum, vergräbt Handlungsstränge und Ansätze unter seinen hochgeistigen Ausführungen.
Hat er in seinem meines Erachtens bestem Werk »Spektrum« eine gekonnte Synthese zwischen packender, stringenter Handlung und Aussage geschaffen, so mangelt es vorliegendem Buch eindeutig an der erzählerischen Komponente. Es passiert zu wenig, und wenn denn einmal wirklich etwas los ist, dann werden die Ereignisse zu schnell, ja lieblos abgehandelt.
Insoweit ein gutes, weil anderes Buch, ein Buch, das zum Nach- und Mitdenken anregt, aber leider kein Meisterwerk.