Ralf Isau
Der Tränenpalast
Thienemann, 2008, Hardcover, 254 Seiten, 12,90 EUR, ISBN 978-3-522-18087-0
Von Carsten Kuhr
Elf Jahre ist James Joyce alt, als er in einer Hecke ein seltsam funkelndes Ding entdeckt. Die Polizei will nichts davon wissen, sein väterlicher Freund und Vertrauter, der Theaterkritiker Christopher Cox, bewegt den Jungen dazu, eine Fund-Anzeige in die Zeitung zu setzen. Und tatsächlich meldet sich kurz darauf ein offensichtlich reicher Adeliger, der James auf sein Anwesen einlädt. Hier erfährt der Junge, dass er von der Quelle der Erleuchtung auserwählt wurde, dem Orden der Phantanauten beizutreten.
Kinder und Jugendliche aus aller Welt sollen mit Hilfe ihrer besonders ausgeprägten Phantasie die Welt um Geschichten und um Phantasie bereichern.
Jeder der angehenden Phantanauten muss zur Beginn eine Art Reifeprüfung ablegen. Er oder sie muss eine Welt erträumen, diese bereisen und einen Beweis der Existenz der erträumten Welt mit zurückbringen.
James reist nach Rád. Hier, in einer Welt die von Gleichförmigkeit und ständigen Wiederholungen geprägt ist, muss er versuchen, den Herrscher Perpeto zu besiegen. In dessen Tränenpalast hält dieser Kinder aus aller Welt gefangen. Mit ihren Tränen versucht er, die Quelle der Erleuchtung zu vergiften. Zusammen mit einen ganzen Heer tierischer Helfer macht James sich auf, dem selbsternannten Herrscher über Rád das Fürchten zu lehren ...
Wie jeder Roman aus dem Hause Isau kann man auch vorliegendes Werk wieder auf zwei Arten lesen.
Vordergründig erwartet den jugendlichen Leser eine spannende Handlung um den ewig währenden Kampf der Guten gegen die Bösen. Es gilt Abenteuer zu bestehen, eine fremde, unbekannte Welt kennen zu lernen, Verbündete und Freunde zu suchen und dem bösen Widersacher Paroli zu bieten.
Das liest sich spannend, das weckt Erinnerungen eher an Alice im Wunderland oder die Werke Michael Endes, als an Tolkien oder Rowling – und das ist gut so.
Abseits der ständigen Wiederholungen letztlich ausgelutschter Topics bemüht Isau die Phantasie von sich, seinen Helden und nicht zuletzt seinen Lesern, um eine etwas andere Fantasy-Geschichte zu erzählen.
Auf einer zweiten Ebene aber zeichnet dieses Buch eine sehr ernste, nachdenkliche Ausstrahlung aus.
Wie in allen Romanen aus Ralf Isaus Feder geht es auch diesmal darum, sich der Verantwortung zu stellen, sich Neuem zu öffnen, sich zu entwickeln. Bei allen Abenteuern, bei aller Spannung ist es dem Autor immer auch ein Anliegen, seine Leser zum Mit- und Nachdenken anzuregen. Nur wer bereit ist sich auf das Wagnis einer Veränderung einzulassen, wer das Risiko eingeht, dabei auch zu scheitern, kann sich selbst weiterentwickeln, kann sich und seine Umwelt verändern – zum Guten wie zum Schlechten. Sich dieses Prozesses bewusst zu werden, den Mut zu finden voranzuschreiten, das ist Isaus Botschaft, die seinen Lesern, gleich ob alt oder jung, bei diesem schwierigen Prozess helfen soll.