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Stross, Charles: Saturn´s Children (Buch)
Charles Stross
Saturn’s Children
Ace Books, 2008, Hardcover, 324 Seiten, ca. 15.95 EUR, ISBN 978-044101594-8
Von Oliver Naujoks
Eine Frau liegt gefesselt auf Schienen. Der Zug nähert sich. Ihr Schicksal ist besiegelt, wenn sie sich nicht bald selbst befreien kann. Dazu würde auch gehören, dass sie sich ihrer Haare entledigen muss, mit denen sie ebenfalls gefesselt ist..
Diese Situation wäre für einen Charles-Stross-Roman viel zu gewöhnlich.
Fangen wir noch mal von vorne an.
Merkur. Der sonnennächste Planet ist unfassbar heiß, so dass findige Architekten in der Zukunft eine ganze Stadt - 200 Meter breit, 20 Kilometer lang - auf Schienen gesetzt haben und diese Stadt auf Merkur immer der Dämmerung hinterher fährt, damit die Hitze erträglich ist. Auf diesen Schienen ist eine Frau gefesselt. Die Frau ist eine Androidin, ein Sex-Robot. Die Stadt nähert sich ihr auf den Schienen. Um sich zu befreien muss diese Frau, unsere Heldin, auch ihr Haar loswerden, mit dem sie ebenfalls gefesselt ist. Also gibt sie ihrem Körper den Befehl, das Haar schnell rauswachsen zu lassen...
Das klingt schon eher nach Charles Stross, und stellt nur eine von vielen bizarren Szenen in seinem neuen Werk dar, wie schon auf dem Cover zu lesen, eine „Space Opera“.
„Saturn’s Children“ erzählt von Freya Nakamachi-47, einem Sex-Robot und spielt in einer Welt in der Zukunft, in welcher Roboter unser ganzen Sonnensystem für die Menschheit kolonisiert und bewohnbar gemacht haben. Dabei gibt es nur ein Problem: Die Menschheit ist seit Jahrhunderten ausgestorben, die Roboter pflegen und erweitern die Anlagen aber nach wie vor.
Ja, dieser Roman ist aus der Sicht einer Androidin geschrieben und spielt in einer recht bizarren Zukunftswelt. Die Widmung am Anfang macht bereits deutlich, wo die Reise hingeht: Isaac Asimov und Robert A. Heinlein stehen da, und in der Tat: Asimovsche Roboterthemen werden abgehandelt und das ganze liest sich durch seinen Queste-Plot mit viel Planeten-Hopping wirklich ähnlich wie ein früher Heinlein-Roman. Zwar mit viel Sex, aber das Erregungspotential in jeglicher Hinsicht ist bei Roboter-Sex zwangsläufig äußerst begrenzt, Deftigkeit und „Feuchtgebiete“ waren nicht Stross’ Anliegen.
Aufhänger der Geschichte ist, hier kommt der Autor wohl nicht von seinen Bob-Howard-Romanen los, eine Spionage-Geschichte, in welcher Freya einen Gegenstand zu transportieren hat und sich nicht erwischen lassen darf – aber die Dinge werden schnell deutlich komplizierter.
Ein übliches Problem in Stross-Romanen stellt sich hier besonders eindringlich: Der Autor vergisst über viele schöne Ideen häufig, seine Charaktere ausreichend dem Leser näher zu bringen. Und wenn man eine bizarre Zukunftswelt beschreibt und die Geschichte in der ersten Person aus der Sicht einer Androidin schildert, dann muss man sich doppelt anstrengen, damit der Leser sich damit identifizieren kann – und das macht und gelingt Stross leider nur sehr begrenzt. Zwar passiert sehr viel und das Tempo ist hoch, vieles rauscht aber leider an einem vorbei und man nimmt es eher unbeteiligt zur Kenntnis. Das mangelnde Identifikationspotential und erneut eine kaum erkennbare Spannungsdramaturgie sorgen schnell dafür, dass man dem Roman nur milde interessiert, aber keinesfalls gefesselt folgt und froh ist, dass Stross sich mit nur gut 300 Seiten kurz gefasst hat.
Richtig verdammen kann man „Saturn’s Children“ aber nicht, dafür wird einfach ansonsten zu gutes Handwerk geboten. Stross präsentiert einen raffinierten Plot (gegen Ende zum Glück nicht ganz so unnötig-überkompliziert wie in seinem letzten Roman „Halting State“) mit einer kunstvoll eingewobenen Backstory mit vielen Rückblenden und mehrfach doppeltem Boden. Er liefert interessante Gedanken zum in der SF häufig behandelten Thema was Leben angesichts denkender und fühlender Roboter ausmacht (die übrigens eine aristokratische Sklavengesellschaft in der Zukunft errichtet haben) und was eigentlich von Raumfahrt zu halten ist. Wer die Meinung von Stross zu diesem Thema kennt, wird nicht verwundern, dass der Catch-Phrase dieses Romans lautet: „Space-travel is shit“. Er erklärt ausführlich, warum.
Wenn das alles nur etwas spannender und involvierender wäre, dann könnte man viel mehr würdigen, dass Stross ansonsten alles richtig macht: Guter, flüssiger Stil, eine vielschichtige, anspielungsreiche Geschichte und ein kunstvoll gewobener Plot. Das nützt aber leider alles nicht viel, wenn ein Buch kaum Sogwirkung entfaltet. So gut sich der Autor darin einfühlen kann, wie eine Androidin denkt und fühlt, in der Schnittstelle zum Leser kommt zu wenig menschlicher Kontext an, um sich davon mitreißen zu lassen. Und ohne menschlichen Kontext geht es bei menschlichen Lesern nicht.
Anerkennung verdient der Roman, begeisternd wirkt er leider nicht. Eigentlich ist höflicher Applaus noch schlimmer als gar keiner.
hinzugefügt: July 26th 2008 Tester: Oliver Naujoks Punkte: Hits: 2622 Sprache: german
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