Catherine Banner
Das Lied von Manolia
(The Eyes of a King)
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Patricia Woitynek
Penhaligon, 2008, Hardcover, 476 Seiten, 18.95 EUR, ISBN 978-3-7645-3000-6
Von Carsten Kuhr
Leo Norths Leben scheint vorgezeichnet. Als einer von zwei Söhnen eines verbannten Vaterlandsverräters muss er froh sein, dass seine Großmutter ihn in der Militärakademie untergebracht hat. Auch wenn er immer wieder mit seinem despotischen Ausbilder Sergant Markey aneinander gerät, taucht er so zumindest in der Masse der Zöglinge unter.
Der Krieg läuft nicht gut. Man munkelt, dass nicht nur die Kugeln der Gegner den Truppen zusetzen, auch das stille Fieber breitet sich immer mehr aus.
Eines Tages befällt die Seuche auch Leos jüngeren Bruder Stirling. Um ihn in seinem Delirium abzulenken, liest Leo ihm aus einem mysteriösen Buch vor, einem Buch, das vom Leben in einer anderen Welt berichtet, einer Welt die sich England nennt, und in die der wahre Thronerbe vor der blutigen Revolution geflohen ist.
Seitdem Leo das Buch das erste Mal in Händen gehalten hat, ist er von den leeren Seiten, die sich auf magische Art nach und nach füllen, fasziniert. Hier endlich erhält er Antworten auf seine vielen Fragen. Die Geschichte Malonias, seine Familie und seine magische Gabe - alles findet Erwähnung in den Seiten. Während er mehr und mehr den Bezug zu seiner Realität verliert, taucht er immer tiefer in eine ihm fremde Welt ein, eine Welt, die Heilung verspricht - doch ob sie das Versprechen halten kann?
Was ist das für ein Buch, das die Verantwortlichen des neuen Verlages zum Schwerpunkttitel ihres ersten Programms erkoren haben? Nun, zunächst einmal ist es ein Roman, der nicht die ewig gleiche Geschichte vom Kampf der wenigen Guten gegen die vielen Bösen um die Rettung einer Welt erzählt - und auf eine bestimmte Weise dann doch wieder, wenn auch auf eine ganz eigene Art.
Es ist ein Buch, das nicht große Ereignisse ins Zentrum stellt, sondern ein Werk, das sein Augenmerk ganz auf die Figuren richtet.
Leo, unser Erzähler, leidet. Er leidet unter der Ausgrenzung, unter den Schikanen und nicht zuletzt unter seinem Schicksal. Kaum zeichnet sich eine beginnende Romanze ab, schlägt selbiges wieder erbarmungslos zu, und hält einen Nackenschlag nach dem anderen für ihn bereit. Durch seine betroffenen Augen blicken wir auf einen totalitären Staat, in dem Duckmäusertum und Propaganda hinter jeder Ecke lauert. Die Indoktrination der Bevölkerung durch Zensur und Demagogie erlebt der Leser hautnah aus Sicht Leos mit. Das ist kein einfacher Protagonist, in dessen Haut man gerne schlüpft, das ist ein Mensch mit Fehlern, dem Schlimmes widerfährt.
Überhaupt legt die Autorin sehr großes Gewicht auf die glaubwürdige Zeichnung ihrer Figuren. Alle ohne Ausnahme sind sie geprägt von ihrer jeweiligen, schlimmen Vergangenheit, sind vielschichtig und interessant gezeichnet, und agieren aus ihrer Historie heraus glaubwürdig.
Das ist, um auf meinen Beginn zurückzukommen, weit entfernt vom den tagtäglichen, austauschbaren Fantasy-Epen, die uns die Verlage anbieten. Der Text fordert seinen Leser, fordert ihn Stellung zu beziehen, ist auch so manches Mal nicht ganz einfach zu lesen.
„Das Lied von Manolia“ geht ganz bewusst einen anspruchsvolleren Weg, weg vom Abenteuer-Roman, obwohl genügend Abenteuergarn in den Plot verstrickt ist, hin zu den Menschen. Was diese fühlen, was sie bewegt und prägt, hiervon will uns die Autorin berichten, und dies tut sie auf ihre ganz eigene, leise aber doch deutliche Art und Weise.