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Freaks of the Heartland (Comic)

Freaks of the Heartland
Text: Steve Niles
Zeichnungen: Greg Ruth
Übersetzung: Frank Neubauer
Cross Cult, 2008, Hardcover, 144 Seiten, 19,80 EUR, ISBN 978-3-936480-89-4

Von Frank Drehmel

Tief im weiten, verlassenen Herzen Amerikas liegt Gristlewood Valley. Es ist die Heimat des kleinen Trevor Owen und seinen Eltern, dem trunksüchtigen Vater Henry und der schweigsamen Mutter Marion. Ohne Freunde oder Spielkameraden fristet der Junge ein einsames Dasein und nur die Fantasie lässt ihn aus der Monotonie, der Freudlosigkeit des harten, bäuerlichen Lebens ausbrechen.
Und dann ist da noch Trevors Bruder Will. Körperlich entstellt, von riesenhaftem Wuchs, mit kindlicher Seele und kaum der Sprache mächtig lebt er seit seiner Geburt angekettet in einer alten Scheune. Für den Vater ist er wenig mehr als ein Tier, das er bisher nur deshalb nicht getötet hat, weil es das Kind seiner Frau ist und weil der Prediger des Ortes den Mord nicht gutheißen würde.
Eines Tages wird in Gristlewood Valley ein Verbrechen verübt, für das Henry eines „der Kinder” der anderen Einwohner verantwortlich macht. Dadurch erfährt Trevor, dass es noch andere wie Will geben muss, andere „Mutanten”, die, von ihren Eltern in Kellern und verlassenen Scheunen eingekerkert, ein unmenschliches Leben führen müssen.
Als der Vater im Zuge des Verbrechens den Entschluss fasst, Will zu töten, befreit Trevor unter tragischen Umständen, bei denen Henry den Tod findet, seinen Bruder und flieht gemeinsam mit ihm zunächst in die Weiten des Herzlandes, um die zu suchen, die so sind wie Will.
Schon bald befinden sich fünf Kinder auf der Flucht vor ihren Vätern: Trevor und Will, Maggie und ihr mutierter Bruder Roy sowie Hank, der rein äußerlich tatsächlich mehr einem Tier denn einem Menschen gleicht. Sie fassen den naiven Plan, in der Großstadt, die sie nur aus den Erzählungen ihrer Eltern kennen, Schutz vor deren entfesselter Wut zu suchen. Als sie schließlich die Lichter der Stadt vor sich sehen, erkennen sie, dass auch dort Trevors Bruder und seine Leidensgenossen Ausgestoßene sein würden.
Resigniert beschließt Will daraufhin, sich den Verfolgern zu stellen, und auch der Rest der Gruppe sieht ein, dass ihnen keine andere Wahl bleibt.
Als die Väter sie erreichen, kommt es zu einem Blutbad.


Vielen Lesern dürfte der Amerikaner Steve Niles als (Drehbuch)Autor von „30 Days of Night” ein Begriff sein. Ein Blick in seine Vita macht deutlich, dass eine Affinität zum Düsteren, Makabren und Skurrilen sein Oeuvre durchzieht, die sowohl in plakativem Gore und Splatter, als auch - wie im vorliegenden Comic - in einem feinen, fast schon poetischen Horror ihren Ausdruck findet.

Das grundlegend Unheimliche, das Beängstigende von Niles’ „Freaks of the Heartland” ist die Universalität, die diese in der amerikanischen bäuerlichen Einsamkeit angesiedelte Story ausstrahlt, das Gefühl, die Ahnung, dass die geschilderten Ereignisse - abgesehen von einigen metaphysischen Aspekten - eben nicht jenseits der Vorstellungskraft liegen, sondern auch in dünn besiedelten Gegenden unseres Landes, ja selbst in den isolierten Wohnsilos von Trabantenstädten „denkbar” sind. Es ist die Erfahrung bezüglich unseres Umganges mit unseren Kindern, die täglich erlebte Ausgrenzung des Fremden, des Anderen, die das Grauen dieser Story so greifbar macht.

Beängstigend ist darüber hinaus, dass man - und das ist eine großartige Leistung von Niles und Ruth - einige Augenblicke lang tatsächlich mit den Tätern, den Vätern, den wahren Freaks mitfühlt, ein Anflug von Verständnis Raum greift, denn Will wirkt trotz aller kindlicher Unschuld wegen seiner verspielten Wildheit bedrohlich. Erst in dem Moment, in dem Trevor der mutmaßlichen Gefahr souverän, unaufgeregt und letztlich voller Liebe begegnet, erkennen wir unseren Irrtum, erkennen, dass das Bedrohliche eine Ausgeburt unserer Geisteshaltung ist.

Natürlich bedient sich der Autor bei der Zeichnung der Charaktere bestimmter Stereotype - trinkender, gewalttätiger Vater, sprachlose Mutter, unschuldiges Kind -, um die Geschichte für uns erfahrbarer zu machen, durchbricht diese Stereotype jedoch immer wieder, bspw. indem er die sentimentale Seite des Vaters zeigt, die Mutter einen tonlosen, „ultimativen Schrei” ausstoßen lässt oder Will vom Opfer zu einer Person macht, die Widerstand leistet.
Dabei vermeidet Niles den großen, hohlen Pathos, sondern formuliert seine emotionalen Appelle bevorzugt in kleinen, fast beiläufigen Gesten.

Vom Aufbau ähnelt „Freaks of the Heartland” deutlich einer surrealistisch eingefärbten Kurzgeschichte, in der die tragenden Charaktere nach einer kurzen Einführung ihren Dämonen begegnen, in der die Ereignisse innerhalb kurzer Zeit kulminieren, die ein offenes - für das Genre überraschendes - Ende hat und in der kaum Raum für ausschweifende Erklärungen oder Begründungen ist. Die Welt ist, wie sie ist; und die Figuren müssen sich ihr stellen.

Damit kommen wir zum Artwork Greg Ruths, in dem eben jene oben angeführten Gesten, die Ambivalenz der Figuren, das Bedrückende und die (moralische) Enge der weiten, wogenden Felder der Heartlands grandios, mitreißend visualisiert werden.
Greg Ruth dürfte für die meisten Leser in Deutschland - im Gegensatz zu Niles - ein relativ unbeschriebenes Blatt sein, da sich sein Comic-Schaffen bisher in überschaubaren Grenzen hält und sein beruflicher Fokus eher auf Illustrationen von Büchern lag. Spätestens mit „Freaks of the Heartland” ist Ruth jedoch in die Riege der großen Comic-Künstler vorgestoßen. In seinen in Farbgebung, Dynamik und der sachten Auflösung der Figuren oft ins Surrealistische spielenden Bildern kann er seine Herkunft als Illustrator kaum verleugnen. Ruth folgt einem malerischen Ansatz, dem man das Ringen um Perspektiven, Posen und Inhalte anmerkt; d.h. seine Bilder wirken in der Regel nicht mit leichter Hand gezeichnet, sondern durchkomponiert und so erdig, schwer wie die Geschichte Niles’.
In der Koloration beschränkt er sich im Wesentlichen auf eine sehr reduzierte Palette aus trüben Gelbgrün-, Graublau- und Brauntönen, wobei die meisten Seiten monochrom und ohne herausragende Farbakzente gehalten sind.

Redaktionell wird das hervorragend edierte Hardcover-Comic durch zwei Interviews ergänzt, welche Christian Endres mit Niles und Ruth führen durfte, durch einen Einblick in das Skizzenbuch des Künstlers sowie ein Kurz-Vita von Autor und Zeichner.


Fazit: Die ergreifende, poetische Story und das grandiose, expressive Artwork machen „Freaks of the Heartland” zu einem Must-have für jeden Fan dunkler Comics.

hinzugefügt: September 16th 2008
Tester: Frank Drehmel
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