Jonathan Stroud
Die Spur ins Schattenland
(The Leap, 2001)
Aus dem Englischen von Bernadette Ott
Omnibus, 2008, Taschenbuch mit Klappenbroschur, 314 Seiten, 10,00 EUR, ISBN 978-3-570-21847-1
Von Irene Salzmann
Charlies Freund Max ertrinkt in einem Teich – das jedenfalls glauben alle. Das junge Mädchen weiß es allerdings besser: Geheimnisvolle Frauen haben Max zu sich gelockt und auf den Grund gezogen. Vergeblich versuchte sie, ihn zu retten. Er befindet sich seither in einer anderen Welt, die den Menschen normalerweise verschlossen bleibt.
In ihren Träumen kann Charlie in dieses fremde Reich eintauchen und Max folgen. Allerdings verliert sie immer mehr Zeit, der Abstand wird größer wegen ihrer Wachphasen und ihrer zunehmenden Verzweiflung. Zufällig begegnet sie im Schattenland dem Wanderer Kit, der ihr erzählt, dass sich Max wie jeder auf dem Weg zur Großen Kirmes befindet. Charlie muss sich beeilen, will sie verhindern, dass er am Tanz teilnimmt und dann für immer ein Bewohner des Traumreichs wird…
„Die Spur ins Schattenland“ beginnt wie so mancher moderner Fantasy-Roman mit einer Gegenwartshandlung, die sich immer mehr in eine Fabelwelt verlagert. Die Grenzen werden durchlässig, denn die Protagonistin wechselt regelmäßig von der einen auf die andere Seite, trennt immer weniger, und schließlich gelangen sogar gefährliche Wesen aus dem Traum in die Realität.
Charlie ist davon überzeugt, dass Max entführt wurde und ihre Hilfe braucht. Darum sucht sie ihn an seinen Lieblingsplätzen und in ihren Träumen. Wann immer sie nicht weiter weiß, erhält sie Unterstützung – von Kit, ihrem Bruder Jamie oder dem Zufall. Trotzdem will es ihr nicht gelingen, Max aufzuspüren, denn stets passiert etwas Unvorhergesehenes, was ihre Bemühungen zurückwirft.
Die Familie macht sich große Sorgen um Charlie, die sich in sich selbst zurückzieht, von Albträumen geplagt wird und niemandem verraten will, was sie bewegt. Tatsächlich lernte sie schnell, allen nur das zu erzählen, was sie hören wollen, denn keiner glaubt an grünhaarige Frauen, die im Teich leben. Manche geben ihr sogar die Schuld an dem Unfall, verspotten und beschimpfen sie. So ist Charlie ganz auf sich gestellt. Jamie greift zwar regelmäßig ein, weiß jedoch nicht, welche Auswirkungen sein Handeln hat, da er ganz in der Realität verhaftet ist.
Der Schluss ist anders, als man erwartet hätte, und ob er jungen Lesern wirklich gefällt, ist fraglich. Es gibt kein richtiges Happy End, der Ausgang der Geschichte bleibt offen und wirkt verstörend - jedem bleibt es überlassen, das zu glauben, was er möchte.
Der Autor, der vor allem durch seine „Bartimäus“-Trilogie bekannt wurde, spinnt routiniert sein Garn, macht es sich hin und wieder aber etwas zu leicht, wenn er die Handlung in die gewünschte Richtung lenkt. So viele Zufälle, die Charlie weiter bringen oder kurz vor ihrem Ziel aufhalten, sind schon einige Zufälle zu viel.
Im Wechsel beschreibt er die Geschehnisse aus der Perspektive von Charlie und Jamie, mit phantastischer bzw. rationaler Sichtweise. Die Protagonisten wirken sympathisch, trotzdem bleiben sie auf Distanz und laden nicht wirklich zur Identifikation ein; man erfährt zu wenig über sie, denn alles dreht sich um Max Rettung und den Gegensatz Traum-Realität.
Das Buch wird Lesern ab 11 Jahren empfohlen. Die Geschichte ist einfach genug, dass die Zielgruppe problemlos folgen kann, doch die geschilderten Ereignisse und das Finale sind stellenweise gar nicht so kindlich und für ängstliche Mädchen und Jungen, die ein Happy End wünschen, schwer zu verarbeiten. Ein Heraufsetzen des Alters ab 13 aufwärts wäre sinnvoll.