Jack McDevitt
Hexenkessel
(Cauldron, 2007)
Aus dem Amerikanischen von Frauke Meier
Bastei-Lübbe, 2008, Taschenbuch, 558 Seiten, 8,95 EUR, ISBN 978-3-404-24377-8
Von Gunther Barnewald
Im Jahre 2255 ist es endlich so weit. Trotz stagnierender Raumfahrt und immer neuen Rückschlägen bei der Erforschung der interstellaren Weiten gelingt es dem Wissenschaftler Jon Silvestri, den Raumantrieb seines verstorbenen Vorgängers Barber zu perfektionieren. Dieser Antrieb soll die langsameren Hazletine-Triebwerke ersetzen und es ermöglichen, binnen weniger Monate ins Zentrum unserer Milchstraße zu reisen, um dort vielleicht das Geheimnis der Omegawolken zu lösen, welche alle eckigen, technologischen Formen angreifen und dadurch schon viele intelligente Zivilisationen vernichtet haben.
Doch der erste Probeflug mit dem neuen Locarnoantrieb geht schief, das Schiff wird zerstört. Als jedoch die zweite Reise nicht nur erfolgreich verläuft, sondern sogar alle Erwartungen übertrifft, beschließt man, zwei Raumschiffe auszurüsten, die ins Zentrum der Milchstraße vordringen sollen.
Auf dem Weg dorthin sollen sie außerdem Stippvisiten an anderen interessanten Orten machen, nämlich bei jenem Sonnensystem, von welchem die Menschheit dereinst eine Radiobotschaft intelligenter Lebewesen erhielt, bei jenem System, in dem die Erbauer jener riesigen Sammlerraumschiffe, die man Chindi getauft hat, leben sollen, und bei einem Aufsehen erregenden Schwarzen Loch.
Neben dem Physiker Silvestri, einem Journalisten und dem Leiter jener Organisation, die sich um die Erforschung des Weltraums auf US-amerikanischer Seite kümmert, sind auch zwei Piloten mit an Bord, von denen eine die Veteranin Priscilla Hutchins ist, Lesern McDevitts gut bekannt aus diversen Abenteuern, die im gleichen Kosmos spielen, welcher mit „Gottesmaschinen“ vom Autor erstmals erschaffen und seitdem immer mehr verfeinert wurde.
Doch auf dem Weg ins Zentrum zum Geheimnis der tödlichen Omegawolken lauern unwägbare Gefahren, die tödlich sein können und auch die Lösung des Rätsels stellt sich als überaus bedrohlich dar...
Jack McDevitt ist erneut ein fulminanter Abenteuer-SF-Roman gelungen, dessen „Verschlingen“ einfach nur als pures Vergnügen bezeichnet werden kann. „Hexenkessel“ ist eine bunte Wundertüte, bei der man von einem Nervenkitzel in den nächsten gerät, und vor allem der zweite Teil des Buchs, die Reise Richtung Milchstraßenzentrum, ist eigentlich viel zu kurz ausgefallen. Ein typischer Fantasy-Autor hätte (wenn er überhaupt jemals so viele brillante Ideen wie McDevitt produzieren könnte, was bezweifelt werden muss) aus dieser Geschichte mehrere 10.000 Seiten herausgeholt. Aber der geniale Amerikaner schafft dies in deutlich unter 1000, was einfach nur unbändigen Spaß macht.
Zwar wünscht man sich als Leser manchmal mehr Zeit zum Durchatmen im zweiten Teil des Buchs, aber die Geschichte scheint ja noch nicht abgeschlossen, obwohl zum Schluss das
Geheimnis der Omegawolken sogar ansatzweise gelöst erscheint.
Weitere Abenteuer sollten aber noch drin sein, denn McDevitts Kosmos des fiktiven Jahres 2255, in dem Priscilla Hutchins lebt, ist zweifellos eine der besten Zukunftshistorien, welche die SF jemals hervorgebracht hat und muss in einem Atemzug mit Alan Dean Fosters Homanx-Commonwealth, Cordwainer Smiths Instrumentalität der Menschheit, Robert A. Heinleins Future History und Larry Nivens Geschichten aus dem bekannten Universum genannt werden.
Ähnlich wie seine Kollegen erschafft McDevitt ein glaubhaftes und ausgefeiltes Ganzes, voller Ideen, Spannung und Exotik, in dem authentisch wirkende, vom Autor meisterhaft entwickelte lebendige Charaktere atemberaubende Abenteuer erleben, mit denen man gerne auf die Reise geht und jenen Sense of Wonder erlebt, der die SF dereinst ausmachte und sie auch groß gemacht hat, ohne dass das Erzählte unglaubwürdig oder trivial wirken würde bei den erwähnten Meistern ihres Fachs.
Schade, dass kaum einer der SF-Autoren der nachfolgenden Generationen noch jenen Horizont, jenes Geschick und jene Phantasie hat, um solch bunten Welten und eine solche kohärente Zukunftsgeschichte zu entwerfen, wie es die Schriftsteller des 20. Jahrhunderts noch konnten, von denen neben McDevitt wohl nur noch Alan Dean Foster und Mike Resnick selbst aktiv und kreativ sind.
„Hexenkessel“ ist ideenreiche, Horizont erweiternde Unterhaltung und Lesevergnügen pur, eines der besten Bücher des begnadeten Jack McDevitt, geeignet für Jung und Alt.
SF für all jene Leser, die Phantasie und Kreativität besitzen und schätzen, und die die Nase voll haben von durchtechnisierten, computerisierten Zukunftswelten ohne lebendige Charaktere, erschaffen von Technikern und Naturwissenschaftlern, die sich Schriftsteller nennen, jedoch nur in ihren Cyberblasen durch kalte, wirre Zukünfte rasen, in denen emotionale Krüppel ihre Emotionslosigkeit ausleben oder noch besser ausrobotern.