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Murphy, Pat: Die Geisterseherin (Buch)
Pat Murphy
Die Geisterseherin
(The Falling Woman)
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Jürgen Martin
Titelillustration von Mark Freier
Blitz Verlag, Paperback, 264 Seiten, 9,95 EUR
Von Carsten Kuhr
Jörg Kaegelmanns Blitz Verlag ist immer für eine Überraschung gut. Nach der Abspaltung der Weird Fiction Edition durch den damaligen Herausgeber Frank Festa in den gleichnamigen Festa Verlag, konnte man eigentlich davon ausgehen, dass Blitz in Zukunft die Bücher herausbringen würde, mit denen der Verlag bekannt geworden war. Neuauflagen und Fortsetzungen alter Heftreihen. Und wirklich schien dies der Weg zu sein, den Jörg gehen wollte, Die Vorschauen zeigten Titan (Raumschiff Promet), Macabros, Larry Brent, StarGate und Söhne der Erde-Bände.
Immer wieder aber überraschte der Verlag seine Leser. So erschien ein Thomas Ligotti-Buch in der von Markus K. Korb editierten E.A. Poe-Reihe, der mysteriöse Mark Alastor E.E. wird ebenso publiziert wie eine neue Reihe in der Nachfolge von Sherlock Holmes.
Auch äußerlich haben sich die Bücher gemausert. Die Cover sind sehr ansehnlich und ansprechend, der Druck sauber und sorgfältig redigiert, und auch die Qualität des Papiers hat sich deutlich gebessert. In einer Auflage von 999 Exemplaren gedruckt, und ausschließlich im Direktvertrieb unter die Kunden gebracht, erfreuen sich die Bände einer kleinen, aber treuen Anhängerschar.
Mit vorliegendem Roman betritt der Blitz Verlag nun Neuland. Statt uns Neuauflagen und Fortsetzungen deutscher Heftserien zu offerieren, erscheint bei Jörg Kaegelmann diesmal ein Roman, der 1988 den NEBULA Award als bester Roman des Jahres gewonnen hat! Hiermit betritt der kleine Verlag das große Parkett. Erstaunlich, dass keiner der etablierten großen Verlagshäuser sich den preisgekrönten Roman geschnappt hat, lassen sich doch Bücher mit dem Werbespruch „Preisträger des XXX Awards“ meist recht gut an den Käufer bringen.
Noch erstaunlicher aber, dass der Roman, angesichts der Tatsache, dass kein anderer Verleger zugegriffen hat wirklich gut ist, und mich überzeugen konnte. Ein wahrer Glücksfall also für Blitz und für den Leser.
Um was es geht, das möchten sie auch noch wissen?
Die Autorin entführt uns nach Mexiko. Elizabeth Butler verließ vor Jahren ihren Ehemann, einen erfolgreichen Arzt und ihre gemeinsame Tochter, um ihrem Traum, als Archäologin an Ausgrabungen teilzunehmen wahr zu machen. Nach einem Selbstmordversuch mit anschließendem Aufenthalt im Sanatorium für psychisch Kranke weiss sie, dass das Leben als treusorgende Hausfrau und Mutter in L.A. nicht das Richtige für sie ist. Ihre Welt sind die verlassenen Ruinen der Maya, die Schädel der Tolteken und die schwüle Welt des Urwaldes.
Mehr noch, Elizabeth kann Schatten aus der Vergangenheit sehen, ja sich manchmal mit ihnen unterhalten. Dies führt dazu, dass sie oft aufsehenerregende Funde macht, weiss sie doch durch ihre geheim gehaltene Gabe, wo Gräber, wo Tempel standen, wo gearbeitet, und wo die Abfälle entsorgt wurden. Doch das, was von Kollegen und Studenten als legendärer Spürsinn bekannt und geachtet ist, das könnte man auch als Wahnsinn deuten.
Als sie in Yukatan gräbt, taucht aus den Tiefen der Vergangenheit eine Maya-Priesterin auf und unterhält sich mit ihr. Als dann noch ihre Tochter, die sie seit Jahren nicht mehr gesehen hat, überraschend an der Grabung erscheint wird klar, dass diese drei Frauen mehr verbindet, als äußerlich sichtbar ist. Die Maya-Göttin erwartet ein Opfer – ein bedeutendes Opfer, ein Menschenopfer?
Das Buch, endlich einmal ein Stand Alone-Roman, ist keinem Untergenre klar zuzuordnen. Fantasy, Mystery, Thriller, von Allem ein Bisschen.
Herausragend ist die Charakterisierung der Menschen, und hier meine ich nicht nur der Hauptcharaktere, sondern aller auftretenden Personen. Mit einigen wenigen Pinselstrichen vermag die Autorin markante, glaubwürdige Figuren zu erschaffen, Menschen, die uns nicht wie Pappfiguren vorkommen, sondern Wesen voller Ecken und Kanten sind.
Gekonnt nimmt uns die Autorin mit ihrer Handlung gefangen. Zum Einen berichtet sie uns von einer interessanten archäologischen Grabung, bei der aufsehenerregende Funde gemacht werden, bei denen die Gabe von Elizabeth sogar das Mysterium der plötzlichen Aufgabe der Maya-Städte löst.
Fast aber noch wichtiger ist der ein wenig verborgene Handlungsfaden, der die Mutter–Tochter-Beziehung beleuchtet. Wir lernen zwei Frauen kennen, die unterschiedlich, und doch ähnlich sind. Die Mutter, die geplagt von ihrer Gabe weiss, dass sie anders ist als der Durchschnitt, die weiss, dass sie, so sie auffällt, wieder ins Sanatorium gesteckt wird. Sie leidet darunter, ihre Tochter verlassen, ja im Stich gelassen zu haben, sah aber keinen anderen Weg um letztlich als eigenständige Person zu überleben. Parallelen zu dem Schicksal der Maya-Priesterin, die ihr eigenes Kind der Göttin opferte, und deren Opfer letztlich ohne Segen ihrer Göttin blieb sind unübersehbar.
Interessant auch der Ansatz der Autorin, ihre Geschichte jeweils abwechselnd von Elizabeth und ihrer Tochter erzählen zu lassen. Auf diese Weise entsteht ein sehr komplexes Bild der Personen und ihrer Handlungen, wird die jeweilige Motivation deutlicher und verständlicher.
Dieses Buch hat wahrlich zu Recht einen Profi-Preis als Besten Roman eingeheimst. Unerklärlich, dass es seinen Weg nicht früher in deutsche Bücherstuben fand. Eine wahre Perle im Blitz Verlag – bitte mehr solche Entdeckungen.
hinzugefügt: August 4th 2004 Tester: Carsten Kuhr Punkte: zugehöriger Link: Blitz Verlag Hits: 3959 Sprache: albanian
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