100 % Marvel 38
Spider-Man – Mit großer Kraft…
David Lapham, Tony Harris, Jim Clark u. a.
(Spider-Man: With Great Power… 1 – 5, 2008)
Aus dem Amerikanischen von Michael Strittmatter
Titelillustration von Tony Harris
Panini, 2008, Paperback mit Klappenbroschur, 120 Seiten, 16,95 EUR
Von Irene Salzman
Spider-Man ist eine der populärsten Marvel- bzw. Comic-Figuren überhaupt. Die Menschlichkeit und Verletzlichkeit dieses Helden ziehen die Leser nun schon seit bald 50 Jahren unverändert in den Bann. Seither wurde seine Entstehungsgeschichte schon mehrfach nacherzählt und den aktuellen Ansprüchen angepasst.
In Folge beschreibt der vorliegende Fünfteiler aus dem Jahr 2008 einen Peter Parker, wie er charakterisiert würde, wäre sein erstes Abenteuer jetzt erst geschrieben worden. Vom Helden-Mythos ist er ferner denn je. Sein Denken und Handeln, seine Ängste und Hoffnungen sind nachvollziehbar, und so kann sich jeder leicht mit ihm identifizieren.
Schon immer galt Peter Parker als Loser und wurde von seinen Mitschülern gemobbt. Der Biss einer radioaktiven Spinne verleiht im unverhofft spinnenartige Superkräfte, die ihn in die Lage versetzen, Dinge zu tun, die bislang unmöglich waren, die er zuvor nie gewagt hätte - und die sein Selbstbewusstsein stärken. Allerdings muss er erkennen, dass er dadurch noch lange nicht das Zeug zu einem Helden hat oder schlagartig zu einem beliebten Klassenkameraden mutiert.
Zunächst pflegt er sein angeschlagenes Ego und wird denen, die ihn kennen und lieben, immer fremder. Während er an seiner Wrestler-Karriere feilt, als geheimnisvoller Star mit Maske in TV-Shows auftritt und den einen oder anderen One-Night-Stand genießt, lassen seine schulischen Leistungen rapide nach, und er belügt Tante May und Onkel Ben, die ihn wie ihr eigenes Kind groß gezogen haben.
Es dauert lange, bis er seine Fehler einzusehen beginnt. Doch inzwischen hat er sich mit J. Jonah Jameson vom ‚Daily Bugle’ einen unversöhnlichen Feind geschaffen. Und dann ist da noch der Ganove, den Spider-Man hätte aufhalten können und den er entkommen ließ – weil das Fangen von Verbrechern doch die Aufgabe der Cops ist…
Langjährige Leser kennen die Story natürlich in- und auswendig. Vielleicht stöhnt der eine oder andere sogar: Fallen denen denn gar keine neuen Geschichten mehr ein? Für jüngere Leser ohne den Backgrund von etlichen Comic-Jahren und für jene, die erst durch den Kino-Film auf Spider-Mans bunte Abenteuer aufmerksam wurden, ist es hingegen interessant, seinen Werdegang zu erfahren. Doch auch Insidern bietet die Aufbereitung des vertrauten Stoffs durchaus eine kurzweilige Lektüre, da der Autor dem Bild der Titelfigur weitere Fassetten hat hinzufügen können.
Der Peter Parker, der hier auftritt, ist ein Kind der Gegenwart (und nicht der 1960er Jahre). Das Mobbing ist schlimmer geworden, seine Leiden sind entsprechend größer. Er ist ein gequälter Mensch, auf den immer alle einprügeln, und selbst die Liebe seiner Angehörigen, die das Ganze nicht wirklich nachvollziehen können und denen er vorspielt, das alles wäre nicht so schlimm, trifft ihn immer wieder wie ein Hieb unter die Gürtellinie. Als sich durch den Spinnenbiss die Situation für Peter ändert, rutscht er zunächst ab, denn er missbraucht seine Kräfte, um sich persönliche Vorteile zu verschaffen. Das macht ihn nicht unbedingt sympathisch und nützt ihm im Endeffekt wenig.
Anders als in der Urfassung hat Peter eine Begegnung mit den Fantastic Four, die ihm vor Augen führt, dass er seine Fähigkeiten sinnvoll einsetzen könnte, wäre er nicht solch ein Feigling. Er versucht es sogar, agiert aber eher glücklos und bestätigt damit die schlechte Publicity, die er von der Presse erhält. Der Comic folgt der Geschichte nicht bis zu ihrem bitteren Ende und lässt dem Leser die vage Hoffnung, dass Spider-Man nun den rechten Weg einschlagen wird – ohne die Tragödie als Richtungsweiser.
Auch von den Zeichnungen her ist der Comic aktuell. Zwar wirken die Autos wie 1960er-Jahre-Modelle, die Kleidung ist eher zeitlos, doch Stil und Kolorierung beantworten die gegenwärtigen Anforderungen. Die ‚Napf-Frisur’ von Peter ist wirklich übel und lässt ihn zusammen mit seinem altmodischen Pullunder wirklich wie einen Nerd und Loser aussehen.
Alles in allem ist „Spider-Man – Mit großer Kraft…“ ein gelungener Comic-Band, der ein in sich abgeschlossenes Abenteuer bietet, für das man keinerlei Vorkenntnisse mitbringen muss. Die Charaktere sind realistisch aufgebaut, die Handlung konzentriert sich auf eine menschliche Tragödie, die den Leser mitleiden lässt und nur so viel Action einbindet, wie notwendig ist, denn es geht hier um den Menschen Peter Parker und nicht um den Helden Spider-Man. Die Illustrationen sind realistisch und gut gelungen; allein bei den Proportionen hatte der Zeichner hin und wieder etwas Probleme (zu kurze Beine, Perspektive stimmt nicht immer).
Als Sammler stellt man das Paperback natürlich gern ins Regal. Neulesern wird eine aktualisierte Version einer alten Story geboten, die zu überzeugen vermag. Ist man Gelegenheitsleser, tut man mit dem Band keinen Fehlgriff, sondern wird bestens von einer realistisch-dramatischen Story unterhalten.