Fabien Nury & John Cassaday
Ich bin Legion
(Le Juis Légion/I am Legion, 2004 – 2008)
Aus dem Französischen oder Englischen von Kai Wilksen
Titelbild und Zeichnungen von John Cassaday
Cross Cult, 2008; Hardcover; 176 Seiten, 26,00 EUR, ISBN 978-3-936480-66-5
Von Christel Scheja
Im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen, die sich dem amerikanischen Markt angepasst haben und ökonomisch, aber schablonenhaft zeichnen, hat sich John Cassaday immer einen eigenen Stil bewahrt. Ihm ging es darum, in seinem nüchternen und pragmatischen Stil wirkliche Menschen darzustellen, keine überdimensionalen Archetypen.
Aus diesem Grunde arbeitete er neben seinen Aufträgen für diverse Superheldenserien wie „Captain America“, „X-Men“ und „Planetary“ auch für die bedeutenderen amerikanischen Autoren wie Ed Brubaker und Joss Whedon oder Warren Ellis.
Schließlich gehört er sogar zu den wenigen amerikanischen Künstlern, die von francobelgischen Verlagen angesprochen wurden, um bei diesen ein eigenständiges Werk in Zusammenarbeit mit einem einheimischen Szenaristen zu erstellen.
So entstand zusammen mit Fabien Nury die dreiteilige Comic-Serie „Ich bin Legion“, die Cross Cult nun komplett in einem 176 Seiten starken Sammelband präsentiert.
Im Jahr 1942 sind in Europa die Spuren des zweiten Weltkriegs nicht nur auf den Schlachtfeldern deutlich sichtbar sondern auch in den Seelen der Menschen. Einige hochrangige Angehörige des NS-Regimes haben erkannt, dass sich das Glück langsam zu wenden beginnt und ihre Vorstöße zum Erliegen kommen. Wenn das ‚Dritte Reich’ jetzt noch siegen soll, muss eine Lösung für das sich anbahnende Dilemma gefunden werden. Einfache Soldaten reichen nicht mehr aus, um an der Front zu kämpfen. Deshalb arbeitet der SS-Offizier Rudolf Heyzig mitten im tiefsten Rumänien an einem streng geheimen Projekt, von dem nur wenig nach außen dringt.
Er versucht dort, hinter den Mauern einer abgelegenen Burg zusammen mit einer geheimnisvollen Wesenheit eine unbesiegbare Armee zu schaffen, die keine Frage über das Wie und Warum ihrer Mission stellt. Er will Soldaten hervorbringen, die weder ein Gewissen noch Gefühle haben.
Und die Kreatur kann ihm dabei helfen, vermag sie doch durch das Blut von einem zum anderen zu wandern. Die ganze Sache hat nur einen Nachteil – das Wesen steckt im Körper eines zehnjährigen Mädchens, das kaum dazu in der Lage sein dürfte, eine Schar unbezähmbarer Krieger anzuführen.
Derweil hat der Geheimdienst in London mit eigenen Problemen zu kämpfen, denn die Explosion einer Villa in einem der besseren Stadtviertel Londons gibt viele Rätsel auf. Allerdings weisen die wenigen Fundstücke auf ein Projekt hin, das bisher nur Wenigen bekannt war und ganz offensichtlich mit einem Geheimnis zu tun hat, dass die Nazis in den Karpaten verstecken.
„Ich bin Legion“ ist ein waschechter Mystery-Thriller – angesiedelt in einer Zeit, in der die angespannte Lage ohnehin finstere Blüten trieb. Schon die zeitgenössischen Autoren brachten die Nationalsozialisten aufgrund bestimmter Aspekte in ihrer Ideologie gern mit phantastischen Abenteuern in Verbindung: Immer wieder spielten sie in mystischen Actiongeschichten die Rolle der Bösewichte, die die magische Kraft alter Artefakte für ihre verbrecherischen Ziele missbrauchen wollen.
Das ist in der dreiteiligen Geschichte auch nicht anders, die bewusst mit den klassischen Vampir-Mythen spielt und diese noch etwas erweitert. Man merkt recht schnell, wer eigentlich hinter dem geisterhaften Wesen steckt und kann sich daher sehr gut vorstellen, dass auch Heyzig und seine Schergen noch eine unliebsame Überraschung mit ihm erleben werden. Doch bis dahin scheint der Plan von Erfolg gekrönt zu sein.
Die Ereignisse in London scheinen zunächst nicht sehr mit den Vorgängen in Rumänien verknüpft zu sein, doch dieser Eindruck ändert sich, je tiefer der Agent Stanley Pilgrim in die Geheimnisse eintaucht und schließlich den Spuren nachgeht. Wie erwartet kommt es zu einem actionreichen Showdown.
John Cassaday zeichnet Menschen mit all ihren Stärken und Schwächen, Unsicherheiten, Tugenden und Unzulänglichkeiten. Immer wieder werden die Jäger zu Gejagten, und die Meister müssen schließlich erkennen, dass sie eigentlich die Sklaven sind.
Das führt manchmal zwar zu ein wenig Verwirrung, am Ende klären sich aber die meisten Fragen auf. Was den Comic vor allem interessant macht, ist die Atmosphäre. Man spürt förmlich den Wahnsinn, der an manchen Schauplätzen regiert, dann wieder das kalte Kalkül. Zwar löst er sich dabei nicht ganz von den gängigen Nazi-Klischees, aber da er die Figuren etwas lebendiger gestaltet, ist genug Abwechslung da.
Damit wird „Ich bin Legion“ zu einem beklemmenden Thriller, der nicht nur die düstere und bedrohliche Atmosphäre des zweiten Weltkriegs und den damit verbundenen Wahnsinn auf allen Seiten einfängt, sondern ihn auch auf interessante Weise mit dem Vampir-Mythos verbindet und diesen gelungen weiterentwickelt.